Zum dritten Mal vertagt worden ist vor dem Schöffengericht Sigmaringen der Prozess gegen einen 27-jährigen Mann, der wegen einer Vergewaltigung angeklagt ist. Richterin Kristina Selig ordnete nach einer über sechs Stunden andauernden Marathonsitzung die schon im Vorfeld geplante Fortsetzung auf den 26. Januar, 9 Uhr, an. Dann sollen weitere Zeugen der Polizei befragt sowie weitere Untersuchungsergebnisse behandelt werden.
Zahlreiche Sicherheitskräfte vor Ort
Die Vorführung des Angeklagten brachte zahlreiche Sicherheitskräfte der Polizei ins Haus, eine verschärfte Eingangskontrolle und die Inspizierung sämtlicher Prozessteilnehmer. Dem 27-Jährigen legte Staatsanwalt Markus Engel zur Last, gegen einen jungen Mann gegen dessen Willen übergriffig geworden zu sein. Sein mutmaßliches 25-jähriges Opfer leidet an einer geistigen Behinderung. In der fachlichen Beurteilung ist er auf den Stand eines Kleinkindes eingestuft. Er besäße in komplexen Situationen wenig Möglichkeiten, seine Bedürfnisse zu äußern oder Bedrohungssignale angemessen zu interpretieren. Dies ist in der Ermittlungsakte des Staatsanwalts so formuliert worden. Da der junge Mann, in pflegerischer Obhut befindlich, keiner Beschäftigung nachgehen kann und selbst über wenig Bargeld verfügt, frönt er vor allem seinem Hobby, dem Tauschgeschäft – nicht immer zu seinem Vorteil, da er die Qualität der eingetauschten Ware offenbar schwer einzuschätzen vermag.
Kontakt durch Tauschgeschäfte
Eines dieser Tauschgeschäfte ist dem jungen Mann am 11. November 2020 nach Überzeugung des Staatsanwalts zum Verhängnis geworden. Schon zuvor hatte er über das Mobiltelefon eines Freundes mit seiner Offerte den Kontakt zu dem Angeklagten bekommen. Hierbei hatte er erfolgreich ein in seinem Besitz befindliches Fernsehgerät veräußert. Der Angeklagte habe dann vorgegeben, weitere Artikel des 25-Jährigen käuflich erwerben zu wollen. Es ging um ein Fahrrad. So fand sich der junge Mann bei seinem zweiten Gastbesuch am besagten Abend gegen 21.30 Uhr bei dem Angeklagten ein, um ihm das Fahrzeug zu zeigen. Dieser habe jedoch kein Interesse mehr an dem Fahrzeug bekundet, dafür aber den jungen Mann in seine Wohnung gelockt, um dann hinter verschlossenen Türen sich in übelster Weise an ihm zu vergehen. Offenbar, so der Vorwurf der Staatsanwalt, habe der Angeschuldigte schon bei der ersten Begegnung dessen geistige Behinderung bemerkt und sich demzufolge eine Person vorgestellt, an der er sich „leicht und unkompliziert homosexuell befriedigen“ konnte.
Vernehmung des 25-Jährigen ohne Öffentlichkeit
Details zu diesem Vorgang bleiben hier grundsätzlich außen vor. Ohnehin wurde auf Antrag eines Anwalts die Öffentlichkeit bei der Zeugenvernehmung des 25-jährigen Opfers zu dessen Schutz ausgeschlossen. Eine diesbezügliche Neigung des jungen Mannes gäbe es nicht, er hätte dies auch in der Tatnacht nicht gewollt. So hätte der Angeklagte gegen den erkennbaren Willen des 25-Jährigen seine sexuellen Handlungen vollzogen.
Auffälliges Verhalten gezeigt
Ein 53-jähriger Heilpädagoge, der nach der Tatnacht seinen Dienst versah, sagte im Zeugenstand aus, dass sein Schützling, dessen Charaktereigenschaften eher als wenig flexibel, zurückhaltend und still beschrieben werden, entgegen seines Naturells zunächst überraschend verbal aggressiv aufgetreten sei. Erst am Nachmittag hätte dieser das Gespräch mit ihm gesucht und den Tatverlauf mit dem Angeklagten im Detail offenbart. Daraufhin hätten sie sich an die Polizei gewandt und Anzeige erstattet. „Auf Gewaltsituationen reagiert er starr und er hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden“, sagte der Heilpädagoge und erwähnte, dass es für den jungen Mann schon einmal einen ihn aufwühlenden Vorfall gegeben hatte, als dieser bei einer sexuellen Handlung eines Paares zuschauen sollte.
Spuren schwer nachweisbar
Eine Ärztin hatte im Auftrag des Polizeipräsidiums Ravensburg kriminaltechnisch die Untersuchungen übernommen. Die aus der Wohnung des Angeklagten und der Kleidung beider Beteiligten analysierten Spuren führte sie in einer Wertungstabelle aus. Sexuelle Spuren seien 24 Stunden nach der Tat schwer nachweisbar, sagte sie.
Angeklagter will demnächst heiraten
Der Angeklagte verfolgte die Ausführungen zumeist in stoischer Ruhe. Ihm war die Rechtsanwältin Sina Boss als Pflichtverteidigerin beigestellt. Als Dolmetscher fungierte Musa Taraca, der ihm jeden Sachverhalt übermittelte. Seit sieben Jahren lebt der 27-Jährige in Deutschland. Er sei früher nach absolvierter Grundschule im Fischfang tätig gewesen. Er habe in Deutschland hin- und wieder als Reinigungskraft gearbeitet. Aktuell sei er arbeitswillig, er habe laut eigener Aussage einige Bewerbungen bei Firmen in dieser Region laufen und er wolle demnächst eine Frau heiraten und Kinder haben.
16 Eintragungen im Strafregister
Allerdings wurde dem 27-jährigen Angeklagten in vorangegangenen Prozessen keine günstige Sozialprognose erstellt. Ein Blick in das Strafregister zeigte stattliche 16 Eintragungen, die allesamt von der Vorsitzenden Richterin Selig verlesen wurden. Dabei handelte es sich vornehmlich um bandenartigen Diebstahl von hochwertigen Gütern in Geschäften mit zwei ihn begleitenden Mittätern. Weiterhin verstieß er gegen das Betäubungsmittelgesetz, in zwei Fällen wurde er wegen Beleidigung angezeigt. „Ich habe überhaupt nichts gemacht“, war die sich wiederholende lakonische Aussage bei einigen Delikten, die sich der Beschuldigte vor Gericht entlocken ließ.