Herr Minister, das Land setzt auf die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken. Was ist der Grund dafür?
Baden-Württemberg hat großes Interesse an der Sicherung der Infrastruktur im Land. Das gilt insbesondere für die Schieneninfrastruktur. In die Sanierung der Ablachtalbahn zwischen Mengen und Stockach sind bereits im Rahmen der Konjunkturprogramme erhebliche staatliche Mittel geflossen. Mit Schaffung der Kategorie Entwicklungsstrecken bei der Förderung kommunaler Verkehrsprojekte nach dem Landeseisenbahnfinanzierungsgesetz (LEFG) hat das Land sein Engagement unterstrichen. Das gilt für den Erhalt von Strecken, die zwar aktuell keinen nennenswerten Verkehr verzeichnen, aber für die Zukunft wieder eine größere Rolle spielen können. Mit ihren großen Radien, guten Trassierungen und geringen Steigungen könnte die Ablachtalbahn für Nah-, Fern- und Güterverkehr künftig eine wichtige Rolle spielen und dadurch helfen, die Straßen zu entlasten.

Die sogenannte Räuberbahn von Pfullendorf nach Altshausen ist für den Freizeitverkehr erfolgreich reaktiviert worden. In Meßkirch und Stockach hofft man auf einen Wiederbetrieb der Ablachtalbahn von Stockach nach Mengen. Sind die Hoffnungen berechtigt, und wenn ja, warum?
Frühere Untersuchungen konnten kein ausreichendes Nachfragepotenzial für einen regelmäßigen Personenverkehr ermitteln. Für das Land ist aber ein Freizeitverkehr an Sonntagen in der Sommersaison zwischen Mengen und Stockach analog des Angebots zwischen Aulendorf und Pfullendorf grundsätzlich denkbar. Entsprechende Überlegungen bestehen bereits bei der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW). Sie konnten aber wegen der Streckensperrung zwischen Stockach und Sauldorf und wegen ungelöster Fragen im Zusammenhang mit einer dafür in Stockach notwendigen zweiten Bahnsteigkante bisher nicht umgesetzt werden. Außerdem ist ein tragfähiges Konzept erforderlich, das eine akzeptable Reisegeschwindigkeit auf der Ablachtalbahn sowie funktionierende Anschlüsse an den beiden Endpunkten Mengen und Stockach gewährleistet.
Welche Fahrgastzahlen müssten denn erreicht werden, damit man die Strecke wirtschaftlich sinnvoll betreiben könnte?
Für eine Reaktivierung im täglichen Stundentakt sollten an Schultagen durchschnittlich 1000 Fahrgäste erreicht werden. Bei 38 Zügen je Werktag sind das im Durchschnitt je Zug 26 Fahrgäste. Wird eine Strecke nur im Freizeitverkehr an Sonntagen im Sommer befahren, gelten natürlich andere Maßstäbe. Bei schönem Wetter sollten dann wenigstens auf Teilstrecken 20 Fahrgäste je Zug mitfahren, es gibt hier aber keine fixe Grenze.

Es müssen größere Investitionen vor allem für gesicherte Bahnübergänge getätigt werden. Wer soll die bezahlen?
Das Reaktivierungsprogramm setzt ein ernsthaftes Interesse von kommunaler Seite an einer Wiederinbetriebnahme voraus. Dazu gehört insbesondere die Bereitschaft, auch kommunale Eigenmittel einzubringen, sowie bei einem späteren Betrieb die Betriebskosten zu tragen. Sollte allerdings die Strecke am Ende zu den voraussichtlich fünf bis sieben Strecken im Land gehören, deren Reaktivierung die höchste Effizienz aufweisen beim Ziel, bis 2030 die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr zu verdoppeln, würde das Land den Zugverkehr bestellen und bezahlen.
Der Bahnverkehr ist ja nun keine Pflichtaufgabe der Gemeinden und übermäßig finanzstark sind diese an der Ablachtalbahn auch nicht. Kann man mit zusätzlichen Finanzhilfen des Landes rechnen?
Über das Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) können die Investitionen mit 50 Prozent bezuschusst werden. Bei Investitionen von mehr als 50 Millionen Euro können über das Bundes-GVFG der Bund bis zu 60 Prozent und das Land weitere 20 Prozent übernehmen. Gleichwohl werden die Gemeinden allein eine Reaktivierung nur schwer umsetzen können. Bei anderen Wiederinbetriebnahmen kamen die Landkreise als Träger ins Spiel.
Meßkirchs Bürgermeister Arne Zwick hat auch eine Reaktivierung der Bahnstrecke Krauchenwies-Sigmaringen in die Diskussion eingebracht. So könnte Meßkirch unter Einbeziehung der Ablachtalbahn eine direkte Bahnverbindung in die Kreisstadt bekommen. Ist das realistisch?
Wir werden im Rahmen der Reaktivierungsuntersuchung beide Strecken untersuchen. Mit der Reaktivierung der Strecke nach Sigmaringen wären die Fahrgastzahlen auf jeden Fall deutlich höher, da dann auch viele Schüler mit den Zügen fahren würden. Auch die schnelle Anbindung an den IRE nach Stuttgart würde für deutlich mehr Fahrgäste sorgen. Das Problem werden die Investitionskosten sein, weil der Wiederaufbau der Donaubrücke natürlich nicht billig ist.

Sollte die Ablachtalbahn wieder für den öffentlichen Personennahverkehr reaktiviert werden, stellt sich die Frage, wer sie betreiben soll. Gibt es da Ihrerseits bereits Vorstellungen?
Das Land steht Überlegungen einer kommunalen Trägerschaft offen gegenüber. Betreiber einer Eisenbahninfrastruktur können sowohl private als auch öffentliche Stellen sein. Die finanzielle Förderung ist davon unabhängig. Wenn öffentliche Mittel fließen, würde der Betrieb der Züge, wie bei anderen Reaktivierungsstrecken auch, ausgeschrieben.
Eine Elektrifizierung der Strecke dürfte wohl nicht sehr realistisch sein. Zumindest nicht in naher Zukunft. Im Zeichen des Klimaschutzes könnte man hier eventuell ein Projekt für Fahrzeuge mit Biogasantrieb auf den Weg bringen. Erdgas Südwest hatte schon eine Biogasverflüssigungsanlage bei Mühlingen geplant. Die wurde dann aber nicht realisiert. Wie sehen Sie das?
In ganz Baden-Württemberg bemühen wir uns, den Verkehr auch auf der Schiene möglichst emissionsarm zu gestalten. Deshalb unterstützen wir auch auf der Ablachtalbahn eine ökologisch vertretbare Lösung. Erdgas wäre hier ein denkbarer Ansatz, aber auch Züge mit Brennstoffzelle und Wasserstoff, batterieelektrische oder Hybridantriebe gehören zu den Antrieben der Zukunft.
Der Verkehrsminister ist als Radfahrer bekannt. Wie oft nutzen Sie denn die Bahn?
Häufig! Stadtbahn und S-Bahn sind in Ballungsräumen oft die schnellsten Verbindungen. Mit IC und ICE, zum Beispiel nach Mannheim oder Ulm, fährt man bequemer und schneller. Gleichwohl nutze ich auch oft meinen elektrischen Dienstwagen. Ich bin also rundum klimafreundlich mobil.
Zur Person
Winfried Hermann kam am 19. Juli 1952 in Rottenburg am Neckar zur Welt, wo er auch aufwuchs. Er lebt heute in Stuttgart, ist verheiratet und hat ein Kind.
Berufliche Stationen:
- Seit 12. Mai 2016 Minister für Verkehr im Kabinett Kretschmann II.
- Seit 1. Mai 2016 im Wahlkreis Stuttgart II direkt gewähltes Mitglied des Landtags.
- 2011 bis 2016 Minister für Verkehr und Infrastruktur im Kabinett Kretschmann I.
- 2009 bis 2011 Vorsitzender des Ausschusses Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie sportpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
- 1998 bis 2011 Mitglied des Bundestags für den Wahlkreis Tübingen mit den Arbeitsschwerpunkten Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Verkehr und Sport. Verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.
- 1992 bis 1997 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg.
- 1989 bis 1998 Leiter des Fachbereichs Gesundheit und Bewegung bei der Volkshochschule (VHS) Stuttgart.
- 1984 bis 1988 Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Stuttgart II mit den Schwerpunkten Schule, Jugend und Sport.
- 1979 bis 1984 Referendariat und Anstellung als Gymnasiallehrer in Stuttgart.
Studium der Fächer Deutsch, Politik und Sport an der Universität Tübingen.