Über Dinge, die in Vergessenheit geraten sind, ist sprichwörtlich Gras gewachsen. Langes Gras bedeckt auch die Schienen der Ablachtalbahn zwischen Stockach und Mengen. Entlang der Strecke wuchern die grünen Halme und begraben einige Streckenabschnitte unter sich. Sie ist eine von fünf Bahnstrecken, die derzeit nur noch spärlich genutzt werden.
Doch wenn es nach dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) geht, könnten sie schon bald reaktiviert werden. Der Verband hat eine Liste mit möglichen Reaktivierungen für ganz Deutschland erstellt und sieht Handlungsbedarf: „Gerade in Baden-Württemberg stehen die Bedürfnisse der Bevölkerung in einem schlechten Verhältnis zur Eisenbahninfrastruktur“, sagt Martin Henke vom VDV.
Das Land Baden-Württemberg hat 41 Strecken definiert, die reaktiviert werden könnten. Bis 2020 wird untersucht, für welche Verbindungen sich das lohnt. Nach Aussage von Verkehrsminister Winfried Herrmann sollen 15 Strecken übrig bleiben. Das Land reaktiviert sie nicht selbst, der Impuls muss aus den Kommunen oder Zweckverbänden kommen. „Ohne lokalen Unterstützer sind keine Reaktivierungen denkbar“ heißt es aus dem Verkehrsministerium. Wie stehen die Chancen für Bahnstrecken in der Region?
Stockach – Mengen
- Betrieb: derzeit nur Güterverkehr
- Beschreibung: Die Strecke befindet sich im Privatbesitz der Firma Tegometall. Sie haben die Strecke für die eigene Versorgung in Stand gehalten.
- Pro: Eine Reaktivierung könnte den Güterverkehr entlasten. „Wenn sie schon reaktiviert wird, dann auch für den Personenverkehr“, sagt Martin Henke vom VDV. Die Nutzung der Strecke sei schnell machbar, da die Schienen gut erhalten seien. Ralf Derwig von der Initiative S-Bahn-Bodensee sieht einen überregionalen Nutzen: Die Ablachtalbahn könne den Verkehr in Richtung Sigmaringen und Tübingen verbessern. Er hält die Reaktivierung für wahrscheinlich: „Viele in der Region setzen sich dafür ein.“
- Contra: Die Bevölkerungsdichte entlang der Strecke zwischen Stockach und Mengen ist niedrig. Das geringere Fahrgastpotenzial könnte gegen eine Reaktivierung sprechen.
Singen – Etzwilen
- Betrieb: Museumsbahn, Güterverkehr
- Beschreibung: Die grenzüberschreitende Bahnstrecke ist die letzte nicht elektrifizierte Strecke der Schweiz.
- Pro: „Die Strecke liegt gut und ist gut ausgebaut“, sagt Martin Henke vom VDV. Eine Reaktivierung sei daher innerhalb weniger Jahren machbar, wenn Deutschland und die Schweiz zusammenarbeiten. „Die Schweiz hat ein großes Interesse daran, die Strecken nach Deutschland besser zu machen.“ Auch die Fahrgäste von Stuttgart nach Singen und weiter nach Zürich könnten davon profitieren. Zudem wäre die Reaktivierung der Strecke für den Güterverkehr attraktiv. Langfristig sieht Henke die Möglichkeit, die Strecke mit batteriebetriebenen Hybrid-Zügen zu betreiben.
- Contra: Die Strecke muss vor der erneuten Nutzung zunächst elektrifiziert werden.
Schopfheim – Bad Säckingen
- Betrieb: stillgelegt
- Beschreibung: Die Strecke ist eine der ersten elektrifizierten Strecken Deutschlands. Seit 1971 gibt es dort aber keinen Personenverkehr, seit 1994 keinen Güterverkehr.
- Pro: Die Gegend rund um die Bahnstrecke entwickelt sich wirtschaftlich weiter. „Es braucht eine Verbindung aus dem Wiesen- ins Rheintal“, sagt VDV-Experte Martin Henke. Deshalb habe die Strecke einen hohen Wert für die Region – allerdings für den Personenverkehr, nicht für den Güterverkehr. Denkbar wäre auch die Nutzung der Strecke für eine Straßenbahn.
- Contra: Das Fahrgastpotenzial auf der Strecke ist niedriger als bei anderen. Die Reaktivierung würde zudem lange dauern: die Masten sind in die Jahre gekommen, es bräuchte neue Tunnel oder Bahnübergänge. „Ein dickes Brett, das dauert mehr als zehn Jahre“, sagt Henke.
Altshausen – Pfullendorf
- Betrieb: Güterverkehr
- Beschreibung: Seit 1971 gibt es keinen Personenverkehr mehr auf der Strecke. Güterverkehr gibt es auf der Strecke weiterhin.
- Pro: Die Strecke dient der Anbindung Pfullendorfs an das übergeordnete Netz. Langfristig ließe sie sich bis Schwackenreute reaktivieren. Potenzial sieht Henke bei der Strecke eher im Bereich des Güterverkehrs.
- Contra: Für Personenverkehr eignet sich die Strecke nicht. „Am Tag kommen da nicht mehr als 100 Personen auf die Strecke“, schätzt Henke. Auch für den Durchgangsgüterverkehr wie auf der Ablachtalbahn zwischen Stockach und Mengen sei diese Strecke nicht attraktiv. Deshalb hat der VDV die Priorität der Reaktivierung als niedrig eingestuft. Andere Bahnstrecken seien nicht nur wichtiger, sondern würden auch mehr Erfolg versprechen.
Lauchringen – Weizen
- Betrieb: wird für Schülerzüge und Güterverkehr genutzt
- Beschreibung: Auf der Strecke zwischen Lauchringen und Weizen sind derzeit nur Schülerzüge unterwegs.
- Pro: Die Strecke ist gut angelegt, es gibt wenige Kreuzungen mit Straßen. „Die Strecke wäre schnell wieder zu befahren“, sagt Martin Henke vom VDV. Mit der Reaktivierung ließe sich nicht nur das Kanton Schaffhausen umfahren, auch eine Anbindung an die Sauschwänzlebahn, ein beliebtes Touristenziel, in Lauchringen wäre denkbar. „Die Strecke kann auch von Fahrgästen aus der Schweiz genutzt werden“, sagt Henke.
- Contra: Aus Sicht von Martin Henke spricht nichts gegen eine Reaktivierung der Strecke: „Sie ist ja schon halb reaktiviert.“ Trotzdem muss das Land Baden-Württemberg den 20 Kilometer langen Streckenabschnitt noch prüfen.