Der deutsche Schriftsteller Thommie Bayer hat vor vielen Jahren das Buch „Das Herz ist eine miese Gegend“ geschrieben. Darin geht es zumindest vordergründig um die Irrungen und Wirrungen der Gefühle. Der Protagonist des Buches durchlebt dabei die 50er Jahre und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Eine kleine Besonderheit des Buches besteht darin, dass der Autor sich bei der Wahl der Überschriften über seine Kapitel auf Sprechgewohnheiten der damaligen Zeit bezieht und dadurch ihre Entwicklung kennzeichnet: „Was früher klasse war, ist jetzt toll“ schreibt er und später „Was früher toll war, ist jetzt knorke“ und so weiter.

SÜDKURIER-Autor Michael Schnurr.
SÜDKURIER-Autor Michael Schnurr. | Bild: Schnurr, Michael

Heute hätte Thommie Bayer damit gewaltig zu tun. In unseren Zeiten der Superlativen geht das im Jahresrhythmus: Was gestern noch „super“ war, wurde bald „super, super“. Und als das nicht mehr reichte, wurde etwas erst „stark“, dann „ganz stark und noch später „unheimlich stark“. Dann sprang ein großer Möbelhändler auf den Trend auf – oder setzte er ihn? – und titelte seine Werbung zuerst mit XL, dann mit XXL und noch später mit XXXL.

Das kann so weitergehen in der nach oben offenen Übertreibungsskala, in der letztendlich doch immer wieder nur dasselbe beworben wird. Ein anderes Unternehmen fand irgendwann erst nur den „Geiz geil“, später nur noch „alles geil“ und als das nicht mehr wirkte wurde alles „mega geil“ – irgendwie lässt sich halt alles steigern. Zurzeit sind wir bei „mega“ als Synonym für „gut“ angekommen, allenfalls schleicht sich ab und an noch ein galaktisch gut ein, was dann natürlich auch wieder bis zum mega gesteigert werden kann.

Olympia und Adele: Auch bei „Events“ wird an der Übertreibungsschraube gedreht

Nun haben auch die Veranstalter von Sportveranstaltungen – pardon „Events“ – und von Popkonzerten entdeckt, dass es nicht mehr ausreicht, nur einfach gut zu sein. Alle – zumindest diejenigen, die es interessierte – fieberten jetzt wochenlang auf die große Eröffnungsgala (mega!) der Olympischen Spiele in Paris hin, um dann direkt Schüttelfrost bei der Vorstellung zu bekommen, wie „gigantisch mega gut“ doch die Abschlussfeier werden würde.

Und nachdem die US-Amerikanerin Taylor Swift den Pop-Himmel eroberte, wollte die Engländerin Adele sich nicht lumpen lassen und ließ in München gleich ein ganzes eigenes Stadion aufbauen mit zugehöriger Adele-Welt. Es sei wie auf einem richtigen Festival gewesen, heißt es. Doch braucht es dazu diese Gigantonamie wirklich?

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Manchmal frage ich mich bei diesen bis ins Absurde überhöhten Steigerungs- und Veranstaltungsformen, wo das wohl enden wird und fühle mich an Szenen der Serie Babylon Berlin erinnert: Eine wogende Menschenmasse durchtanzt die ganze Nacht zu wilder, orgiastisch anmutender Musik, während die Sängerin etwas von Asche und Staub ins Mikrofon raunt. Manchmal wäre mir es lieber, wir würden wieder etwas nur noch gut oder schön finden, wieso eigentlich reicht das nicht?