Drei Männer im gestandenen Alter treffen auf dem Hof der Familie Götz an der Römerstraße schräg gegenüber vom Behlaer Rathaus aufeinander. Frank und George Pszczonka aus Australien sind kurz zuvor mit ihren Begleiterinnen vom Flughafen Zürich eingetroffen, Franz Kromer ist mit Tochter und Enkel aus Döggingen angereist. Erste Worte in Deutsch und Englisch werden gewechselt, die Begrüßung ist herzlich und aufgeregt zugleich, es werden Bilder geknipst.

Erinnerungsfotos werden vor dem Hof von Bertold Götz geschossen, wo einst Franciszek Pszczonka gearbeitet hat.
Erinnerungsfotos werden vor dem Hof von Bertold Götz geschossen, wo einst Franciszek Pszczonka gearbeitet hat. | Bild: Fröhlich, Jens

Es ist ein ganz besonderes Treffen. Franz Kromer ist der Halbbruder von Frank und George Pszczonka. Am vergangenen Mittwoch, 28. August, haben sich die drei Männer zum ersten Mal getroffen, nachdem sie erst vor wenigen Wochen voneinander erfahren hatten. Ein emotionaler Moment für alle, wenn man nach so vielen Jahren plötzlich Brüder hat, beschreibt Franz Kromer den Moment. Bilder und Erinnerungen werden ausgetauscht, die eine bewegende Geschichte erzählen.

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Das war passiert

Ihr gemeinsamer Vater Franciszek Pszczonka war Ende 1939 im Alter von 16 oder 17 Jahren in Polen gefangen genommen worden. In Deutschland musste er Zwangsarbeit leisten, wurde auf der Baar auf Höfen eingesetzt. 1946, nach dem Krieg, arbeitet er im Milchviehbetrieb in Behla weiter, dort, wo jetzt das Treffen stattfand. Hier lernte er eine junge Frau namens Matilda kennen und verliebt sich in sie.

1949 reiste er über ein Umsiedlungslager im italienischen Bagnoli nach Australien – viele ehemalige Zwangsarbeiter versuchten damals einen Neuanfang in Amerika, Kanada und Australien. Ziel war es, dass Matilda später nachkommt. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schwanger war, davon wusste Franziszek nichts.

Eines der wenigen Dokumente, die Frank Pszczonka für die Suche nach seinem Halbbruder noch hatte: Ein nach dem Krieg ausgestellter ...
Eines der wenigen Dokumente, die Frank Pszczonka für die Suche nach seinem Halbbruder noch hatte: Ein nach dem Krieg ausgestellter Ausweis von Franciszek Pszczonka, der Hinweise darauf gibt, wo er lebte und zur Arbeit eingesetzt war: in Donaueschingen, Bräunlingen und Behla. | Bild: Frank Pszczonka

Das Warten aufgegeben

Er schickte ihr Geld für die Reise, doch soweit kam es nie. Ein Grund dafür war auch, dass der Ehemann ihrer Schwester Emma gestorben war und die beiden Mädchen dden Hof in Behla bewirtschaften mussten, wo sie zusammen mit dem jungen Franz lebten. So nannte Mathilda ihren Sohn. Das Gebäude steht heute nicht mehr. Irgendwann hatte Matilda Franziszek doch erzählt, dass er einen Sohn hat. In einem Brief sagte sie ihm letztlich auch, dass sie nicht nach Australien nachkommt.

Nach sieben langen Jahren des Wartens auf seine große Liebe, heiratete Franziszek schließlich Katherina, die Mutter von Frank und George. Auch Matilda heiratet einen Einheimischen. Franz wurde als kleiner Junge erzählt, dass sein Vater tot sei.

Dieses alte Erinnerungsfoto zeigt Franciszek Pszczonka, wie er seine beiden australischen Söhne Frank and George stolz auf dem Arm hält.
Dieses alte Erinnerungsfoto zeigt Franciszek Pszczonka, wie er seine beiden australischen Söhne Frank and George stolz auf dem Arm hält. | Bild: Fröhlich, Jens

Vater trifft Sohn

1974 besuchte Franciszek Pszczonka die Cousins ​​seiner ungarisch-australischen Frau in Ulm. Zusammen mit einem polnischen Freund, vermutlich ebenfalls ein ehemaliger Zwangsarbeiter, fuhren sie auch nach Behla, um Matilda zu besuchen. Sie soll Franciszek gebeten haben, keinen Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen, da dies alles durcheinanderbringen würde.

Doch der polnische Freund soll ihn gedrängt haben, es doch zu tun. Also fuhren die beiden nach Döggingen, wo Franz an der Tankstelle und als Mechaniker arbeitete. Und da geschah Unglaubliches.

Franz Kromer bediente die fremden Kunden, tankte deren Wagen auf. „Wir haben uns dann in die Augen geschaut, dann habe ich sofort gesagt, ‚du bist mein Vater‘“, erinnert er sich noch genau an diesen magischen Moment. Er war sich ganz sicher, ohne zu zögern, entgegen seinem Wissen vom Tod seines Vaters. Und dann? „Sind wir uns in die Arme gefallen und es liefen Tränen“, erzählt er weiter.

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Beziehung mit Schwierigkeiten

1994 besuchte Franciszek seinen Sohn erneut. Sie verbrachten drei Wochen zusammen und tauschten viele Erinnerungen aus. Die Vater-Sohn-Beziehung wurde jedoch stets durch Franciszeks australische Frau Katherina erschwert, die nichts mit Franz oder seiner Mutter zu tun haben wollte.

Die Kommunikation musste immer heimlich über ein Familienmitglied stattfinden, das Briefe von Franz empfing und deren Inhalt dann weitergab. Auch beim Schreiben von Briefen an Franz half sie.

Ein Jahr später starb Franciszek. Katherina informierte Franz Kromer mit der Bitte, die Familie in Australien nie wieder zu kontaktieren. Alle Briefe und Fotos vernichtete sie. Ihre australischen Söhne Frank und George hatten keine Informationen zu ihrem Halbbruder in Deutschland. Erst kurz vor Katherinas Tod hatten sie überhaupt von ihm erfahren. Mehr als ein Jahrzehnt verstrich, ehe Frank und seine Partnerin ernsthaft beschlossen, den Halbbruder zu suchen. Mit Erfolg.

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Viele Gemeinsamkeiten

In einem ersten Telefonat zwischen Franz in Deutschland und Frank in Australien hat Franz seinen Halbbruder gefragt: „Warum hast du so lange gebraucht, um mich zu finden?“ Jetzt versteht er es.

Frank Pszczonka ist entschlossen, die verlorene Zeit nachzuholen. Bereits am Mittwoch begannen die Halbbrüder damit im Hinterhof von Familie Götz. Bertold Götz hatte die Zusammenkunft vor seiner Haustüre bemerkt und die Gruppe spontan zu einem kleinen Umtrunk eingeladen. Denn auch seine Familie ist Teil der Geschichte. Bis nach dem Krieg hatte sein Großvater den Hof geführt, später sein Vater und schließlich er selbst. Einige Jahre lebte und arbeitet auch Franciszek Pszczonka hier, ist Teil der Familie geworden.

Es gibt viel nachzuholen: Franz Kromer (links) und Frank Pszczonka tauschen Erinnerungen aus.
Es gibt viel nachzuholen: Franz Kromer (links) und Frank Pszczonka tauschen Erinnerungen aus. | Bild: Fröhlich, Jens

Die Halbbrüder haben derweil zahlreiche Gemeinsamkeiten herausgefunden: ihr Haaransatz, ihre Lieblingssüßigkeiten und Kuchen, ihre Karriere und ihre Liebe zu Autos. Ein paar Tage sind die Australier noch in Deutschland zu Gast, ehe sie weiterreisen. Noch im September ist jedoch ein erneuter Besuch auf der Baar geplant.