Menschen mit einer Behinderung sind Teil der Gesellschaft – wenn auch ein oft wenig sichtbarer. Rund eine Million von ihnen leben in Baden-Württemberg. Auf den Schwarzwald-Baar-Kreis heruntergebrochen sind das mindestens 23.000 Menschen, so die Zahlen des Statistischen Landesamtes.

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember haben wir uns mit vier Personen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen aus dem Städtedreieck getroffen und mit ihnen ihr Leben in ihrem Beruf und während der Corona-Pandemie gesprochen.

Daniela Moritz (48) aus Donaueschingen

Daniela Moritz arbeitet seit vielen Jahren in der Werkstatt für behinderte Menschen in Donaueschingen.
Daniela Moritz arbeitet seit vielen Jahren in der Werkstatt für behinderte Menschen in Donaueschingen. | Bild: Cian Hartung

Daniela Moritz hat einen Traum: „Ich möchte in der Altenpflege arbeiten.“ Sie ist 48 Jahre alt und hat eine geistige Behinderung. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in Donaueschingen. Dort verrichtet sie täglich handwerkliche Aufgaben für Industrieunternehmen aus der Region. Sie lebt in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen unweit ihres Arbeitsortes.

Für einige Jahre sei sie einem Kinderheim als hauswirtschaftliche Hilfskraft tätig gewesen, erzählt sie. „Aufgrund einer psychischen Erkrankung musste ich aber aufhören.“ Seither arbeite sie in der Werkstatt und fühle sie sich sehr wohl. Doch sie träumt davon, in der Altenhilfe zu arbeiten. „Ich kann gut mit Senioren und habe Spaß daran, sie im Alltag zu betreuen.“

Daniela Moritz an ihrem Arbeitsplatz in der Behindertenwerkstatt.
Daniela Moritz an ihrem Arbeitsplatz in der Behindertenwerkstatt. | Bild: Cian Hartung

Für diesen Berufsweg habe sie mehrere Praktika in dem Bereich absolviert. Wann sie in der Altenpflege arbeiten wird, ist aber unklar. „Aufgrund der Corona-Pandemie ist das schwer zu sagen“, sagt sie. Der Schritt hänge auch von der Frage ab, wann sie sich bereit fühle, die gewohnte Umgebung der Werkstätte hinter sich zu lassen.

„Ein Übergang auf den Ersten Arbeitsmarkt kommt nicht häufig vor“, sagt Harry Bohn, Arbeitserzieher bei der Behindertenwerkstätte und Ansprechpartner von Daniela Moritz. Im Durchschnitt gelinge dies bei der Werkstätte ein Mal in zwei Jahren. „Das ist typabhängig“, sagt er.

Bohn betont aber: „Nicht alle Menschen mit Behinderung haben das Ziel, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen“, sagt er. „Viele sind aber auch unsicher bei einem Jobwechsel, da die Sozialkontakte aus der Werkstatt dann wegbrechen“, erklärt Bohn. Doch an Mut mangelt es Daniela Moritz nicht. „Ich kann gut Kontakte knüpfen.“ Sie freut sich darauf, irgendwann bei der Alltagsbetreuung von Senioren Verantwortung zu übernehmen.

Alexander Merz (62) aus Unterbaldingen und Rüdiger Hauer (61) aus Donaueschingen

Alexander Merz und Rüdiger Hauer vor dem Gebäude der Firma Sick in Donaueschingen.
Alexander Merz und Rüdiger Hauer vor dem Gebäude der Firma Sick in Donaueschingen. | Bild: Cian Hartung

„Zwei richtige Firmen-Urgesteine“: So werden Rüdiger Hauer und Alexander Merz von ihren Arbeitskollegen genannt. Denn seit mehr als 30 Jahren arbeiten sie beim Standort der Firma Sick in Donaueschingen.

Hauer und Merz haben eine geistige Behinderung. Hauer erlitt diese als Folge einer Hirnhautentzündung in seiner Kindheit. Merz wurde bereits mit dieser geboren. Beide haben daher unter anderem Schwierigkeiten mit feinmotorischen Tätigkeiten sowie kommunikative Beeinträchtigungen. Doch dies hinderte sie nicht daran, nach ihrem Abschluss an der Karl-Wacker-Schule Ende der 1970er-Jahre eine Arbeitsstelle auf dem Ersten Arbeitsmarkt zu finden.

Der 62-jährige Alexander Merz ist unter anderem als betriebsinterner Postlieferant und Reinigungshelfer im Firmenlager tätig.
Der 62-jährige Alexander Merz ist unter anderem als betriebsinterner Postlieferant und Reinigungshelfer im Firmenlager tätig. | Bild: Cian Hartung

Hauer ist seither in der Fertigung tätig. „Wir schätzen ihn für seine gründliche und schnelle Arbeitsweise“, sagt sein Kollege Günter Hirt, der gleichzeitig für die Schwerbehindertenvertretung tätig ist. Merz ist unter anderem betriebsinterner Postlieferant und Reinigungshelfer im Firmenlager. Laut Hirt gelte der 62-Jährige als „außerordentlich beliebt“ unter seinen Kollegen.

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Für beide sei der Beruf seit vielen Jahren ein essenzieller Teil ihres Lebens, sagen sie – die Arbeit in einem Team, die geregelten Tagesabläufe, die Routine. Für Hauer koche der Betriebskoch sogar jeden Tag Hähnchenschenkel. „Ich bin lieber bei der Arbeit als im Urlaub“, sagt er. Die einzige Ausnahme sei die Fasnacht. „Da bin ich lieber bei den Umzügen dabei“, so der 61-Jährige. Auch Merz gibt zu, dass er sich selbst nach freien Tagen wieder auf seiner Rückkehr in das Unternehmen an der Dürrheimer Straße freue. „Da in ich froh, wieder meine Kollegen zu sehen.“

Der 61-jährige Rüdiger Hauer arbeitet seit mehreren Jahrzehnten im Unternehmen.
Der 61-jährige Rüdiger Hauer arbeitet seit mehreren Jahrzehnten im Unternehmen. | Bild: Cian Hartung

Obwohl Hauer und Merz Musterbeispiele für Inklusion sind, werde es mit der Technisierung der Arbeitsabläufe für das Unternehmen schwieriger, Menschen mit Behinderung in die Betriebe zu integrieren, sagt Hirt von der Schwerbehindertenvertretung. „Wir haben aktuell 16 Mitarbeiter mit einer Behinderung von insgesamt rund 430 Mitarbeitern“, erläutert Hirt. „Früher lag die Quote höher.“ Doch in Zeiten von schnellen Arbeitsabläufen werde es nicht leichter Menschen mit einer Behinderung einzuarbeiten und tagtäglich ihre Arbeit zu überwachen.

Josef Laufer (55) aus Sumpfohren

Josef Laufer erlitt vor rund drei Jahren einen Herzstillstand und ist seither schwerbehindert.
Josef Laufer erlitt vor rund drei Jahren einen Herzstillstand und ist seither schwerbehindert. | Bild: Cian Hartung

Es war ein heißer Sommertag im September 2018, als Josef Laufer während der Arbeit zusammenbrach. Der Sumpfohrener arbeitete wie jeden Tag an der Stanzmaschine in der Produktionshalle der Verpackungsfirma Straub. Plötzlich konnten ihn seine Beine nicht mehr halten und er sank zu Boden. „Dort lag ich, bis zwei Kollegen zur Hilfe eilten.“

Wie lange, das wisse er nicht genau. „Aber der ganze Betrieb hat stillgestanden“, erzählt er. Erst im Klinikum sei er aufgewacht und habe erfahren, was passiert sei. Die Diagnose: Herzstillstand als Folge einer Herzmuskelentzündung. Wie es zu der Entzündung gekommen sei, wisse Laufer nicht genau. „Ich vermute aber, dass an einer verschleppten Grippe lag.“

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Mit Defibrillator in der Brust lag er in den Folgetagen im Klinikum. Viele besorgte Gesichter habe er am Krankenbett erlebt. „Meine Familie und Freunde waren schockiert“, erzählt er. Er fragte sich: Wie soll es weitergehen? Wie verdiene ich als Schwerbehinderter künftig mein Geld? Der Weg vom Krankenbett über den Rollator zurück ins (Berufs-)Leben dauerte mehrere Monate. Sein Arbeitgeber bot Laufer eine Stelle an, wo er keine körperlichen Arbeiten verrichten musste. Seit Mai 2020 fährt er auf einem elektrischen Transferwagen Holzpaletten mit Verpackungsmaterial durch die Produktionshalle. „Das macht mir viel Spaß“, sagt er.

Seit dem Herzstillstand besitzt Laufer einen Schwerbehindertenausweis. Mit der Bezeichnung „Schwerbehinderter“ könne der 55-Jährige sich aber kaum identifizieren. Abgesehen vom Verzicht auf körperliche Arbeiten, habe sich das Leben für ihn wenig verändert. Doch die Auswirkungen seines Herzstillstandes merkt er noch heute. „Wenn ich lange Treppen hochgehe oder zu schwer trage, bin ich schnell vollgeschwitzt“, sagt Laufer, „und manchmal habe ich auch Wortfindungsprobleme.“

Josef Laufer an seinem Arbeitsplatz: Einem Transferwagen in der Produktionshalle der Firma Straub. Dort muss er nach seinem ...
Josef Laufer an seinem Arbeitsplatz: Einem Transferwagen in der Produktionshalle der Firma Straub. Dort muss er nach seinem Herzstillstand keine schweren, körperlichen Arbeiten mehr verrichten. | Bild: Cian Hartung

Aufgrund seiner Gesundheit war er als Vertreter der Risikogruppe im ersten Lockdown von seinem Arbeitgeber freigestellt und ließ sich früh im Betrieb impfen. „Mein Arzt sagt, ich habe ein geschwächtes Herz, daher meide ich aus Infektionsgründen Kontakte und Menschenansammlungen.“

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Doch der 55-Jährige ist auch trotz Pandemie und Gesundheitsrückschlägen positiv geblieben. „Das Schönste daran ist, dass ich ohne große Schäden davongekommen bin“, sagt Laufer, „mittlerweile genieße ich das Leben noch mehr.“ Trotz seiner Beeinträchtigung denkt er noch lange nicht an die Rente. „Ich möchte so lange arbeiten, wie es geht.“