Es sind nur ein paar Minuten, die das Leben von Tina Fien und ihrer Familie nachhaltig verändern. Dem SÜDKURIER schildert die 31-Jährige die Attacke am Donnerstag, 22. Juli. Denn an diesem Tag sei sie von einem Nachbarshund gebissen worden – unvermittelt und brutal. „Das war morgens gegen zehn vor 8 Uhr. Ich wollte meine Kinder in den Kindergarten bringen“, berichtet sie.
Kinder schrecken zurück
Auf der Seite ihres Hauses gibt es keinen Gehweg, also weicht Fien mit ihren beiden Kindern wie gewohnt auf den gegenüberliegenden Bürgersteig aus. Nahe dieses Grundstücks – nicht von einem Zaun umgeben – folgt dann ganz plötzlich ein absoluter Schockmoment. „Meine Kinder waren circa zwei Schritte vor mir, als die Haustüre aufgeht und – so schnell konnten wir gar nicht schauen – der Hund rausgeschossen kommt“, erinnert sich Fien. Ihr zwei Jahre alter Sohn und dessen vier Jahre alte Schwester seien sofort einen Schritt zurückgewichen, „weil sie natürlich erschrocken sind“. Das Tier, so Fien, habe sich direkt vor ihrer Tochter aufgebaut, „ich habe dann nur noch reagiert“.
Unvermittelter Angriff
Die Kinder habe sie schnell hinter sich befördert, erzählt die Mutter von dramatischen Szenen mitten im beschaulichen Dorf Grüningen. Der Nachbarshund sei auf sie losgegangen, habe sie am Bein erwischt. „Ich bin umgefallen, auf meine Kinder drauf.“ Beim ersten Zubeißen soll der Hund, welcher Tina Fien laut eigener Aussage einmal als rumänischer Hütehund vorgestellt wurde, ein Stück Fleisch aus ihrem Bein gebissen haben; ein weiteres Mal habe er versucht, ihr Bein zu umfassen. „Ich hatte auch blaue Flecken“, so Fien mit aufgeregter Stimme. „Irgendwann hat jemand den Hund von mir weggezogen, für mich ging es gefühlt ewig.“

Während Mutter und Kinder zunächst mitten auf der Straße gelegen seien, habe sie erst später gesehen, „wie ich eigentlich aussehe“. Fiens Mann habe die blutbedeckte Straße sauber gemacht. Ein anderer Nachbar, der Kinderarzt ist, habe die Erstversorgung übernommen. Sie wisse nicht, was passiert wäre, wenn sie sich nicht vor ihre Kinder gestellt hätte. Und eigentlich wolle die 31-Jährige auch gar nicht darüber nachdenken, sagt sie.
Obwohl die Hundehalterin die Geschädigte selbst ins Krankenhaus fährt, wo Fien unter Tränen und Schock mit fünf Stichen genäht wird, erstattet Fien am Tag darauf Anzeige bei der Polizei. Warum? Die zweifache Mutter spricht von wenig Verständnis und Rücksicht der Nachbarn – gleichwohl wolle sie aber nicht noch mehr schüren. „Wir haben jetzt einen Zaun gebaut, weil wir uns nicht mehr sicher gefühlt haben. Es ist ein Bär von Hund, der wohl dazu da ist, einen Hof zu beschützen.“ Und das in ihrer ländlichen, ruhigen Wohngegend. Tina Fien kritisiert, dass sie als Opfer alles habe machen müssen. Die Polizei habe es innerhalb einer Woche nicht hinbekommen, den Vorfall dem städtischen Ordnungsamt zu melden, „das habe ich selber gemacht. Das geht einfach nicht, da geht es um kleine Kinder.“ Es könne nicht sein, „dass wir jetzt diejenigen sind, die Angst haben und für die eigentlich alles normal weitergeht“.
Staatsanwaltschaft eingebunden
Aber hatte der Vorfall wirklich keinerlei Konsequenzen? Vonseiten der Polizei ist auf Nachfrage zu erfahren, dass der Sachverhalt angezeigt worden sei. Die Ermittlungen richten sich nach Aussage eines Sprechers gegen eine 60-jährige Hundehalterin. „Wir haben das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung bereits am 20. August an die Staatsanwaltschaft Konstanz abgegeben“, heißt es darüber hinaus. Dies wird von dieser Stelle bestätigt: „Die Akten sind bei uns eingegangen. Das Verfahren dauert an, Stellungnahmen stehen noch aus“, teilt der Leitende Oberstaatsanwalt, Johannes-Georg Roth, mit. Derzeit erhalte der anwaltliche Vertreter der Geschädigten Akteneinsicht.
Der SÜDKURIER fragt bei der Hundehalterin nach. Sie spricht mit uns, für sie gilt die Unschuldsvermutung. „Unter Nachbarn löst man solche Konflikte anders, nicht über die Staatsanwaltschaft. Das gehört sich nicht“, kritisiert die Frau. Eine gute Nachbarschaft jedenfalls fördere Tina Fien mit ihrem Vorgehen nicht. Aufgelöst und unter Tränen berichtet die Hundehalterin, sie werde von den umliegenden Nachbarn gemobbt. Das ginge sogar soweit, dass Aussagen kämen, sie gehöre ins Gefängnis. So etwas habe sie in der langen Zeit, in der sie in Grüningen lebe, noch nie erlebt.
Für eine Sekunde sei sie an besagtem Vormittag unachtsam gewesen, habe ihren Hund nicht im Blick gehabt. Diesen Fehler gibt sie zu. Allerdings sei sie damals total durch den Wind gewesen, da sie kurz zuvor von einem Sterbefall innerhalb der Familie erfahren habe. „Mein Hund hat Frau Fien außerdem nicht angesprungen, sie ist rückwärts über ihre eigenen Beine gefallen“, hat sie eine andere Sicht auf den Sachverhalt. Im Nachgang habe sie den Vorfall aufgearbeitet. Ihr Hund habe beispielsweise bei einer Begutachtung „gut abgeschnitten“.
„Was mir passiert ist, kann jedem wieder passieren.“Tina Fien, Opfer einer Hundebiss-Attacke
Wie Tina Fien berichtet, ist der Hund zwar mittlerweile als gefährlich eingestuft, – er müsse beispielsweise beim Gassigehen einen Maulkorb tragen und an der Leine geführt werden – doch diese Pflicht bestehe eben nur für solche Zwecke, nicht etwa auf dem eigenen Grundstück. „Die müssen nicht mal einen Zaun bauen. Was mir passiert ist, kann also jedem wieder passieren“, ist sie fassungslos. Zuhause könnten die Halter weiterhin tun, was sie wollten, so die Einschätzung Fiens. Die getroffenen Maßnahmen seien für sie nicht zufriedenstellend.

Indes sitze der Schock bei der Familie so tief, dass Tina Fien mit ihren Kindern in psychologischer Behandlung ist. „Weil sie bei jedem Hund zurückschrecken und Panik bekommen. Meine Kinder laufen nicht mehr an diesem Haus vorbei, aber jeden Tag kommen viele Kinder auf diesem Weg zum Kindergarten oder zur Schule“, schildert die 31-Jährige. Im Dorf habe jeder von dem Angriff mitbekommen, es spreche sich rum. „Man sieht, dass kaum einer mehr auf der Seite läuft, wo der Hund wohnt, sondern lieber auf der Straße“, so Fien, die ebenso einen Bogen mache und aus Angst außenrum gehe. „Es ist unser Haus, das haben wir gekauft, da wollen wir auch bleiben“, wehrt sie sich etwa gegen Aussagen, ihre Familie könne doch einfach woanders zur Miete hinziehen.
„Es ist unser Haus, das haben wir gekauft, da wollen wir auch bleiben. Es muss sichergestellt sein, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann.“Tina Fien
In erster Linie wünsche sich Tina Fien mehr Handeln von Behördenseite, ein frühzeitiges Informieren über die jeweilige Lebenssituation. „Meiner Ansicht nach muss immer geprüft werden, ob der Hund zu den Haltern passt. Ob er richtig erzogen wird und ob man mit seinem Wesen umgehen kann“, fordert sie. Dazu gehöre womöglich noch ein Zaun für eine richtige Umgebung. „Es muss sichergestellt sein, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann. Wenn der Hund auch zuhause einen Maulkorb tragen muss, dann ist das eben so.“

Früher habe sie nie ein Problem mit Hunden gehabt, sagt die gebürtige Bräunlingerin. Sie wolle nicht zwingend, dass der Hund eingeschläfert wird: „So ein Hund ist nicht immer gleich böse.“ Fien möchte angelehnt an ihren eigenen Fall für mehr Sicherheit kämpfen, gerade für kleine Kinder. Solch eine Attacke wie am 22. Juli dürfe schließlich nicht erneut geschehen.