Eigentlich wollten René und Heidrun Janaschak an diesem Sonntag im März bloß eine wenig durch die Stadt flanieren. Ein Sonntagsspaziergang eben. Durch die Karlstraße. Einen Blick in die Schaufenster werfen – gemütlich. Doch es sollte anders kommen.
„Da war er plötzlich weg“
„Wir waren vorne an der Karlstraße. Ich kenne den Kneipier vom Irish Pub und wollte dort kurz einen Blick hineinwerfen“, beschreibt René Janaschak. Es geht weiter in Richtung Zeeman. Heidrun Janaschak geht etwas nach vorne und schaut bei dem Geschäft durchs Fenster: „Da war er plötzlich weg.“ Abgestürzt.
Am Oberschenkel verletzt
Zwischen Straße und Gehweg zieht sich an dieser Stelle ein langer Lichtschacht die Karlstraße entlang. Abgedeckt mit einem Gitter, das verhindern soll, dass jemand die rund 1,50 Meter in die Tiefe stürzt. Doch das Gitter hält nicht, das Metall ist verrostet, der Beton porös. René Janaschak stürzt mit einem Bein hinab und zerkratzt sich dabei den Oberschenkel.

Er will nicht jammern und die Verletzung sieht in seinen Augen aus wie ein Kratzer. Zuhause ändert sich das jedoch rasch. Die betroffene Stelle am Bein wird immer dicker und beginnt zu Schmerzen. Vom Hausarzt gibt es Schmerzmittel, ein Röntgenbild zeigt: Nichts ist gebrochen.
Ins Krankenhaus
Der Schmerz lässt jedoch nicht nach – sondern wird schlimmer. Schließlich wird der Krankenwagen gerufen: „Der Sanitäter hat gesagt, er habe so etwas noch nie gesehen“, erklärt Janaschak. Der Oberschenkel ist dick geschwollen, jetzt muss der Verletzte doch noch ins Krankenhaus. Dort wird er vorerst eine Woche bleiben. Ein riesengroßer Bluterguss muss behandelt werden. Kaum ist er wieder Zuhause entzündet sich das Ganze – und er muss abermals operiert werden. Bis nach Ostern ist er krankgeschrieben.

Stelle abgesichert
Wie schlimm es ihn treffen würde, das spürte René Janaschak anfangs nicht: „Vermutlich durch das Adrenalin. Ich dachte, das ist eine Schramme.“ Schließlich sei jemand von der Feuerwehr gekommen und habe die Stelle abgesichert. „Jetzt liegt da ein Holzbrett mit Sandsäcken über der Stelle“, so Janaschak. Als er später bei der Polizei angerufen habe, wusste man dort, worum es geht. Allerdings habe es dort geheißen: „Man könne nicht verlangen, dass der Eigentümer alle Stunde nach dem verrosteten Rahmen sieht“, sagt René Janaschak.
Nicht der einzige Vorfall
Er wundert sich jetzt, warum an der betroffenen Stelle noch nichts passiert ist: „Unter dem Brett ist der Schacht ja weiter offen.“ Und es sei Glück, dass nicht noch mehr passiert sei, sagt seine Frau. Allerdings irrt sie sich damit: An dieser Stelle ist noch mehr passiert.

Tags zuvor war die 69-jährige Gerlinde Bayer in der Stadt unterwegs. Sie bummelte durch die Läden, wollte zum Abschluss noch bei Zeeman vorbeischauen. Beim Elegance Barbershop wechselt sie die Straßenseite. Dort muss sie jenen Schacht überqueren, in den am folgenden Tag René Janaschak stürzen wird.
Der Sturz
„Ich bin daran hängengeblieben und mit voller Wucht gegen den Zeeman-Eingang geflogen“, beschreibt Bayer den Vorfall. Sie habe noch versucht sich an einem Kleidungsständer festzuhalten, der habe nachgegeben. „Ich lag dann halb unter den Ständern.“ Der Vorfall wird von etlichen Menschen beobachtet, die zu Hilfe kommen. Ein Mann hilft ihr schließlich auf, setzt sie auf die nahe Bank. „Er fragte, ob wir einen Rettungswagen rufen sollen. Das wollte ich zu dem Zeitpunkt nicht. Ich war unter Schock“, sagt Bayer.
Brennender Schmerz
Ihre Tochter lebt nur ein paar Straßen weiter. Der freundliche Helfer fährt Gerlinde Bayer dorthin. „Ich hatte einen brennenden Schmerz in der Schulter“, sagt sie. Enkel und Tochter überzeugen sie schließlich, sofort ins Klinikum zu fahren. Sie sei dort schnell und gut behandelt worden. Was erst später festgestellt wird: Das Schlüsselbein ist gebrochen, Bänder gedehnt und angerissen.
Kann ein Vierteljahr dauern
Bayers Glück: Operiert werden muss sie nicht. Es gibt Krankengymnastik – und Geduld ist notwendig. Den Haushalt mit nur einer Hand zu stemmen ist ungewohnt. „Aber es geht. Ich bin immer positiv.“ Vier Wochen ist sie jetzt schon krank. „Das kann bis zu einem Vierteljahr gehen, bis ich wieder voll belastbar bin.“ Bayers Tochter habe später in der Stadt gesehen, dass der Schacht mit einem Brett überdeckt sei. „Ich laufe eigentlich nie von dieser Richtung an den Laden, ich komme immer durch die Passage. Nur an diesem Tag habe ich das gemacht“, erzählt Gerlinde Bayer.
Was sagt die Stadt
Seitens der Stadt wird bestätigt, dass die Donaueschinger Feuerwehr am Sonntag, 6. März, um 17.29 Uhr von der Polizei angefordert worden war, in der Karlstraße 25 einen Lichtschacht zu sichern, dessen Abdeckung fehlte: „Der Lichtschacht wurde von der Feuerwehr mit einer Sperrholzplatte abgedeckt und mit Sandsäcken beschwert“, erklärt Rathaussprecherin Beatrix Grüninger.
Wer ist Eigentümer?
Wie Grüninger erklärt, handle es sich bei dem betroffenen Schacht um einen privaten Kellerlichtschacht: „Die Hausverwaltung der Hauseigentümergemeinschaft Karlstraße 25 ist über den Schaden informiert und wird die fehlende Abdeckung baldmöglichst ersetzen lassen. Bis dahin wird das Provisorium verbleiben“, so Grüninger weiter.
Und wer haftet?
Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, hat die Pflicht, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen oder Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um Schäden anderer zu verhindern – so die Definition der Verkehrssicherungspflicht. Sie ist eine Verhaltenspflicht in Deutschland zur Abwehr von Gefahrenquellen, deren Unterlassen zu Schadensersatzansprüchen führen kann.
Zum Anwalt
René Janaschak ist mit der Sache mittlerweile zum Anwalt gegangen, um genau diese Frage klären zu lassen. Er sieht die Schuld beim Eigentümer: „Wenn ich vergesse Schnee zu schippen und jemand rutscht auf dem nicht geräumten Weg aus, dann hafte ich“, sagt seine Frau. „Hier gibt es auch eine Obhutspflicht.“ Laut Gerlinde Bayer ist an der betreffenden Stelle nie etwas gemacht worden. Auch sie hat einen Anwalt eingeschaltet. „Ich will keinen Profit daraus schlagen“, sagt sie. „Eine Entschuldigung würde mir schon reichen.“