Hildegard Moser steht unvermittelt von ihrem Stuhl auf und läuft zu einem Regal an der gegenüberliegenden Wand. Aus einem der unteren Fächer holt sie ein Herz heraus. Aus Holz, rosa lackiert. Sie legt es auf den kleinen Beistelltisch, an dem normalerweise die Klienten sitzen und grinst fast schon ein wenig schelmisch.

„Das stelle ich immer auf den Tisch, damit die Beziehung auch anwesend ist.“ Sie setzt sich wieder auf ihren Stuhl, richtet die Strickjacke und sagt mit einem Lächeln im Gesicht: „Ich sehe mich als Anwältin der Beziehung.“ Hildegard Moser, 58 Jahre alt, ist Paar- und Sexualtherapeutin mit einer kleinen Praxis am Krebsgraben in Villingen.

Teil 1: Die Paare

Das Herz stellt sie immer auf den kleinen Tisch der Klienten. Es steht für die Beziehung. „Die soll immer auch anwesend ...
Das Herz stellt sie immer auf den kleinen Tisch der Klienten. Es steht für die Beziehung. „Die soll immer auch anwesend sein.“ Sie sagt: „Ich sehe mich als Anwältin der Beziehung.“ | Bild: Anja Ganter

Aktuell ist sie mehr oder weniger ausgebucht. Spontan kann sie Paare manchmal aber noch aufnehmen. Ist Corona Schuld? Moser lacht. „Nein, das war schon immer so.“

40 Prozent der Ehen werden aktuell in Baden-Württemberg geschieden. Die meisten nach sechs oder sieben Jahren und dann wieder nach 25 bis 30 Ehejahren. Wie viele Paare sich nach der Therapie bei ihr nochmal zusammenraufen und wie viele es nicht schaffen, das weiß Moser nicht. Manchmal hat sie Paare, die kamen Jahre nicht mehr und stehen dann wieder auf der Matte, wenn es wieder schlechter läuft.

Manchmal kommt auch nur ein Teil des Paares. Meist mit den Worten: „Mein Partner schickt mich, ich bin das Problem.“ Das kann vieles sein. Kein Orgasmus, Erektionsstörungen, ein frühzeitiger Samenerguss. „Reparieren Sie mich“, sagen sie. Oder: „Reparieren Sie den anderen.“ „Oh ja, das wäre schön“, sagt Moser dann. Sie kann höchstens herausfinden, warum es so ist. Verändern muss sich am Ende jeder selbst.

Ihre Erfahrung: „Wenn es im Alltag schwierig ist, ist es oft auch in der Sexualität schwierig und umgekehrt.“

Teil 2: Die Probleme und die Lösungen

Die „Gärten“ zeichnet Hildegard Moser gerne auf, um den Paaren ihre Räume begreifbar zu machen. Es gibt den ...
Die „Gärten“ zeichnet Hildegard Moser gerne auf, um den Paaren ihre Räume begreifbar zu machen. Es gibt den „Einzelgarten“, den „Paargarten“, den „Familiengarten“. Jeder Garten muss für sich allein gepflegt werden. Das vergessen viele im Alltagsstress. | Bild: Anja Ganter

„Der stinkende Fisch muss auf den Tisch“, sagt Moser. Und meint damit: Alle Probleme müssen angesprochen werden, sonst kann eine Beziehung nicht gelingen. Regel Nummer eins.

Man ist selten allein mit einem Problem. Regel Nummer zwei. „Oft kommen die Paare und denken, es geht nur ihnen so.“ Das betrifft vor allem junge Paare. Oft sind sie gerade Eltern geworden, wenn sie bei Moser in der Praxis stehen. Oft haben sie unter Hashtags wie „#mumsofinstagram“ gesehen, wie andere Familien leben. „Da wird oft vermittelt, dass alles geht“, sagt Moser. Blitzblankes Haus, durchtrainierter Körper, Job, Urlaub, immer lächelnde Kinder. „Das ist nicht die Realität“, sagt Moser dann. Die Realität ist: Gut aushandeln, wer wann was macht. Realität ist: die Woche gut im Voraus zu planen. Realität ist: „Eltern sein ist mit Anstrengung verbunden.“

Jeder muss seinen eigenen Bereich haben. Regel Nummer drei. „Gute Eltern sorgen zuerst für sich und ihre Beziehung. Kinder spüren, wie gehen Mama und Papa miteinander um.“

Bei physischer Gewalt ist für Moser Schluss. Regel Nummer vier. „Meine Aufgabe ist es, neutral zu sein. Die Neutralität muss ich dann aufgeben und dafür sorgen, dass die Gewalt aufhört.“ Sie hat schon Frauen aus Gewaltbeziehungen heraus begleitet. Drei bis vier Anläufe braucht es oft, bis es jemand schafft.

Viel häufiger als physische Gewalt, begegnet Moser bei ihren Klienten die psychische Gewalt. Der Partner, der nach einem Streit tagelang untertaucht, der einen niedermacht mit zynischen Kommentaren, einen mit Verachtung straft oder mit Vorwürfen überhäuft.

Und was ist dann die Lösung? „Die Lösung gibt es nicht“, sagt Moser. Man kann sich fragen, was kann man stattdessen tun? Und man kann lernen, Grenzen aufzuzeigen.

Teil 3: Kinder und Sexualität

Das Thema ist mitunter heikel und keines, dass man beim Eltern-Kind-Turnen anspricht oder beim Schwätzchen nach dem Elternabend. Umso wichtiger aber ist es, dass man ein wenig lockerer wird. Es nicht unnötig tabuisiert. Der erste Schritt dazu, sagt Hildegard Moser, sei es Worte für die Genitalien zu finden. Keine verspielten, vermeintlich süßen Worte. Scheide. Penis. Vulva. Das reicht. „Es ist wichtig, sich ausdrücken zu können“, sagt Moser. Je früher Kinder das lernen, umso besser.

Ebenso wichtig ist es, nichts als eklig oder schmutzig zu bezeichnen, was am Ende normal ist. Wenn sich der Penis des Jungen erigiert zum Beispiel, oder das Mädchen seine Periode bekommt. „Man muss sie darin bestärken, dass es etwas Positives ist. Auch wenn Kinder sich selbst berühren, ist das wichtig für die Entwicklung.“

Moser sagt nicht „Masturbation“. Nie. Das Wort ist ihr zu negativ behaftet. Zu sehr „das macht man nicht“. Sie sagt Solo-Sex, Selbstbefriedigung oder: Wenn Sie sich etwas Gutes tun wollen.

Und was sagt man denn dann dem Kind, wenn man es beim Solo-Sex erwischt? Moser lächelt. Sie kennt die Frage. Und antwortet so nonchalant, als würde sie erzählen, was sie heute zum Frühstück hatte. „Ich würde sagen, es ist wichtig, dass es sich kennenlernt. Auch als sexuelles Wesen. Aber auch, dass es wichtig ist, seine Grenzen zu kennen. Dass man dafür einen geschützten Raum braucht, zum Beispiel.“

Die Grenzen sollten aber auch auf der anderen Seite eingehalten werden. „Es kommen auch Erwachsene zu mir und sagen, es war zu viel, was ich erlebt habe als Kind.“ Beispielsweise wenn Kinder beim Geschlechtsakt der Eltern dabei sind.

„Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt Hildegard Moser. Und sie muss es ja wissen.

Zum Schluss: Drei Tipps für eine glückliche Beziehung

Hildegard Moser ist nicht nur Therapeutin. Sie ist auch Ehefrau und Mutter. Privatmensch eben. Sie erwischt sich auch dabei, dass sie manchmal anders reagiert, als sie das ihren Klienten selbst raten würde. Das ist normal. Das ist menschlich. Das Geheimnis ihrer Beziehung: Humor.

Also Frau Moser, wenn Sie drei Wünsche hätten, wie Menschen sich verhalten sollten, um glücklicher zu sein mit sich und dem anderen. Welche wären das?

1. Gut zuhören (das heißt, vor allem richtig zuhören – also das hören, was der andere wirklich meint).

2. Sich selbst nicht so wichtig nehmen (Humor hilft immer, vor allem, wenn man auch mal über sich selber lachen kann).

3. Dem Anderen was Positives unterstellen (sich auch mal fragen: könnte der andere nicht auch was Positives wollen – und nicht immer gleich vom Schlechten ausgehen).