Antworten auf große Fragen zum Weltgeschehen und konkrete Empfehlungen zum persönlichen Handeln: Das gab es am Montagabend für die 900 Zuhörerinnen und Zuhörer beim VS-Forum des SÜDKURIER mit Linken-Politiker und Bundestags-Alterspräsident Gregor Gysi. Von der Fragerunde im Anschluss an die Talkrunde auf der Bühne haben die Besucher ausgiebig Gebrauch gemacht.

Mit 900 Gästen ist die Neue Tonhalle am Montag voll besetzt. Auf der Bühne: Gregor Gysi.
Mit 900 Gästen ist die Neue Tonhalle am Montag voll besetzt. Auf der Bühne: Gregor Gysi. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Gysi, bekannt als Rhetorik-Ass, hatte sich zuvor mit SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz gut eineinhalb Stunden lang eloquent die Bälle zugespielt und dabei Applaus und Lacher – nicht zuletzt dank seiner Selbstironie – gleichermaßen geerntet.

„Was können wir konkret tun gegen den Rechtsruck? Was raten Sie uns jungen Menschen, was sollen wir tun, um die Demokratie zu schützen?“ wollte Leonie Kinzel, Studentin der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule, von Gregor Gysi wissen.

Leonie Kinzel will wissen, wie man dem Rechtsruck entgegnen kann.
Leonie Kinzel will wissen, wie man dem Rechtsruck entgegnen kann. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Der erste Rat des Linken-Politikers: „Bilden Sie sich gut aus.“ Ungelernt, ohne Beruf und Perspektiven, werde es schwierig. Zweitens: „Sie dürfen nicht allein kämpfen, sondern müssen sich organisieren.“ Dann gelte es, Protestformen zu finden, bei denen man die Mehrheit der Bevölkerung mitnehme. Wer sich morgens auf die Straße klebe und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer daran hindere, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, mache sich keine Freunde – selbst wenn man unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes Recht habe.

Wenn Beamte zu spät kommen

Er wolle ja nicht zu einer Straftat aufrufen, meinte Gysi verschmitzt, – aber wenn man sich vor ein Bundesministerium klebe und die Beamten eine halbe Stunde später in den Feierabend starten könnten – „das hält die Mehrheit der Bevölkerung aus“.

Unterhaltsame Talk in der Neuen Tonhalle: Gregor Gysi (links) und SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz.
Unterhaltsame Talk in der Neuen Tonhalle: Gregor Gysi (links) und SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Wieder einmal Lacher-Punkte für den 77-Jährigen. Und er setzt gleich noch einen drauf: Den Protest gegen Rechts mit einem Schuss Humor garnieren. „Dagegen haben die überhaupt kein Mittel. Es ist der humorloseste Haufen, den ich je kennengelernt habe.“

Gefahr durch Social Media

Auch Gymnasiallehrerin Angelika Schneider aus Konstanz sorgt sich um die Demokratie, und vor allem darum, was Social Media hier anrichten kann: „Was schätzen Sie, wie groß ist die Gefahr für die Demokratie durch Social Media?“

Angelika Schneider, Lehrerin aus Konstanz.
Angelika Schneider, Lehrerin aus Konstanz. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Groß, sagt Gysi klar. „Groß – es ist eine Chance und Gefahr, weil das Recht immer hinterher hinkt.“ Im Gegensatz zu Rundfunk und Zeitungen, wo es beispielsweise die Möglichkeit der Gegendarstellung gebe, würden sich Juristen bis heute zu wenig Gedanken darüber machen, wie in den sozialen Medien ein rechtlicher Rahmen abgesteckt werden kann. „Das kannst du bei Social Media alles vergessen.“

Es fehlt die unabhängige Einschätzung

Gysis Wunschvorstellung: Eine unabhängige Bundesbehörde, ähnlich dem Bundesrechnungshof, deren Aufgabe es wäre, den Wahrheits- und Echtheitsgehalt von Nachrichten und Waren unabhängig zu überprüfen. „Und wenn die es nicht wissen, sagen sie: Wir wissen es noch nicht, aber wir recherchieren es und sagen Ihnen in einer Woche Bescheid.“

Gerd Kirchner aus Marbach.
Gerd Kirchner aus Marbach. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Gerd Kirchner aus Marbach, Dozent an der Hochschule Furtwangen, möchte wissen, welche drei konkreten Maßnahmen Gysi beschließen würde, wenn er könnte. Der Linken-Politiker muss nicht lange überlegen. Gleiche Chancen für Bildung, Kunst, Kultur und Sport für alle Kinder und Jugendlichen in allen 16 Bundesländern wären das eine: „Es würde irrsinnige Kosten und unglückliche Biographien sparen, wenn wir das endlich durchsetzen würden.“

Der Unterschied zwischen Steuern und Enteignung

Das zweite wäre der Versuch der Steuergerechtigkeit – nicht im überzogenen Sinne, wie es seine Partei mitunter mache. „Denen muss ich hin und wieder erklären, dass es einen Unterschied zwischen Steuern und Enteignung gibt.“

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Konzerne und „die wirkliche Reichen“ würde er angemessen heranziehen, ähnlich wie es das US-Recht vorsieht, um die bürgerliche Mitte zu entlasten: „Die könnten hinziehen, wo sie wollen, aber blieben hier steuerpflichtig.“ Dritter Punkt: Alle Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten und Sozialleistungen jährlich automatisch um die Inflationsrate erhöhen. „So würde nie ein Mensch ärmer und die Kaufkraft nähme nicht ab.“

Gisela Rösch aus Donaueschingen.
Gisela Rösch aus Donaueschingen. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Wie Gysi die aktuelle Gefahrenlage für Deutschland einschätze, möchte Gisela Rösch aus Donaueschingen wissen.

Es fehlt an psychologischer Betreuung

Auch hier hat Gysi eine klare Meinung: Der ganze psychiatrische und psychologische Dienst in Deutschland müsse deutlich verbessert und verändert werden. „Es gibt Menschen, die krank sind. Die gehören in ein Krankenhaus und nicht auf die Straße“, sagte er im Hinblick auf den Attentäter von Magdeburg, der kurz vor Weihnachten sechs Menschen tötete und im Vorfeld mehr als 100 Mal auffällig geworden war, unter anderem wegen Drohungen, Menschenhandel und Beleidigung.

Veronika Maier.
Veronika Maier. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Welchen Moment der Geschichte er für eine Ironie halte, fragt Veronika Maier. Ironie könne man das nicht nennen, aber was ihn störe: In den 50er und 60er Jahren seien die Mörder aus den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten reihenweise freigesprochen worden, weil man hätte belegen müssen, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit welche konkrete Person getötet worden sei.

Wenn Greise vor Gericht stehen

Heute habe die Bundesrepublik ein schlechtes Gewissen und stelle 98-Jährige vor Gericht, die im Zweifelsfall während des Prozesses versterben würden. „So kann man solche Dinge nicht reparieren.“ Man müsse sie aufarbeiten.

Matthias Werner aus Donaueschingen.
Matthias Werner aus Donaueschingen. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Wie kann man Wladimir Putin stoppen? Diese Frage treibt Matthias Werner aus Donaueschingen um. Beim Thema Rüstung – Gysi kritisierte im Vorfeld, dass private Rüstungskonzerne ungeheuer viel Geld an Kriegen verdienen – spreche ihm der Linken-Politiker aus der Seele.

Der Westen hätte aktiv werden müssen

Putin denke imperialistisch, weil er Europa und den USA klarmachen wolle, dass er für die ehemaligen Sowjetrepubliken mit Ausnahme der baltischen Staaten – zuständig sei „und nicht wir“. Er selbst habe immer dafür plädiert, dass der Waffenstillstand vom Westen ausgehen müsse, und zwar rechtzeitig, bevor Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt würde.

Damit hätte man für die Ukraine mehr herausgeholt, als jetzt Trump herausholen werde. Seine Sorge: Trump und Putin könnten sich wieder auf Einfluss-Sphären verständigen, wie es 1945 bei der Jalta-Konferenz der Fall war. „Meine Sorge ist, dass sie die Welt wieder ein bisschen neu aufteilen.“

Kilian Boos ist für das VS-Forum extra aus Konstanz nach Villingen gekommen.
Kilian Boos ist für das VS-Forum extra aus Konstanz nach Villingen gekommen. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Kilian Boos aus Konstanz, Schülersprecher des Konstanzer Humboldt-Gymnasiums und in der Linken Jugend aktiv, fragt, ob er die Tatsache, dass SPD und Grüne bei seiner Eröffnungsrede im Bundestag fast gebündelt nicht geklatscht hätten, für eine Gefahr für die Demokratie halte. Der Diskurs sei scheinbar so weit nach rechts abgedriftet, dass man sich nicht einmal mehr selbst gegenseitig Respekt zollen könne, indem man nach einer sehr guten Rede applaudiere.

Julia Klöckner macht den Anfang

Nein, sagt Gysi. Die Linke habe vollständig geklatscht, bei Grünen und SPD immerhin mehr als die Hälfte. Bei der AFD war es niemand, und bei der Union gab es immerhin eine Ausnahme: Julia Klöckner, die neue Bundestagspräsidentin: „Ich finde, das ist doch immerhin ein Beginn in der Union.“