Der Angeklagte ist erst 19 Jahre alt, hat aber schon eine beachtliche kriminelle Karriere hinter sich, sitzt in Jugendhaft und muss sich jetzt vor der Jugendstrafkammer des Rottweiler Landgerichts wegen versuchten Totschlags verantworten.

Der Vorwurf der Anklage: Im Sommer 2024 soll er einen 17-Jährigen in einem Teilort von Hüfingen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben. Ein Stich in den Rücken hatte die Lunge perforiert, „nur durch schnelles Eingreifen wurde verhindert, dass er starb“, so die Anklage.

Mit seinem braunen Locken und dem kleinen Kinnbart wirkt er wie der nette Junge von nebenan. Doch die Fragen des Richters bringen einen Lebenslauf zum Vorschein, der von vielen Problemen erzählt. Mehrere Schulwechsel, die Förderschule ohne Abschluss verlassen. Eine Berufsausbildung? Fehlanzeige.

Lebenslauf voller Probleme

Förderprogramme wie das Berufsvorbereitungsjahr in Tuttlingen hat er ebenfalls abgebrochen, stattdessen die Zeit mit älteren Freunden verbracht, die ihn angeblich mit Cannabis und Koks versorgten. Nein, Alkohol trinke er keinen, betonte der 19-Jährige.

Mit 14 zerlegte er das Auto der Eltern, es folgten Diebstähle und Einbrüche, ein Aufenthalt in der Luisenklinik in Bad Dürrheim, schließlich eine Bewährung und nun der Jugendknast. Dort gebe es zahlreiche Angebote, betonte Richter Karlheinz Münzer. Der 19-Jährige scheint keines davon wahrzunehmen.

An dem Augustabend habe er seine Freundin in dem Dorf bei Hüfingen besucht. Seine Freundin habe ihn überreden wollen, auf eine Party mitzugehen, aber er habe keine Lust und Kopfweh gehabt.

Grundlos geohrfeigt?

Gegen drei Uhr morgens seien sie dann doch hingegangen, und bei der Kirche auf die Gruppe Jugendlicher getroffen, zu deren Party sie wollten. Zwei der Mädchen hätten ihn grundlos geohrfeigt, sagt der Angeklagte. Die Jungs seien auf ihn losgegangen, mit dem Messer habe er sich verteidigen wollen.

Es sei ein Schweizer Taschenmesser gewesen, das er in seiner Bauchtasche aufgeklappt habe. „Mit zwei Händen?“ fragt der Richter nach. Auch der Rechtsmediziner will es genau wissen, hat einen Meterstab in der Aktentasche, misst, wie weit der 19-Jährige die Finger auseinanderhält, um die Klingenlänge anzuzeigen.

Acht Zentimeter, das könnte mit der Tiefe der Wunde seines Opfers übereinstimmen, neun Zentimeter tief, zwei Zentimeter breit.

Der Richter fragt weiter: Wo er das Messer erstanden, wie viel er dafür bezahlt habe? Denn die Tatwaffe fehlt. Er habe sie in einen Gully geworfen, so der Angeklagte. „Die Polizei hat alle Gullys durchsucht“, gibt ihm der Richter zu bedenken.

Angeklagter versteckte sich im Wald

Der 19-Jährige bleibt dabei, beschreibt den Ort des Gullys ungefähr, bei einer Scheune, in der Nähe eines Spielplatzes. Es habe geplatscht, als er es hineingeworfen habe – nach der Tat, auf dem Weg in den Wald. Dort versteckte er sich, bis die Polizei ihn über das Handy seiner Freundin anrief und aufforderte, sich zu stellen.

Warum er zugestochen habe, ob er davor Drogen genommen habe? Der 19-Jährige verneint und redet von den Beleidigungen, die hin und her flogen, „ich stand unter Adrenalin“, und dann „bin ich so in meinen Gedanken.“ Richter Münzer nahm es ihm nicht ab: „Sie säßen nicht hier, wenn Sie der reflektierte junge Mann wären, der überlegt, warum ihn die Damen denn wohl geschlagen haben!“

Jugendliches Opfer beschreibt Attacke deutlich anders

Aus dem Mund des 17-jährigen Opfers klingt es dann auch ganz anders: Der Angeklagte sei aggressiv gewesen, unter Drogen gestanden, man habe ihn nicht auf der Party haben wollen, da er als einer bekannt war, der Stress macht. Er habe ihn im Streit geschubst, der 19-Jährige daraufhin das Messer mit einem Klick aufgeklappt und zugestochen.

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Wie genau, das muss der Rechtsmediziner herausfinden. Der Angeklagte selbst sagt, er habe nur „piksen“ wollen, den anderen Angst einjagen wollen, der Stich in den Rücken sei ein Versehen gewesen. Rechtsmediziner Frank Wehner vergleicht währenddessen die Fotos der Wunden des Opfers und versucht, die Stichbewegung nachzuvollziehen.

Risiko des Stichs war dem Angeklagten bewusst

Und Richter Münzer befragt den 19-Jährigen, ob ihm denn klar war, wie gefährlich so ein Messerstich sein kann: Ja, das kenne er aus dem Fernsehen, auch, dass ein Stich in die Wirbelsäule zu Querschnittslähmung führen kann.

Seinem Opfer geht es körperlich gut. Der 17-Jährige sagt, er trage die Narbe mit Stolz, habe aber Angst davor, dass der Angeklagte Rache nehmen könnte, wenn er aus den Gefängnis komme.

An den kommenden Prozesstagen weitere zwölf Zeugen sowie der Rechtsmediziner und der psychiatrische Sachverständige gehört. Dann dürfte am 14. April das Urteil fallen.