Droht womöglich ein Zusammenbruch des Pflegesektors? Ja, wenn nicht „sehr schnell politisch gegengesteuert wird“, schreibt eine Gruppe von Leitungsfachkräften professioneller Pflegedienstleister, die sich im November 2023 gebildet hat, in einem Positionspapier.
Daraus zitiert das Landratsamt jetzt in der Sitzungsvorlage für den Sozialausschuss des Kreistags. Das Thema der Sitzung: Wie die Gesellschaft im Schwarzwald-Baar-Kreis immer älter wird und was das für die – übrigens sehr nahe – Zukunft der Pflege bedeutet.
Probleme groß und tiefgreifend
Dabei sind die Probleme heute schon groß und tiefgreifend, findet Angelika Landerer. Sie ist Pflegedienstleiterin im Pflegeheim St. Antonius in Triberg.

Seit 1997 ist Angelika Landerer in der Pflege tätig und kümmert sich in ihrem jetzigen Job unter anderem um die Anfragen für Pflegeplätze im Heim.
Dabei bekommt sie jeden Tag mit, wie groß die Verzweiflung bei vielen Angehörigen jetzt schon ist. „Ich bekomme Mails, die teilweise schon unter die Gürtellinie gehen“, berichtet sie. Auch Bestechungsversuche sind dabei, um auf der Warteliste hochzuwandern.
Politik hat Erwartungen nicht erfüllt
Landerer ist enttäuscht von den Versprechungen der Politik. „Seit 20 Jahren heißt es, man will es besser machen, doch es passiert nichts“, sagt die gelernte Altenpflegerin. Derzeit gebe es schon 35 Personen auf der Warteliste von St. Antonius, so die Pflegedienstleiterin.
Ein Bild, das sich laut dem Sozialplaner des Landkreises, Wolfgang Hauser, im ganzen Schwarzwald-Baar-Kreis findet. Überall seien die Wartelisten lang, auch weil die Plätze nicht nur in der Nähe des bisherigen Wohnorts gesucht würden, sagt Hauser. „Es gibt aber keinen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz“, betont er.
Zahlen und Fakten zum Pflegenotstand
Mehr auf ambulante Pflege setzen
Daher wolle der Kreis vor allem die ambulante Pflege stärken, so Hauser. Die stationäre Pflege solle in Zukunft nur noch für höhere Pflegegrade da sein, so Sozialplaner Hauser. Allerdings wird bereits aktuell schon ein Großteil der Pflegebedürftigen zu Hause umsorgt.
Auch Angelika Landerer sieht darin keine Zukunftsperspektive, sondern Realität. „Wir haben früher in unserem Beruf Altenpflege betrieben, jetzt sind wir hauptsächlich Krankenpfleger“, erklärt die Pflegedienstleiterin.
Hohe psychische Belastung
Zudem sei die Pflege zu Hause für viele nicht einfach. „Das ist eine psychische Belastung und viele wissen auch nicht, wie sie damit umgehen sollen“, meint Landerer. „Ich will nicht wissen, was da alles in den Haushalten passiert.“
Viele Pflegeheime nehmen zudem gar keine Kurzzeitpatienten mehr. Dadurch können die Angehörigen oft keine Auszeiten nehmen, erklärt Angelika Landerer. Aber anders sei die Situation aktuell nicht zu bewältigen, berichtet sie.
Kampf mit den Kassen
Die Bürokratie spielt zudem bei den Anträgen für die Krankenkassen eine große Rolle, meint Angelika Landerer. In jüngster Zeit würden beispielsweise immer mehr Anträge auf Pflegeleistungen abgelehnt. Dann müsse sie aufwendig eine Begründung schreiben, um die Leistungen für die Patienten möglichst doch noch genehmigt zu bekommen, wie sie berichtet.

Auch Kreisrat Karl-Henning Lichte (Freie Wähler) berichtet davon. Er ist selbst Pflegefall und sagt: „Es gibt keine Woche, in der ich nicht mit der Kasse kämpfen muss.“ Er habe den Vorteil, dass er als Arzt die nötige Erfahrung habe, sich zu wehren. Das können viele Menschen nicht.
Anerkennung für ausländische Pfleger ist schwierig
Immer mehr Haushalte, aber auch Pflegeheime und Kliniken greifen auf Personal aus dem Ausland zurück. Meist über spezielle Agenturen. Doch auch das ist nicht immer einfach. Das weiß die CDU-Kreisrätin Maria Noce, die selbst in der Pflege tätig ist.

Die bürokratischen Hürden für die Anerkennung seien auch hier enorm, meint Noce. „Wir wollen das nicht mehr“, ergänzt sie. Zudem müssen Pflegekräfte oft ein Praktikumsjahr in einem Akutkrankenhaus arbeiten.
Pfleger werden abgeworben
Dort werden die Pfleger jedoch häufig abgeworben, berichtet die CDU-Politikerin. „Wir können gut ausbilden und sehen nicht ein, dass wir Geld und Zeit investieren, wenn die Leute nicht bei uns bleiben können.“
Ähnliche Erfahrungen hat auch Pflegedienstleiterin Landerer gemacht. Eine Pflegerin aus Serbien sei aus Frust in die Heimat zurückgegangen, um dort ihr Praktikum zu machen. In Triberg hat sie sich dafür unbezahlten Urlaub genommen.
Arbeitsbelastung für Pfleger ist enorm
Doch auch für langjährige Mitarbeiter ist die derzeitige Lage frustrierend, meint Birgit Helms von der SPD. „Viele verlassen den Beruf, weil man das Erlernte nicht anwenden kann.“

Durch den Zeitdruck können viele nicht so auf die Patienten eingehen, wie sie es eigentlich möchten, meint Helms. Auch Landerer hat aus diesem Grund schon Kollegen aus dem Beruf gehen sehen. In ihrem Heim sei die Situation derzeit jedoch eine andere, da es eine gute Personaldecke gebe. Jedoch gab es vor einiger Zeit auch eine Phase, in der es nicht so gut gelaufen sei.
Mehr ehrenamtliches Engagement
Für den Kreis soll in Zukunft auch das Ehrenamt eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise Nachbarschaftshilfen und Treffs, die in erster Linie gegen die Einsamkeit helfen sollen.

Aus Sicht von Angelika Landerer werden diese Ideen nicht viel ändern. Sie wünscht sich von der Politik andere Ansätze – beispielsweise mehr planbare Freizeit für ihre Mitarbeiter -, um den Beruf attraktiver zu machen.
Dazu bräuchte es ihrer Meinung nach auch einen finanziellen Topf, mit dem spontane Einsätze besser ausgeglichen werden können. Viel Hoffnung in eine solche Veränderung hat sie jedoch nicht.