Eine Frage von besonderer moralischer Bedeutung soll am Mittwoch vom Gemeinderat endgültig geklärt werden: Es geht um das Projekt „Stolpersteine" und damit die Frage, wie die Stadt künftig der Ermordeten und Verfolgten der Nazi-Diktatur gedenken wird. Nachdem der Gemeinderat bereits 2004 und 2013 die Verlegung von Stolpersteinen im öffentlichen Straßenraum zweimal abgelehnt hat, haben sich die Vorzeichen inzwischen gedreht. Eine klare Mehrheit für das Projekt scheint zu stehen.
Die „Stolpersteine„ sind eine Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Er begann Mitte der 80er Jahre in seiner Heimatstadt damit, seine Gedenksteine im öffentlichen Straßenbereich zu verlegen. Damit soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Auf der in Messing gefassten Kopfplatte sind die Namen und einige Lebensdaten der Verfolgten eingraviert. Diese Form des Gedenkens fand vor allem durch ihre Schlichtheit eine enorme Resonanz. Denn sie lässt sich einfach und kostengünstig umsetzen, erinnert individuell an jedes einzelne Opfer und erzielt Wirkung im öffentlichen Raum. Inzwischen wurden über 70 000 „Stolpersteine„ in 1300 Städten und Gemeinden in ganz Deutschland und in Europa verlegt.
Die Doppelstadt gehört zu den wenigen Ausnahmen, bei denen der Gemeinderat die Verlegung abgelehnt hat, zweimal allerdings ganz knapp. Die Auseinandersetzung war jeweils ein hochemotionales Politikum. Die Gegner von CDU und Freie Wähler argumentierten unter anderem, die Hausbesitzer müssten mit Wertverlusten rechnen, wenn vor ihrer Immobilie Stolpersteine verlegt würden.
Die Zeiten und Ansichten haben sich geändert. Letztes Jahr beantragten 23 der 40 Gemeinderäte in einem überfraktionellen Antrag eine erneute Abstimmung. Sie argumentieren, dass die Versuche, andere Formen des Gedenkens zu verfolgen, inzwischen gescheitert sind und dass dem Antisemitismus offensiv begegnet werden sollte. Die Steine sollen im übrigen alle gespendet werden, so dass auf die Stadt keine größeren Kosten zukommen. Der Antrag wird von Gemeinderäten aus allen Fraktionen unterstützt, mit Ausnahme der AfD. Der Fraktionsvorsitzende Martin Rothweiler spricht in einer Stellungnahme von „Spaltersteinen“, da sie die Bevölkerung polarisieren würde.
Die Unterstützer
Unterstützt wird der Antrag bisher von allen acht Stadträten der Grünen (Constanze Kaiser, Ulrike Salat, Cornelia Kunkis, Helga Baur, Oskar Hahn, Ulrike Merkle, Joachim v. Mirbach), sechs SPD-Stadträten (Frank Banse, Edgar Schurr, Brigitta Schäfer, Nicola Schurr, Siegfried Heinzmann, Bernd Lohmiller), allen vier FDP-Räten (Frank Bonath, Julia Decke, Kathrin Piazolo, Marcel Klinge), von drei Christdemokraten (Veronika Ballof, Katharina Hirt, Diana Kern-Epple) und zwei Freien Wählern (Ulrike Heggen, Steffen Ettwein). Möglicherweise werden noch weitere Stadträte bei der Abstimmung das Projekt unterstützen. Die CDU als größte Fraktion „wird unterschiedlich abstimmen“, erklärte der Fraktionsvorsitzende Klaus Martin. Er rechnet auch mit Enthaltungen.
Die öffentliche Gemeinderatsitzung beginnt am Mittwoch um 16 Uhr in der Neckarhalle Schwenningen. Der erste Tagesordnungspunkt ist die Abstimmung über die Stolpersteine. Anschließend wird der Haushalt verabschiedet.