
„Die Elf“, ruft Monika Spiegelhalter und fordert damit den nächsten Kunden auf, den Tafelladen in der Gerwigstraße in Villingen zu betreten. Nur drei Kunden dürfen seit der Wiedereröffnung im April gleichzeitig im Laden sein. Jeder muss eine Nummer ziehen und außerhalb der Räumlichkeiten warten, bis er aufgerufen wird. Verantwortlich für den reibungslosen Ablauf sind an einem Montagnachmittag die 76-jährige Spiegelhalter und die 69-jährige Rosi Burkard.
„Wir haben uns vor 14 Jahren, als wir beide bei der Tafel anfingen, kennengelernt“, erzählt Spiegelhalter. Die 76-Jährige aus Pfaffenweiler war damals über eine Bekannte zur Tafel gekommen. Ihr Mann, sagt sie, war lange Rektor in Pfaffenweiler gewesen, mit Antritt des Pensionsalters aber verstorben. Spiegelhalter, gelernte Industriekauffrau, arbeitete lange als Sekretärin ihres Mannes. Für sie war die Tafel auch eine Ablenkung vom Verlust ihres Partners.
Dieser Ablenkung geht sie bis heute nach. Während die Pfaffenweilerin die Einkäufe der Kunden zählt, nennt sie mit einer Uhrwerk-ähnlichen Konstanz die Preise. Die werden von Burkard eingetippt – ebenfalls fehlerfrei.
Burkard ist zweite Vorsitzende der Vereins „Mach mit“, der die fünf Tafelläden im Schwarzwald-Baar-Kreis betreibt. Sie ist 69 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Villingen. Auch sie kam vor 14 Jahren zur Tafel. „Ich war zuvor 37 Jahre, seit meiner Lehre, bei der Firma Kienzle als Gehaltsbuchhalterin tätig. Dann ging die Firma in die Insolvenz und ich in die Arbeitslosigkeit“, erzählt sie.

„Ich wollte wieder arbeiten, aber dieses Mal etwas im sozialen Bereich machen“, sagt sie weiter. Durch Zufall kam sie letztlich zur Tafel. Seit sechs Jahren ist sie schon Mitglied im Vorstand. Als solches muss sie immer wieder auch mal einspringen. Gerade in den vergangenen Wochen war das der Fall. Noch immer ist die Tafel auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Lebensmittel gebe es dagegen glücklicherweise genug. „Wegen der Corona-Ansteckungsgefahr dürfen viele unserer älteren Mitarbeiter nicht mehr helfen“, sagt Burkard. Also muss sie selbst häufiger ran.
Auch an einem Montagnachmittag stehen Spiegelhalter und Burkard hinter der Ladentheke. Sie kassieren ab, rufen die nächsten Kunden in den Laden und achten darauf, dass jeder seinen Mundschutz korrekt trägt. Die Mund-Nasen-Bedeckung, die die beiden tragen, haben sie sich aus dem Internet bestellt. Die Lieferadresse war für beide dieselbe, denn: Die Frauen sind nicht nur Kolleginnen, sondern auch Mitbewohnerinnen.
„Rosi verletzte sich vor einigen Jahren an der Schulter. Ich bot ihr dann an, zu mir zu ziehen, um ihr zu helfen. Seither wohnen wir zusammen in Pfaffenweiler„, erzählt Spiegelhalter. Die Tafel hat aus den beiden Frauen Freundinnen gemacht.
Die Zahl der Kunden habe sich seit Corona reduziert. Vor allem Asylbewerber kommen laut den beiden Frauen immer seltener. Burkard: „Früher hatten wir etwa 50 Kunden am Tag, derzeit sind es nur noch rund 30.“

Spiegelhalter und Burkard selbst sind froh, dass sie noch nie auf die Hilfe der Tafel angewiesen waren. Dass es eine Einrichtung wie die Tafel in Deutschland überhaupt geben muss, findet Burkard traurig. Bei vielen Kunden reiche die Rente jedoch nicht aus, um sich ordentlich versorgen zu können. Andere Einkäufer erhielten Gutscheine von der Arbeitsagentur, der Caritas oder der Diakonie, mit denen sie in der Tafel einkaufen gehen können.
„Wenn wir die Tafel aber zumachen müsste, weil sie nicht mehr gebraucht wird, würde ich das sofort machen“, sagt Burkard. Solange das aber nicht der Fall ist, ist sie froh, helfen zu können. Und so werden Burkard und Spiegelhalter auch künftig Seite an Seite in der Villinger Tafel stehen und arbeiten.