Die 39-Jährige spricht zärtlich von ihrem Sohn: er sei so hübsch, so klein, so süß, sie liebe ihn sehr. Die Frau, die das sagt, steht wegen versuchten Mordes an ihrem Kind vor dem Landgericht Konstanz. Die Mutter ist angeklagt, am 6. April 2020 ihrem neun Jahre alten Sohn in der Wohnung in Villingen-Schwenningen ein Messer mit über 20 Zentimeter langer Klinge in die Brust gestoßen zu haben. Die Anklage geht davon aus, dass die Frau wegen einer krankhaften Wahnvorstellung, einer paranoid-halluzinatorische Schizophrenie, nicht zurechnungsfähig war, als sie so handelte.

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Es ist ein Fall von erschütternder Tragik, der am Landgericht Konstanz verhandelt wird. Die 39-Jährige, die seit 2002 mit dem Vater ihres Sohnes verheiratet ist, schildert sachlich, nur gelegentlich stotternd, wie sie sich und ihren Sohn schön gemacht habe für den Tag, an dem sie seinen Tod geplant habe. Sie habe keine andere Möglichkeit gesehen, um ihr Kind vor einem schrecklich Tod zu bewahren. Seit dem 5. März habe sie über Medien Botschaften bekommen, in denen tödliche Grausamkeiten gegenüber ihr und der Familie angekündigt gewesen seien.

Mutter spricht von dunklen Mächten

Sie habe entschieden, die dunklen Mächte sollten ihren Sohn nicht „brutal killen“. Sie habe den Tod möglichst schmerzfrei herbeiführen wollen, schnell, mit einem Messerstich. Während der Sohn vergnügt vor dem Fernseher am Boden lag und einen Trickfilm schaute, habe sie die Tür des Wohnzimmers verschlossen und mit einem Tisch verrammelt. Dann habe sie ein Küchenmesser mit über 20 Zentimeter langer Klinge genommen und zugestochen, als der Sohn sich ihr zuwandte. Das Kind habe stark geblutet und zu ihr gesagt: „Mama, ich möchte noch leben.“ Sie sei davon ausgegangen, dass der Sohn tödlich verletzt war. Nach der Tat habe sie sich selbst „killen“ wollen und sich mit dem Messer in den Bauch gestochen und in den Arm geschnitten.

Frau ist in der Psychiatrie

Über ihre Lage heute sagt die vorläufig in der Psychiatrie untergebrachte Frau: Es gehe ihr besser. Sie habe nicht mehr so viel Angst, es seien keine Drohungen mehr der „bösen Leute“ gekommen. Die besondere Tragik an dem Fall: Schon im März war die Frau in einer psychiatrischen Klinik. Doch als sie wieder entlassen wurde, habe sie die Medikamente nicht genommen. Das sagt die Angeklagte und das sagt auch der Ehemann der Frau, der als Zeuge vor Gericht aussagte.

Ehemann war in der Wohnung

Der Mann war während der Tat in der Wohnung. Er habe Papiere geschreddert und sei erst aufmerksam geworden, als er Hilfeschreie des Sohns aus dem Wohnzimmer hörte. „Ich wusste sofort, da ist was Schlimmes passiert.“ Er habe versucht, ins Wohnzimmer zu kommen. Er habe dazu die Türe eintreten müssen. Da habe er seine Frau über den Sohn gesehen – und das Messer. Er habe es der Frau entwunden und versucht, den Notarzt zu rufen. Doch das Festnetztelefon habe keine Akkus gehabt, und das Handy habe er erst hochfahren müssen. Während er mit dem Telefon hantierte, sei es seiner Frau gelungen, nochmals das Messer zu ergreifen und sich damit selbst zu verletzen. Er habe es ihr abermals wegnehmen können. Er habe sie ins Treppenhaus geschoben, dort und dann noch auf dem Balkon um Hilfe gerufen. Ein Nachbar habe geholfen.

Kind lebt heute bei einer Pflegefamilie

Der Sohn, der heute bei einer Pflegefamilie untergebracht ist, überlebte, dank einer Notoperation, und möglicherweise auch wegen des Einsatzes eines Nachbarn, der auch als Zeuge vor Gericht aussagte. Dieser hatte beim Sohn die Stichwunde zugedrückt, um einen weiteren Blutverlust zu verhindern. „Man kann davon ausgehen, dass sie ihm das Leben gerettet haben, oder zumindest einen großen Beitrag dazu geleistet haben“, sagt der Vorsitzende Richter Arno Hornstein. Der Zeuge berichtete, wie er die Mutter des Sohns erlebte, die im Hausflur stand: Sie habe ohne Aufregung, mit ganz normaler Stimme gesagt, sie habe ihren Sohn erstochen.

Mutmaßliche Krankheit bleibt rätselhaft

Wie genau es zur Entwicklung der Krankheit gekommen war, blieb auch nach Aussage des Ehemanns im Unklaren. Die Frau habe zuletzt Schwierigkeiten bei der Arbeit gehabt, sich überfordert gefühlt. Sie habe Farben als Zeichen interpretiert. Vieles von dem, was sie sagte, habe er nicht verstanden. Für ihn habe es sich so angehört als sei sie in einen Shitstorm im Internet geraten. „Sie fühlte sich in die Enge gedrängt.“ Der Frau droht eine lange Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses.

Der Prozess wird mit den Plädoyers und dem Urteil am Montag, 12. Oktober, fortgesetzt.