Woran krankt es bei der niedergelassenen ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum? Wie könnte Abhilfe geschaffen werden? Und welchen Einfluss können Verantwortliche und Entscheidungsträger geltend machen?
Darüber diskutierten bei einer Podiumsdiskussion Vertreter von Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigung, sowie aus der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik. Und natürlich Mediziner. Eingeladen zu diesem brisanten Thema hatten der CDU-Stadtverband und der Runde Tisch Pflegenotstand.
Die Causa Röser und die Kassenzulassung
Anlass dieser längst überfälligen Diskussion um den Ärztenotstand ist der Schwenninger Kinderarzt Stefan Röser. Er kündigte an, als Reaktion auf eine von der Kassenärztlichen Vereinigung angedrohte Strafzahlung mit der Aufgabe der Kassenzulassung zu reagieren.
Mediziner ordnet Zahlen ein
Zunächst erläuterte Michael Preusch, CDU-Landtagsabgeordneter und selbst Mediziner in einem Impulsvortrag, woher das Missverhältnis zwischen Arzt und Patienten kommt, obwohl die Zahl der Medizinstudierenden noch nie so hoch war wie derzeit. „Die Menschen werden älter und der Bedarf an Arztbesuchen steigt.“ Früher habe zudem der Hausarzt ein breites Spektrum abgedeckt. Heute gebe es viele Fachdisziplinen. Zudem steige die Zahl der Kinder und Jugendlichen stark an.
Nach mehr als dreistündiger Diskussion im Capitol-Theater in VS-Schwenningen wurde klar: Es gibt kein Patentrezept, um die Situation zeitnah zu verbessern. „Wir haben keine Kinderärzte in der Hinterhand, die wir irgendwo hinschicken können. Wenn es einen Kinderarzt gebe, könnte der morgen seine Praxis öffnen, egal wo er will“, sagte Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW).
KV sieht sich nicht in der Verantwortung
Sonntag wies auch – wieder einmal – die Kritik an der KV wegen der überholten Bedarfsplanung zurück, die aus den frühen 90er Jahren stammt. „Wir sind nicht zuständig für die Bedarfsplanung, da gibt es ein bundesweites Regelsystem, wie viele Ärzte in einer bestimmten Region tätig sein dürfen.“ Die Grundlage für die Bedarfsplanung sei allerdings die Beitragsstabilität der Krankenkassen und nicht die Nachfrage der Patienten.

Harald Rettenmaier, Geschäftsführer der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg, sieht das anderes. Die KV habe schon eine größere Verantwortung als von Sonntag skizziert. „Die Krankenkassen haben 300 Milliarden Euro für die medizinische Versorgung. Am Geld mangelt es nicht. Aber Geld wird das Problem nicht lösen.“
Medizinische Versorgung braucht neue Impulse
Vielmehr seien es die fehlenden Mediziner. Diese legten heute einen größeren Wert auf Work-Life-Balance. Man müsse deshalb nach neuen Formen der medizinischen Versorgung suchen. Es fielen Schlagworte wie vom Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei eingebrachte Forcierung der Telemedizin und Medizinische Versorgungszentren, wo ärztliche Angebot gebündelt werden, wie Oberbürgermeister Jürgen Roth anführte.
Den Ärztemangel deutlich zu spüren bekommt auch die Zentrale Notaufnahme im Schwarzwald-Baar-Klinikum. Wie deren ärztlicher Leiter Bernhard Kumle sagte, sei die Notaufnahme in dem 2013 eröffneten Klinikum auf 30.000 Patienten pro Jahr ausgelegt worden. „Heute sind wir bei 52.000 Patienten.“ Man plane deswegen eine Erweiterung der Notaufnahme.

Landtagsabgeordneter Guido Wolf aus dem Landkreis Tuttlingen überrascht die Situation nicht. „Wir haben das Problem sehenden Auges groß werden lassen.“ Egal, welche Konstrukte jetzt überlegt und umgesetzt würden, „am Ende funktioniert es nur, wenn wir genügend Ärzte haben.“
Bürokratie und Honorar-Budgetierung
Moderiert wurde die Diskussion Winfried Kadow, der als Arzt trotz Ruhestand nach wie vor Suchtkranke betreut. Im Zuge der Diskussion wurde klar, wo es wirklich hakt: überbordende Bürokratie, strenge Honorar-Budgetierung, offensichtlich am Bedarf vorbei geplante Bedarfsplanungen und häufig nicht nachvollziehbare Reglementierungen schränken die Arbeit der niedergelassenen Mediziner in ihrer Arbeit so stark ein, dass immer weniger Ärzte bereit sind, eine eigene Praxis zu eröffnen oder zu übernehmen.
Unzufriedenheit bei Patienten und Ärzten
Das schilderten auch die zahlreichen Zuhörer, die zu Wort kamen. Überwiegend Arztkollegen, aber auch Patienten schilderten unzumutbare Zustände und absolute Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation.
Und was sagt Stefan Röser selbst dazu? Der engagierte Kinderarzt zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich werde weiter arbeiten bis abends, um meine kleinen Patienten zu behandeln. Und hoffen, dass die Leute halbwegs zufrieden sind.“ Von der Idee mit der Telemedizin hält er für seinen Teil nicht viel.
„Bei einem Kind mit Ohrenschmerzen muss ich mir das anschauen, das geht nicht über Telemedizin.“ Was passiert mit Auslaufen seiner erneut gesetzten Frist zum Herbst und Winter, macht er noch mal weiter? „So wie bisher geht es nicht mehr. „Es macht keinen Sinn mehr.“ Er sehe jedoch, dass sich die Kommune bemühe. „Wenn sich jemand findet, der bei mir einsteigt“, würde er es sich vielleicht nochmal überlegen.