Helgi, Sie waren im Profifußball auf internationaler Ebene tätig, sind nun aber wieder in der Region aktiv – wie haben Sie die ersten acht Monate als Sportlicher Leiter beim Verbandsligisten SC Pfullendorf erlebt?
Ich war als Spieler und Trainer fast 30 Jahre lang unterwegs, habe enorm viel Zeit im Flieger und im Ausland verbracht. Ich bin hier in der Region im Linzgau sesshaft mit meiner Familie, schon alleine deshalb war diese Aufgabe reizvoll für mich. Gerade weil man in der Corona-Hochphase durch die viele Zeit mit der Familie verstärkt gemerkt hat, wie wertvoll das ist. Dann kommt aber natürlich noch dazu, dass mir beim SC Pfullendorf der Einstieg ins Profigeschäft gelang. Ich habe dem Verein und der Region sehr viel zu verdanken. Meine Erfahrungen möchte ich nun gerne einbringen, die Aufgabe ist sehr spannend für mich.
Inwiefern spannend? Was sind Ihre Ziele beim SC Pfullendorf?
Ich habe mir zu Beginn ein Bild gemacht, was sich in den vergangenen Jahren in Pfullendorf bewegt hat, was hier aufgebaut wurde. Die Basis ist da, die Infrastruktur ist top. Der Verein hat Möglichkeiten, die in der Region einmalig sind. Beeindruckt hat mich zum Beispiel die Kompetenz der Jugendtrainer. Für mich geht es nun darum, dass ich mit meinem Know-How bei der Weiterentwicklung im Klub helfe. Wir wollen ein Türöffner sein für Jugendliche aus der Region, die hungrig sind und sich weiterentwickeln wollen. Es geht darum, ihnen das Training anzubieten, das sie brauchen. Dann wollen wir als Klub natürlich auch Werte vermitteln, das Vereinsleben mit den Jugendlichen gestalten. Es ist sehr schön, dass bei uns ein Großteil der 1. Mannschaft hier schon in der Jugend war. Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind.
Sie waren mit der isländischen Nationalelf auf der großen Fußball-Bühne. Wie motiviert man sich nach solchen Höhepunkten noch für Aufgaben im Amateurbereich?
Ich bin da wirklich genauso ehrgeizig. Weil es egal ist, um welches Spiel es geht. Es ist Fußball. Und Fußball bleibt Fußball. Natürlich waren die Erfahrungen mit Island bei der EM 2016 und dem Viertelfinal-Einzug einmalig und unvergesslich. Aber wenn ich sehe, was wir hier in Pfullendorf und in der Region bewegen können, welche Möglichkeiten wir haben, dann ist das Grund genug, mit der selben Energie die Herausforderungen anzugehen. Als nächstes Projekt wollen wir beispielsweise mehrere Fußball-Camps anbieten. Das macht einfach Spaß. Und wenn es Spaß macht, bringt man seine Zeit immer gerne ein.
Spaß hatten die deutschen Fußball-Fans bei der WM in Katar eher wenig. Wenn Sie Sportlicher Leiter beim DFB wären: An welchen Stellschrauben würden Sie 2023 drehen?
Zunächst muss ich sagen, dass ich das deutsche Team nicht so schlecht gesehen habe, wie es im Nachgang teils analysiert wurde. Beim DFB ist die Infrastruktur vorhanden, die Ausbildung ist hochprofessionell. Es ist also ja alles da, aber es geht nun darum, eine Identität klarzustellen. In Island haben wir damals nach einem System gesucht, das uns auszeichnet. Das Augenmerk haben wir auf unsere Stärken gelegt. Wir wussten, dass wir keinen Ballbesitz-Fußball wie Spanien spielen können. Ich bin überzeugt davon, dass die Leute unseren Fußball einfach authentisch fanden. Was Deutschland immer ausgezeichnet hat, waren die Tugenden, die Disziplin und die Defensive. Darauf muss wieder mehr Wert gelegt werden.
Werden Sie irgendwann wieder eine Mannschaft trainieren? Und wenn ja, dann zwingend im Profibereich?
Das ist jeweils absolut offen. Aktuell bringe ich meine Energie voll und ganz für den SC Pfullendorf ein. Eine Aufgabe, die für mich auch noch recht neu ist. Generell geht es für mich immer darum, für einen Klub zu arbeiten, bei dem es mir Freude bereitet – mal abgesehen davon in welcher Rolle.
Ihr Klub kooperiert mit dem Bundesligisten VfB Stuttgart: Warum ist die Zusammenarbeit mit einem großen Verein aus Ihrer Sicht wertvoll?
Das ist einfach eine Win-Win-Situation. Wenn es bei uns oder auch einem anderen Klub aus der Region ein großes Talent gibt, können wir miteinander kommunizieren und nach einer Lösung suchen. Aber auch wir profitieren enorm. Unsere Jugendtrainer haben Zugriff auf ein Portal des VfB. Das hilft ihnen und letztlich auch den Spielern, weil sich dadurch neue Ideen und Möglichkeiten ergeben.
Im Profibereich nimmt die Kommerzialisierung immer mehr zu. Eine aus Ihrer Sicht gefährliche Entwicklung?
Das lässt sich ja nicht verhindern, der Markt gibt es schließlich her. Die Spieler und Vereine können ja nichts dafür. Der Spagat zwischen den Profi- und Amateurvereinen wird immer größer. Und dennoch finde ich es einfach beeindruckend, was die Leute in den Amateurvereinen teilweise für ein Engagement an den Tag legen. Diesen enormen Zeitaufwand für wenn überhaupt ein bisschen Spritgeld einzubringen, verdient größten Respekt. Vor diesen Leuten und deren Leidenschaft ziehe ich meinen Hut, weil das Vereinsleben so unglaublich wertvoll für unsere Gesellschaft ist.
Was vermissen Sie an Ihrer Heimat?
Meine Familie und meine Freunde in Island natürlich. Und auch die Natur, ich war da immer sehr aktiv. Das heißt jetzt aber überhaupt nicht, dass ich mich hier nicht wohl fühle. Zumal ich es ja gewohnt bin, von zuhause weg zu sein. Ich bin damals mit 17 nach Amerika gegangen, habe im Anschluss verschiedene Regionen und Mentalitäten kennen gelernt. Ich habe immer versucht, das Beste mitzunehmen, zum Beispiel beim Kochen (lacht).
Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr?
Durch den Krieg, die Corona-Pandemie und die Energie-Krise haben wir alle zwei, drei schwere Jahre hinter uns. Ich bin aber ein positiv gestimmter Mensch und hoffe, dass alles wieder seinen normalen Weg gehen kann. Der Fußball ist auf jeden Fall ein Sport, der der Gesellschaft immer gut tun wird.