Es ist ein warmer Juniabend, zwei Männer sitzen bei Jestetten am Rhein. Sie trinken Bier, rauchen einen Joint. Wenig später legt einer den Leichnam des anderen am Flussufer ab.
Rund sechs Monate später eröffnet Richter Martin Hauser den Prozess gegen den 39-jährigen Tatverdächtigen am Waldshuter Landgericht. Auf Totschlag lautet die Anklage gegen den Mann aus Lettland, die Tat soll sich wie eingangs beschrieben abgespielt haben. Mit einem massiven Holzscheit soll der Mann sein Opfer in jener Nacht des 8. Juni 2023 brutal erschlagen haben. Das Tatmotiv ist bis heute unklar.
Opfer wollte am Rheinufer campen
An einer Badestelle am Rhein, etwa 400 Meter flussabwärts einer Rheinbrücke, sollen sich Täter und Opfer an jenem Abend das erste Mal begegnet sein. Dort hatte das Opfer, ein 31-jähriger Mann aus St. Gallen, eine Hängematte zwischen zwei Bäume gespannt. Offensichtlich wollte er die Nacht am Rhein verbringen.
Glaubt man der Anklageschrift, tranken die Männer zunächst ein Bier am Ufer und rauchten zusammen Marihuana. Das zumindest lassen DNA-Spuren am Tatort vermuten. Was kurze Zeit später geschieht, kann sich die Staatsanwaltschaft bis heute nicht erklären: Gegen 21.30 Uhr soll der Täter ein massives Scheitholz ergriffen und mehrfach auf den 31-jährigen Schweizer eingeschlagen haben – wohl mit der Absicht, ihn zu töten.
Schwere Verletzungen führen zu Tod des Opfers
Dabei trifft er ihn mindestens achtmal im Gesicht, weitere Schläge richtet er auf den gesamten Körper, heißt es in der Anklage. Wehren kann sich der Mann gegen die brutale Attacke kaum, denn er ist zu dem Zeitpunkt stark alkoholisiert. Er erleidet einen Schädelbasisbruch, Hämatome sowie offene Wunden am ganzen Körper. Wenig später stirbt er.
Diesen Tatverlauf haben Kriminalbeamte allein anhand von DNA-Spuren und Geodaten rekonstruiert. Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, ist nicht gesichert. Denn direkte Zeugen der Tat gibt es nicht. „Die einzige Person, die mitbekommen hat, was da geschehen ist, lebt nicht mehr“, sagt Richter Hauser.
Umso wichtiger sei es nun, das Tatmotiv herauszufinden. Abhängig davon ziehe der Richter auch eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht, wie er sagt. Ob Habgier, Heimtücke oder Mordlust – all diese Merkmale könnten in diesem Fall vorliegen.
Angeklagter wirkt emotionslos
Der Angeklagte ist schlank, an diesem ersten Verhandlungstag trägt er ein dunkelblaues Hemd und eine graue Hose. Seine Hände knetet er im Schoß, während er spricht. Er zeigt keine Gefühle, auf die Fragen des Richters antwortet er mechanisch.
Er sei 1984 in der Sowjetunion geboren worden, seit dem Zerfall lebe er als sogenannter Nichtbürger in Lettland. Das berichtet er auf Russisch, ein Dolmetscher übersetzt. Nichtbürger sind Menschen ohne Staatsbürgerschaft, fast alle von ihnen sind ehemalige Sowjetbürger, die nach 1991 als Minderheiten in Lettland lebten. Dort besitzen sie zwar ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, in ihren Bürgerrechten sind sie bis heute jedoch stark eingeschränkt.
Weiter berichtet der Angeklagte, in Lettland zur Schule gegangen zu sein und später bei einem Bestatter, in einer Fischverarbeitungsanlage und auf Baustellen gearbeitet zu haben.
Ende Mai dieses Jahres sei er schließlich als einer von Dutzenden lettischen Leiharbeitern nach Deutschland gekommen, um Geld zu verdienen. Diese sollten den Breitbandausbau in den sechs Ortsteilen der Gemeinde Klettgau vorantreiben.
Angeklagter mehrfach vorbestraft
Eines wird an diesem Tag klar: Der Angeklagte ist kein unbeschriebenes Blatt. Schon seinen Schulabschluss habe er in einer Jugendstrafanstalt gemacht, sagt er aus. Mit 20 Jahren wurde er wegen Mordes zu elf Jahren Haft verurteilt. Das geht aus Akten aus Lettland hervor, die dem Gericht vorliegen. Wenige Jahre nach seiner Entlassung verstößt er gegen Bewährungsauflagen lettischer Behörden und muss dafür erneut knapp ein halbes Jahr ins Gefängnis.
Biografie stiftet Verwirrung
Was der 39-Jährige sonst aussagt, sorgt für Irritation im Gerichtssaal. Er gibt etwa an, 2008 – während er wegen Mordes in Haft war – geheiratet zu haben. „Wo haben sie denn da jemanden zum Heiraten kennengelernt?“, will der Richter wissen. „Auf der Straße“, so der Angeklagte. Er habe seine Frau schon vor der Haft kennengelernt. Nach 48 Stunden habe es sich die Frau allerdings anders überlegt und sich wieder scheiden lassen, fügt der Angeklagte an. „Muss ich das verstehen?“, fragt der Richter den Mann. „So war es halt“, sagt dieser.

Weiter sagt der 39-Jährige aus, den gesamten Mai gearbeitet und 3500 Euro verdient zu haben. Eine Angestellte der Firma, welche die Leiharbeiter betreut, widerlegt diese Aussage im Zeugenstand. Der Angeklagte habe im Mai nur zehn Tage gearbeitet und erhalte etwas mehr als 2000 Euro im Monat. Zudem berichtet der Mann, mit seiner neuen Lebensgefährtin eine gemeinsame Tochter zu haben. Das Geburtsdatum des Kindes scheint er seinen Aussage nach allerdings nicht genau zu kennen.
Der mentale Zustand des Angeklagten könnte auch Auswirkungen auf das Urteil haben. Wie es um ihn wirklich bestellt ist, wird ein Gutachter im weiteren Prozessverlauf einordnen.
Mann schweigt zur Tat
Zur Tat selbst äußert sich der Angeklagte nicht. Zeugen können den Mann zwar nicht als Täter identifizieren, dem Gericht jedoch Hinweise geben. Eine Videoaufnahme eines Supermarkts zeigt den Angeklagten mit Kopfhörern um den Hals – solche, die später am Tatort gefunden wurden.
Die nächste Verhandlung soll am Mittwoch, 13. Dezember, stattfinden.