Nachdem die Wahlberechtigten im Kanton für eine Pistenverlängerung des Flughafens Zürich gestimmt haben, entbrennt einer neuer Streit über Fluglärm in Südbaden. Wichtigste Frage: Hat die Landesregierung nun eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Schweiz eingefordert oder nicht?

Die Konstanzer Bundestagsabgeordnete Ann-Veruschka Jurisch (FDP) fordert jedenfalls, dass die Landesregierung endlich „aus dem Quark“ kommen müsse, aus dem Stuttgarter Verkehrsministerium heißt es bislang, das hätte man mehrfach versucht und es wäre an den Schweizern gescheitert – die sehen das aber auch anders. Nicht erst seit der Abstimmung.

Streit mit eigenem Eintrag bei Wikipedia

Vielmehr gehört der Streit der Deutschen mit den Schweizern über den Zürcher Flughafen wohl zu den großen Verwaltungswirrnissen des bisherigen 21. Jahrhunderts: Seit über 20 Jahren zanken sie, als „Fluglärmstreit“ hat der Konflikt sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Wie konnte es so weit kommen?

Wer an der Misere Schuld hat, ist schwer zu sagen: Einem erneuerten Staatsvertrag stimmte der deutsche Bundestag 2002 zu, die Schweizer lehnten ihn kurz darauf ab. Ziemlich genau zehn Jahre später ratifizierten die Eidgenossen einen neuen Entwurf, den Deutschland bis heute nicht beschlossen hat. Dazwischen: Arbeitsgruppe, Absichtserklärung, Verkehrsforum, Vermittlung – alles ohne Erfolg.

Liegt der Ball auf der deutschen Seite?

Für die Schweiz liegt der Ball auf deutscher Seite. Nachdem der von der Bundesrepublik eigens eingesetzte Sonderbeauftragte Wolfgang Schneiderhahn im Jahr 2022 zurückgetreten ist, sei nichts mehr passiert, sagt ein Sprecher des Schweizer Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL).

Ob das stimmt, ist nicht ganz klar – auf eine entsprechende Anfrage des Waldshuter Bundestagsabgeordneten Felix Schreiner (CDU) verweist das Bundesverkehrsministerium auf die Vertraulichkeit der Beratungen – die sei „auch aus Gründen des Staatswohls geboten“. Mehr sprachliche Zurückhaltung ist kaum möglich, bedenkt man, dass es letztlich um Fluglärm geht.

Der neunte Verkehrsminister in diesem Streit

Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP (übrigens der neunte Verkehrsminister in diesem Streit) will den Staatsvertrag jedenfalls nicht unterzeichnen, weil er die „Beteiligung der örtlichen Politik und Bevölkerung fortsetzen“ möchte – und die betroffenen Landkreise in Südbaden sind dagegen.

Ein neuer Staatsvertrag kommt aber für die Schweizer nicht infrage. „Die Schweizer Seite hat – mit Verweis auf die nicht erfolgte deutsche Ratifikation – eine Neuverhandlung bisher nicht unterstützt“, hieß es dazu schon im April 2023 vom Parlamentarischen Staatssekretär im Verkehrsministerium, Michael Theurer (FDP).

„Die wollen das partout nicht kapieren“

Also: Schuldzuweisungen. Diplomatisch-blumig schreibt die Bundesregierung vom Vermittlungsverfahren, das „aufgrund mangelnder Beteiligung der Schweiz Ende 2021 gescheitert ist“. Direkter klingt das bei den Schweizern: Der Sprecher des BAZL attestiert Land und Bund eine komische Wahrnehmung, „die wollen das partout nicht kapieren“, sagt er.

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Das Land soll – wie eingangs erwähnt – eine sogenannte grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei den Nachbarn einfordern. Ohne die wäre ein wirkungsvoller Staatsvertrag nämlich ohnehin nicht möglich. Findet zumindest, noch mehr Beteiligte: Wolfgang Schu von der Bürgerinitiative Flugverkehrsbelastung im Landkreis Waldshut.

Der Sachstand ist eigentlich alt

Das Verkehrsministerium in Stuttgart aber sagt, sie habe eine solche Prüfung mehrfach bei der Schweiz eingefordert – die habe die Forderung aber „stets mit dem Argument zurückgewiesen, die Umweltauswirkungen auf Deutschland seien nicht erheblich“.

Vom Schweizer BAZL heißt es dazu, man prüfe ergebnisoffen. Richtig sei aber, dass die Schweiz von solchem Verfahren abgesehen hatte, „wenn die Vorhaben auf die Lärmbelastung in Südbaden offensichtlich keine Auswirkungen hatten.“

Geht es also um unterschiedliche Einschätzungen bei den Auswirkungen des Ausbaus? Am Sachstand hat sich in den vergangenen Jahren eigentlich nichts geändert. Eine Stellungnahme des deutschen Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung war dem Verkehrsministerium schon unter Alexander Dobrindt (CSU) zugegangen. Der war bis 2017 im Amt.

Südbadische Belange sind der Bundesregierung bewusst, heißt es

Die Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz lehnen den Ausbau jedenfalls ab, die mögliche Mehrbelastung für die Menschen in der Region wollen sie verhindern. Und auch SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter, die auch Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium ist, schreibt ganz aktuell dazu: „Mehr Lärm über Süddeutschland ist nicht hinnehmbar.“

Und so hat sich das Behörden-Pingpong einstweilen nach Deutschland verlegt: Die schwarz-grüne Landesregierung im Südwesten habe seit über zehn Jahren keinen Finger gerührt in der Thematik, sagt die Konstanzer Bundestagsabgeordnete Ann-Veruschka Jurisch (FDP) und verweist darauf, dass die Union bis 2021 viele Jahre im Verkehrsministerium saß. „Kaum ist man nicht mehr in Regierungsverantwortung, ist es den Protagonisten der CDU das Thema super wichtig“, so Jurisch.

Die drei regionalen Bundestagsabgeordneten der CDU, Andreas Jung, Thorsten Frei und Felix Schreiner, hatten die Abstimmung der Schweizer zuvor als Weckruf an die Bundesregierung bezeichnet. Die müsse „jetzt unsere südbadischen Interessen klar gegenüber der Schweiz vertreten.“

FDP-Frau Jurisch jedenfalls will sich auf Bundesebene für die Region einsetzen. Was die Frage zurück zu den Menschen führt, um deren Wohl und Wehe es ja gehen sollte. Laut der Bundestag-Drucksache 20/2412 sollen keine Sorgen nötig sein: „Die Belange der südbadischen Bevölkerung sind der Bundesregierung bewusst“, heißt es da trocken.