Es war die Nacht der großen Wiedereröffnung in der laut eigenen Angaben größten Diskothek am Bodensee: Nach der monatelangen Schließung während des zweiten Pandemie-Winters wurde am 8. April 2022 in der Konstanzer Diskothek Grey wieder gefeiert. Auch die damals 19-jährige Camila A. (Namen geändert) aus Südbaden wollte mit ihren Freundinnen wieder einmal richtig Party machen. Sie war erst vor wenigen Monaten nach Konstanz gezogen, um dort zu studieren.

Gegen 1 Uhr früh entfernte sie sich von ihrer Gruppe, setzte sich alleine in die Raucherlounge, um dort Wasser zu trinken und zu rauchen. Als sie an der Bar saß, fragte sie ein großgewachsener, gutaussehender Mann, ob er sich zu ihr setzen dürfe: Keno B. Der damals 25-Jährige wurde in Konstanz geboren, wuchs aber in der Schweiz auf, wo er bis heute lebt.

Sie flirten und küssen sich

Die beiden redeten stundenlang miteinander. Er erzählte ihr von seinem Restaurant auf der schweizerischen Seite des Bodensees, lud sie auf zwei, drei Longdrinks sowie Tequila-Shots ein und machte ihr Komplimente. „Ich habe mich geschmeichelt gefühlt“, erzählt Camila fast drei Jahre später vor dem Bezirksgericht im schweizerischen Frauenfeld. Sie ist an diesem Tag ganz in schwarz gekleidet, trägt die langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden.

Irgendwann habe er sie im Grey gefragt, ob er sie küssen dürfe. „Ich habe zugestimmt, weil er höflich war und ich mich nicht unwohl mit ihm gefühlt habe“, sagt Camila.

Kein Handyempfang in der Schweiz

Als ihre Freundinnen gegen 4 Uhr früh nach Hause gehen wollten, fragte Keno B., ob sie mit ihm mitkommen möchte – er wolle ihr sein Restaurant zeigen und dort noch etwas mit ihr trinken. Es wären auch nur 10 bis 15 Minuten im Taxi. Für die Rückfahrt würde er ihr Geld geben.

„Ich hatte noch mit meinen Freundinnen diskutiert, ob es eine gute Idee ist, mit jemanden mitzugehen, den ich nicht kenne“, erklärt Camila den Richtern. Er habe ihr daraufhin gesagt, sie brauche keine Angst haben. Sie könne jederzeit gehen, wenn sie sich unwohl fühle.

Die 19-jährige Studentin willigte ein und schickte ihren Standort an ihre Freundinnen. Später sagt sie dazu: „Ich habe mich drängen lassen und bin nur aus Höflichkeit mitgegangen. Schon im Taxi habe ich mich unwohl gefühlt, weil die Fahrt viel länger ging, sicher 20 bis 25 Minuten.“ Auch sei ihr aufgefallen, dass sie mir ihrer deutschen Prepaid-Karte in der Schweiz gar keinen Empfang habe.

Es kommt zum einvernehmlichen Oralsex

Im Restaurant angekommen, habe der 25-Jährige seine Begleiterin durch das Gebäude geführt und ihr zu verstehen gegeben, dass oben auch noch etwas sei. „Erst da habe ich realisiert, dass er hier auch wohnt“, erklärt die 19-Jährige. Keno habe dann in seinem Wohnzimmer einen Horrorfilm angemacht. „Ich habe dann schon verstanden, in welche Richtung das Ganze gehen soll. Er hat sofort Körperkontakt gesucht.“

Die beiden küssten sich gegenseitig, später befriedigte Camila ihn oral – „einvernehmlich“, wie sie vor Gericht sagt. Irgendwann habe die Studentin bemerkt, dass er mit ihr schlafen wolle, was sie abgelehnt habe. Doch: „Er hat mein Nein nicht akzeptiert, weiter darauf beharrt und versucht mich zu überreden.“

Camila: „Ich war aus Angst gelähmt“

Wegen seines Drängens habe sie versucht, einen Kompromiss zu finden und ihn nach Kondomen gefragt. Gemäß Anklage soll Keno das verneint haben, Kondome würden ihn schmerzen. Die Studentin habe ihm mehrfach gesagt, dass sie auf keinen Fall Sex mit ihm wolle.

Er habe dennoch körperliche Kraft angewendet, um mit ihr Sex zu haben. „Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass ich das nicht möchte und Angst habe“, erklärt die 19-Jährige vor Gericht. Er soll dies ignoriert haben. „Ich war durch die Angst und die Tatsache gelähmt, dass er mit seinem ganzen Körpergewicht auf mir lag.“

Frauensachen auf der Toilette

Nach dem Sex sei Keno B. sofort eingeschlafen, Camila zunächst auf die Toilette gegangen. Im Bad entdeckte sie zahlreiche Frauenartikel, darunter Schminksachen und Make-up-Entferner. „Wussten Sie, dass der Beschuldigte eine Freundin hatte?“, fragt die einzige Frau unter den drei Richtern. Camila antwortet, schon im Grey habe er sie gefragt, ob sie vergeben sei, was beide verneint hätten.

Nach dem Sex sei Keno B. sofort eingeschlafen, Camila zunächst auf die Toilette gegangen. Weil sie frühmorgens ohne Handyempfang an einem fremden Ort in der Schweiz keinen anderen Ausweg wusste, habe sie sich in sein Schlafzimmer gelegt, während der 25-Jährige weiter auf der Couch schlief. „Ich konnte nicht einschlafen, weil ich sehr unter Schock war.“

Nach etwa 30 bis 45 Minuten sei Keno B. laut ihren Aussagen aufgewacht und habe sich wortlos zu ihr ins Bett gelegt und sich an ihr vergangen. „Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich habe mich schlafend gestellt und die Augen geschlossen aus Angst“, sagt Camila vor Gericht.

Als sie ihn am kommenden Morgen darauf angesprochen habe, dass sie ungeschützten Sex hatten und ihr das Angst mache, soll er gesagt haben: „Dann kauf dir die Pille“. Daraufhin habe er ihr 120 Euro gegeben, um damit auch das Taxi zurück nach Konstanz zu bezahlen.

Hat sie aktiv beim Sex mitgemacht?

Keno B. wird von seiner Ehefrau zum Prozess begleitet. Er musste die richterliche Befragung von Camila A. per Video aus einem anderen Raum verfolgen, damit es zu keiner direkten Begegnung mit dem mutmaßlichen Opfer kommt.

Auf Schweizerdeutsch erklärt der deutsche Staatsbürger den Richtern, dass er unschuldig angeklagt und am Boden zerstört gewesen sei, als er davon erfahren habe. „Ich bin kein Heiliger gewesen, habe viele Frauen gehabt, aber alle immer gut behandelt“, sagt er und verweist auf seine Aussagen bei der Polizei.

Darin erklärte er unter anderem, die 19-Jährige sei nicht passiv auf der Couch dagelegen, sondern habe beim Sex mitgemacht. Zudem sei es nur einmal zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen, er könne gar nicht zweimal hintereinander. Und er würde es nie zulassen, dass sich jemand in sein Bett lege.

Staatsanwalt fordert 21 Monate Freiheitsstrafe

Der Staatsanwalt sagt in seinem Plädoyer, dass Keno B. bei der Polizei zunächst angab, sich nur schwach an den Abend erinnern zu können. Erst als er mit den Vorwürfen von Camila A. konfrontiert wurde, habe er sich „erstaunlicherweise an viele Dinge wieder erinnern“ können. Weitere Vernehmungen habe der Beschuldigte verweigert, was sein Recht ist.

„Er weiß mehr, als er zugibt – die Aussagen der Geschädigten sind sehr glaubhaft“, sagt der Staatsanwalt. Er fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von 21 Monaten und eine Buße von 5000 Franken wegen Vergewaltigung und versuchter Schändung.

Spielte eine psychische Störung eine Rolle?

Der Verteidiger von Keno B. plädiert auf Freispruch. Er betont, dass Camila A. laut dem Zentrum für Psychologie (ZfP) Reichenau an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leide. Betroffene neigen in Strafverfahren nachweislich häufiger zu Falschaussagen bei Sexualdelikten.

Die Nacht könne sich laut dem Verteidiger auch ganz anders abgespielt haben: Als der Beschuldigte nach dem Sex einschlief, habe sie sich wie ein weggelegtes Spielzeug gefühlt. Als sie die Frauenartikel auf der Toilette entdeckte, habe sich der Sex wie eine Vergewaltigung angefühlt, weil sie nur einen Singlemann gewollt habe.

Am Ende sprechen die Richter den Beschuldigten von den Vorwürfen frei. Es sei zwar denkbar, dass sich der Beschuldigte über den Willen der von Camila A. hinweggesetzt habe oder dieser für ihn nicht erkennbar gewesen sei, sagt der Vorsitzende. Genauso denkbar sei es jedoch auch, dass alles einvernehmlich stattgefunden habe.