„An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk, Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack“, notierte Bertolt Brecht 1942, „mitfühlend sehe ich die geschwollenen Stirnadern, andeutend, wie anstrengend es ist, böse zu sein“. – Dass Brecht die Schönheit der Maske übersah und nur für das Böse ein Auge hatte, hatte auch damit zu tun, dass er – auf der Flucht vor den Nationalsozialisten – zu dem Zeitpunkt im US-amerikanischen Exil festsaß.

Aber sein „Denkbild“ legt auch einen anderen Gedanken nahe. Dass nämlich Masken, wie das menschliche Antlitz, Personen und Identitäten verkörpern. „Die beste Maske, die wir tragen, ist unser eigenes Gesicht“, notierte lange vor Brecht der Philosoph Friedrich Nietzsche. Der Kunsthistoriker Hans Belting schlägt mit seinem Buch „Faces. Geschichte des Gesichts“ (2014) in dieselbe Kerbe, wenn er (allerdings) trauernd registriert, dass selbst die Porträtkunst der europäischen Neuzeit oft nur noch Masken produziert hat.

Warum dieser Prolog? Das Kunstmuseum Ravensburg begibt sich mit seiner aktuellen Gruppenausstellung „Face it“ (dt. „Pack es an“) in diese Debatte. Sie hat, bei allem Ernst der präsentierten Werke – Grafik, Gemälde, Fotografie und Video –, durchaus Unterhaltungswert. Nicht nur für diejenigen Besucher, die sich dem „Zerrspiegel“ aussetzen. Interaktive Kunstbetrachtung heißt das dann wohl...

Die Kuratorinnen der Ausstellung, Kristine Groß und die Museumsleiterin Ute Stuffer, ermöglichen mit „Face it. Im Selbstgespräch mit dem Anderen“ einen Dialog zwischen Kunstwerken des frühen 20. Jahrhunderts und zeitgenössischen Positionen. Sie verstehen das Gesicht als Schauplatz von Emotionen, die sowohl vom jeweiligen Selbstbild als auch von gesellschaftlichen Konventionen überformt werden. Das Gesicht wäre demnach zugleich ein Ort des Zeigens und Verbergens, der Inszenierung und des Rückzugs: „Wer (s)ein Gesicht betrachtet, will sich ein Bild machen. Zugleich beinhaltet der Blickwechsel mit einem Gegenüber den Verweis auf sich selbst, auf die eigenen Rollen und Selbstbilder“, schreiben sie. Im inneren Dialog werde das Gesicht so als Spiegel im Anderen erfahrbar.

Um diese Erfahrung auf unterschiedlicher Ebene sichtbar zu machen, gliedern Gross/Stuffer die Ausstellung mit Werken von 34 internationalen Künstlern in vier Themenblöcke. Darunter sind auch Künstler aus der eigenen Sammlung Selinka, so etwa das „Spanische Mädchen“ (1912) von Alexej von Jawlensky.

Expressives Minenspiel

Die Ausstellung setzt im Erdgeschoss mit einer Videoinstallation von Zhang Huan ein, der mit seinen Händen sein Gesicht abtastet. Darum geht‘s. Im ersten Stock folgt das erste Thema Expressives Mienenspiel. Die Kuratorinnen illustrieren diesen Aspekt mit dem abgründigen Maskenspiel der US-Künstlerin Cindy Sherman aus der Serie „Clown“ (2003-2004). Lacht sie? Weint sie? Oder was? In einem zweiten (Selbst-)Porträt gibt sich die Künstlerin in Anlehnung an Gemälde Alter Meister – und entsprechend historisch kostümiert – machtvoll.

Kleider machen Leute? Bei Sherman gerät die Inszenierung ins Groteske. Asta Gröting überführt in „Not feeling too cheerful“ (2018) Emojis aus der digitalen Welt in Spiegelungen und Glasskulpturen und macht so klar, dass die Geschichte des Gesichts eine Mediengeschichte ist.

Konfrontation mit dem Selbst

Spiegelungen und Doppelgänger lautet der zweite Parcours. Der Spiegel, so wird dem Besucher erklärt, steht in der abendländischen Tradition „im Spannungsfeld von Wahrheit und Lüge“ als ein Medium, „das zu erkennen gibt und zu täuschen vermag“. Die präsentierten Arbeiten rücken indes sowohl die Konfrontation mit dem (narzisstischen) Selbst im Spiegel wie auch mit dem Doppelgänger, dem medialen Alter Ego und der virtuellen Kunstfigur ins Zentrum. So steht der Frau in Erich Heckels Lithografie „Vorm Spiegel“ (1920) buchstäblich der Schrecken ins Gesicht geschrieben, als sie sich selbst entdeckt – das Selbstbild bröckelt. Der Spiegel als Grenzlinie zwischen „Ich“ und dem „Anderen“ dient zugleich als Bindeglied in der Performance „Balance Proof“ (1977) von Marina Abramovic und Partner Ulay. Albrecht Tübke hat „Twins“ (2001-2008) fotografiert, die nicht nur im Antlitz gleich aussehen, sondern auch in Kleidung und Haltung. Faszination und Befremden stellen sich beim Betrachten seiner Zwillings-Serie ein. Dieter Appelt löscht in der Serie „Der Fleck auf dem Spiegel“ (1977) seine Identität aus, indem er die Oberfläche seines gespiegelten Selbst durch den lebensspendenden Odem verdeckt.

Kontrollverlust

Privatim: Schlaf – Ekstase – Tod bildet das dritte Kapitel von „Face it“. Die Gesichter der Werke dieses Ausstellungsteils sind ganz bei sich. Diese „Gesichtsvergessenheit“ wird in den existentiellen Momenten Schlaf, Ekstase und Tod erfahrbar. Zeugnisse des Kontrollverlusts und der Selbstvergessenheit dokumentieren sowohl Ernst Ludwig Kirchners „Ruth im Morphiumtraum“ (1907) als auch die Bildserie „Headshots“ (1991-1996) von Aura Rosenberg, die die „faciale“ Spannung und Entspannung während des Liebesaktes in den Fokus rückt. Der Anblick des Todes, die dritte Erfahrung, ist in Andreas Slominskis Skulptur „Coffin Transoxide Brown“ (2013) präsent; dem Grauen steht Erich Heckels nach dem Ersten Weltkrieg entstandenes „Männerbildnis“ (1919) kaum nach.

Rollenbilder werden hinterfragt

In der Jenseits stereotyper Rollenbilder getitelten vierten und letzten Sektion werden herkömmliche Rollenbilder von Mann, Frau oder Heterosexualität hinterfragt. Körper und Gesicht mutieren dabei zum Austragungsort von Gesellschaftskritik. Jürgen Klaukes Fotografie „Transformer“ (1973) scheint in der Tat dazu geeignet zu sein, diesen Umbruch vorstellbar zu machen, aber auch Nadin Goldins Fotografie einer Drag Queen (1991). Und selbst das „Spanische Mädchen“ gehört hierher. Für Jawlenskys Reihe „Spanierinnen“ saß keine Frau, sondern der russische Tänzer Alexander Sacharoff Modell. So kann man sich irren.

Porträtkunst einmal anders. Dass sie bisweilen etwas zwanghaft unter den thematischen Titel „Face it“ gestellt wird – das ist nicht zu kritisieren. Denn die Exponate können unabhängig davon betrachtet und beurteilt werden.

„Face it“ ist bis zum 29. September im Kunstmuseum Ravensburg zu sehen. Öffnungszeiten: Di bis So 11-18 Uhr, Do 11-19 Uhr. Weitere Infos: http://www.kunstmuseum-ravensburg.de