Eigentlich gibt es ja kaum etwas Nachhaltigeres als klassische Musik. Felix Mendelssohn Bartholdys Konzertouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“ zum Beispiel ist bereits fast 200 Jahre alt. Sie erklang im jüngsten Abo-Konzert der Bodensee Philharmonie neben Robert Schumanns 3. Symphonie, ebenfalls schon mehr als 170 Jahre alt. Von älteren Klassikern wie Mozart oder gar Johann Sebastian Bach ganz zu schweigen. Noch immer werden sie hervorgeholt und auf Konzertprogramme gestellt. Ein Verschleiß ist nur in Einzelfällen zu bemerken.
Themenwoche der Bodensee Philharmonie
Trotz allem ist Nachhaltigkeit längst auch ein Thema in der Klassik-Branche. Denn Orchester und Ensembles reisen recht viel, und wie hier der eigene CO2-Fußabdruck klein gehalten werden kann, ist für viele zum Thema geworden. So haben sich beispielsweise etliche deutsche Orchester zu den „Orchestern des Wandels“ zusammengeschlossen, um für den Klima-, Natur- und Artenschutz aktiv zu werden, den eigenen CO2-Ausstoß zu verringern und über außergewöhnliche Konzertformate die Dringlichkeit der Themen zu unterstreichen.
Konzert auf dem Wertstoffhof
Auch für die Bodensee Philharmonie sind Klima und Nachhaltigkeit ein Thema. Sie hat daraus – im Rahmen des Förderprogramms des Bundes „Exzellente Orchesterlandschaft“ – gleich eine ganze Themenwoche gemacht, die in den Abo-Konzerten im Konzil und in einem Konzert auf dem Wertstoffhof in Konstanz ihren Höhepunkt fand.
Auf dem Wertstoffhof? Ja, denn als Ort, dessen Bestimmung darin liegt, Aussortiertes neuem Leben zuzuführen, ist er geradezu prädestiniert für eine Komposition, die sich „Recycling Concerto“ nennt und Weggeworfenes wie Plastik- und Glasflaschen, Kronkorken, Alukapseln oder alte Töpfe zu Schlaginstrumenten recycelt.
Während also die Percussionistin Vivi Vassileva das „Recycling Concerto“ von Gregor A. Mayrhofer auf dem Wertstoffhof als Solitär präsentierte, war es in den Abo-Konzerten im Konzil eingebettet in die beiden Werke von Mendelssohn und Schumann. Naturromantik und harte Realität treffen aufeinander.
In der Gegenwartsmusik ist es eigentlich nicht ungewöhnlich, auch Alltagsmaterialien, Weggeworfenes oder Gegenstände des täglichen Gebrauchs in die Musik zu integrieren – ob, wie jetzt auch bei Mayrhofer, als Knistern mit Plastik oder Papier oder indem Korken auf Marimba-Stäbe regnen. Doch wie Vassileva dem Publikum vorab erklärte, bestand nicht nur ein Großteil ihres Instrumentariums aus recyceltem Material, auch die Musik selbst sei recycelt.
Und zwar hat sich der Komponist Mayrhofer die Jingles von vier großen Konzernen vorgeknöpft und zum thematischen Material gemacht: McDonalds, Coca-Cola, Telekom und Nespresso – sie alle stehen für unterschiedliche Formen der Ressourcenverschwendung. Vasileva spielte die Jingles vorab an – und so hatten die Ohren während des mit gut 30 Minuten nicht ganz kurzen Stücks einiges zu tun.
Hoher Schauwert
Die Komposition hält das Orchester mit einer Mischung aus gemäßigter Neuer Musik und jazzigen Beigaben auf Trab, es überzeugt allerdings weniger musikalisch als durch den hohen Schauwert und die enorme Virtuosität der Percussionistin. Diese bewegte sich behände wie ein Wiesel durch den riesigen Schlagzeug-Aufbau und wirbelte zwischen Vibraphon, Marimbaphon, dem (ja, wie sollen wir es nennen?) Plastikflaschenphon und der Wand aus Glasflaschen und Töpfchen umher, ließ mal hier noch Korken regnen und legte dort noch ein Stück Alufolie auf.
Zu jedem guten Konzert gehört auch eine Solo-Kadenz, so auch hier. Vassileva gestaltete sie auf zwei Plastikflaschen, denen sie nicht nur virtuose Rhythmen, sondern auch Töne entlockte, mit denen sie die vielleicht spannendsten Minuten dieses Konzerts kreierte. Der Jubel am Schluss war ihr damit sicher – völlig zu Recht.
Mendelsohns feines Stück Programmmusik ging da fast ein wenig unter. Dabei ist die Windstille, die ja auch jeden Bodensee-Segler zur Verzweiflung bringen kann, hier so wunderbar in Töne gefasst, ebenso wie das Kräuseln des Wassers oder die pompöse Einfahrt in den Hafen.
Im Schaffensrausch
Robert Schumanns dritte Symphonie schließlich, die sogenannte „Rheinische“, erwies sich unter der Leitung von Gabriel Venzago einmal mehr als ein Höhepunkt der symphonischen Literatur. Venzago entfesselt die gelöste Euphorie des ersten Satzes durch vollen Körpereinsatz. Bekanntermaßen schrieb Schumann das Werk in einem Schaffensrausch kurz nach seinem Antritt als Musikdirektor in Düsseldorf. Der Schwung überträgt sich in der Musik, und Venzago überträgt sie aufs Orchester. Es ist, wenn man so will, sein Beitrag zur Nachhaltigkeit: denn so interpretiert, wird man das Werk gerne immer und immer wieder hören.
Weitere Aufführungen: Dienstag, 15. Oktober, 19.30 Uhr, Milchwerk Radolfzell; Mittwoch, 16. Oktober, 19.30 Uhr, Konzil Konstanz. http://www.bodensee-philharmonie.com