Philipp Hedemann

Herr Alhraki, Mister Cunningham, wie haben Sie sich kennengelernt?

Liam Cunningham: Ich war im September 2016 mit der Hilfsorganisation World Vision in Jordanien, um auf das Leid der vielen Menschen aufmerksam zu machen, die vor dem Krieg in Syrien ins Nachbarland geflohen waren. Dort habe ich Hussam getroffen.

Hussam Alhraki: Die World Vision-Leute haben mir gesagt, dass ich einen berühmten Schauspieler treffen würde, aber mir sagte sein Name nichts. Ich komme aus Daraa, der Stadt, in der vor zehn Jahren der Krieg ausbrach. Damals war ich elf Jahre alt. Seitdem hat der Krieg mein ganzes Leben bestimmt. Als ich Liam traf, hatte ich noch nie von Netflix oder Game of Thrones gehört. Das hat mich auch alles nicht interessiert. Ich wollte nur überleben und mit meiner Mutter nach Deutschland. Familienzusammenführung. Dort lebten damals bereits mein Vater und meine Brüder. Ich hatte unerlaubt das Flüchtlingslager verlassen. Ich hatte Angst, dass die Polizei auf mich aufmerksam werden würde, wenn ich einen großen Filmstar treffen würde. Aber Liam kam ganz unauffällig als sehr bescheidener Mann und hat mich freundlich angelächelt. Dann haben wir uns ewig unterhalten. Über den Krieg, über Schauspielerei, über alles.

Liam Cunningham: Und Du hast mir auf Arabisch dieses traurige Lied vom Krieg in Syrien vorgesungen. Deiner Mutter liefen dabei die Tränen übers Gesicht. Weißt Du noch? Kannst Du es noch einmal singen?

Hussam Alhraki sitzt in einem Auto in Stuttgart und singt, Liam Cunningham sitzt in seinem Arbeitszimmer in Dublin, lauscht andächtig dem traurigen Lied und zupft sich am Bart.

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Welche Erinnerungen weckt dieses Lied, Herr Alhraki?

Hussam Alhraki: Keine guten! Wir sind während des Krieges drei oder viermal innerhalb Syriens vor den Truppen Baschar al-Assads geflohen. Als unsere Schule bombardiert wurde, gab es viele Tote und Verletzte. Saad, einer meiner besten Freunde, starb auf dem Schulhof in meinen Armen. Danach hat mein Vater gesagt: Jetzt fliehen wir.

Liam Cunningham: Ein paar Wochen nach unserem Treffen hast Du mir per WhatsApp ein Foto geschickt. Du saßt in einem Flugzeug nach Deutschland. Ich war so unglaublich erleichtert. Ein paar Tage später habe ich Dich dort mit einem nicht angekündigten Besuch überrascht.

Hussam Alhraki: Du hattest mir in Jordanien gesagt, dass Du mich in Deutschland überraschen würdest. Aber ich dachte: Er ist ein viel beschäftigter Mann, ein berühmter Schauspieler. Das macht er doch sowieso nicht. Spätestens, seitdem Du es doch getan hast, bist Du wie ein Vater für mich.

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Liam Cunningham: Und ein Vater muss einen Sohn auch mal disziplinieren: Zum Beispiel, wenn er auf die Idee kommt, an brennenden Tabakstäbchen zu ziehen oder später ins Bett zu gehen, als er sollte. (lacht)

Vor zweieinhalb Jahren hat Hussam die Hauptrolle in einem Kurzfilm gespielt. Waren Sie stolz, dass Ihr Ziehsohn Ihnen beruflich nacheifert?

Liam Cunningham: Nein! Ich sagte Hussam: Such dir einen richtigen Job! Sei nicht so ein Idiot wie ich! (lacht). Zur Premiere bin ich dann doch nach Deutschland geflogen. Und ich muss sagen: Er hat Talent. Also ja: Ich bin stolz auf ihn!

Liam Cunningham und Hussam Alhraki bei der Vorstellung des Films „Halbnah“ in einem Böblinger Kino im Juli 2018.
Liam Cunningham und Hussam Alhraki bei der Vorstellung des Films „Halbnah“ in einem Böblinger Kino im Juli 2018. | Bild: World Vision

Hussam Alhraki: Ich habe im Krieg viele schreckliche Dinge gesehen und erlebt. Ich glaube, das hilft mir jetzt. Wenn ich eine traurige Szene spielen oder weinen muss, muss ich nur an das denken, was ich erlebt habe.

Liam Cunningham: Die Schauspielerei ist das eine, aber stolz bin ich auf Hussam vor allem, weil er sich nie aufgegeben hat. All die Raketen und Bomben, die gebaut wurden, um Menschen zu zerstören, haben Hussam nicht brechen können. Schon in Jordanien hat er mich mit seiner Disziplin sehr beeindruckt. Er hat jeden Tag per YouTube Deutsch gelernt, um in Deutschland niemandem zur Last zu fallen. Dass Hussam jetzt so ein toller Typ ist, verdankt er allerdings nicht nur sich selbst, sondern auch der Großzügigkeit Deutschlands. Ich bewundere das Land dafür, wie es seiner moralischen Verantwortung, Menschen zu helfen, die vor Krieg und Gewalt fliehen mussten, so vorbildlich nachgekommen ist. Das ist etwas, auf das man als Staat und als Gesellschaft unglaublich stolz sein kann.

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In Syrien jährt sich der Ausbruch des Krieges jetzt zum zehnten Mal...

Hussam Alhraki: Das heißt: Fast die Hälfte meines Lebens wird in Syrien gekämpft. Der Krieg hat nicht nur meine Kindheit zerstört. Er hat unzählige Menschen getötet, auch viele Leute, die ich kannte. Es ist eine absolute Katastrophe – und es wird jeden Tag schlimmer! Auch wenn ich jetzt in Sicherheit bin, leide ich jeden Tag unter dem Krieg in meiner Heimat. Meine beiden Schwestern und viele meiner Verwandten sind noch in Syrien. Ich habe Angst um sie. Oft muss ich deshalb weinen. Und das Schlimmste ist: Nichts deutet darauf hin, dass es bald aufhören wird! Ich befürchte, in zehn Jahren herrscht in Syrien seit 20 Jahren Krieg.