Reicht wirklich ein Platz im Neubaugebiet? Martin Walser, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller der Nachkriegszeit, hat fast sein ganzes Leben am Bodensee verbracht, fast 70 Jahre davon im Überlinger Stadtteil Nußdorf. Am 26. Juli ist er gestorben.

Die Nachricht von seinem Tod, so wenig sie auch angesichts seines hohen Alters von 96 Jahren überraschen konnte, erschütterte gleichwohl Leser, Kritiker und Autorenkollegen in der ganzen Republik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte ihn als beispielhaft für „historisch bewusste, engagierte Dichtung“, und der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier konstatierte: „Wer in fünfzig, hundert Jahren über alle Geschichtsbücher hinaus wissen möchte, wie die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland lebten, dem wird nichts anderes übrig bleiben, als in Chronologie das Werk von Martin Walser zu lesen.“

Der Fall Rammstein

Doch historisches Bewusstsein ist oft konfliktbehaftet, und die von Walser ausgelösten Kontroversen hatten ihn schon zu Lebzeiten auch an seinem Wohnort am Bodensee eingeholt. Etwa in Gestalt einer vom Bildhauer Peter Lenk erschaffenen Skulptur, die den Dichter in Anspielung an seine umstrittene Paulskirchenrede von 1998 als mit Schlittschuhen ausgestatteten Bodenseereiter karikiert.

Und nun also die posthume Würdigung in einem Neubaugebiet? So jedenfalls hat es Überlingens Bürgermeister Jan Zeitler angeregt und damit in seiner Stadt eine Debatte losgetreten: Denn nicht wenige Bürger könnten sich für den wohl prominentesten Überlinger der vergangenen Jahrzehnte einen prestigeträchtigeren Ort vorstellen.

Noch ein Sohn der Bodenseeregion wird fehlen

Schließlich hat sich Walser nicht nur als scharfsichtiger Chronist seiner Zeit erwiesen, sondern auch als ausgesprochen heimatbewusster Autor. Sicht- und hörbar wurde das etwa in seinem Engagement für die alemannische Mundart, die ihn mit einem anderen Sohn der Bodenseeregion verband: Bruno Epple hatte dem Hegau, dem See, der Höri nicht nur in seiner Lyrik ein Denkmal gesetzt.

Den meisten dürfte er vor allem als Maler im Gedächtnis bleiben. Seine in naiver Bildsprache gehaltenen, oft nur vermeintlich unschuldigen Ansichten von Land und Leuten, so hatte Walser einmal erklärt, wirken, als betrachteten sie selbst ihr Publikum. Am 11. August, nur wenige Wochen also nach dem Tod seines Freundes und Weggefährten in Überlingen, ging auch das Leben des Bruno Epple zu Ende.

Auch von Bruno Epple mussten wir uns im vergangenen Jahr verabschieden. Der Malerpoet wurde 92 Jahre alt.
Auch von Bruno Epple mussten wir uns im vergangenen Jahr verabschieden. Der Malerpoet wurde 92 Jahre alt. | Bild: Fricker, Ulrich

Kein Zweifel, dieses Jahr ist eines des Abschiednehmens gewesen, aber auch eines der harten Kämpfe um die Zukunft. In Konstanz standen drastische Einsparungen bei den großen Kulturinstitutionen zur Debatte. Bis zu 20 Prozent sollten dem Rotstift zum Opfer fallen, so hatte es das Regierungspräsidium in Freiburg gefordert. Doch die Stadträte waren sich offensichtlich der Tatsache bewusst, dass es weniger die Kultur gewesen ist, die in den vergangenen Jahren auf die Haushaltslage drückte, sondern etwa eine sich selbst gegenüber großzügig kalkulierende Verwaltungsspitze oder ein mit jährlichen Zuschüssen von rund 2,5 Millionen Euro mühsam über Wasser gehaltenes Tagungszentrum. Und so kamen sowohl Theater als auch Philharmonie noch einmal mit einem blauen Auge davon.

Aus für Intendantin der Philharmonie

Vor allem für die Musiker bedeutete das ein vorläufiges Happy End nach turbulenten Zeiten. Seit Jahren hatte man mit Problemen zu kämpfen, die über das coronabedingte Maß weit hinaus gingen. So waren in nicht einmal fünf Jahren neben sämtlichen Sponsoren auch fast ein Drittel aller Abonnenten verloren gegangen. Die Gründe reichten von mangelnder Kommunikation über unpopuläre Programmatik bis zum Umgang mit Ex-Dirigent Ari Rasilainen. Längst war die Suche nach den Ursachen zu einem Politikum im Konstanzer Gemeinderat geworden.

Nach einer heftig umstrittenen Vertragsverlängerung für Intendantin Insa Pijanka im Sommer 2022 dauerte es nicht lange, bis aus dem Orchesterbetrieb neue Vorwürfe dem SÜDKURIER zugetragen wurden: Plötzlich ging es um Plagiate der Intendantin, Manipulationen von Fahrtenbüchern durch Mitarbeiter und weitere Unregelmäßigkeiten hinter den Kulissen. Am 9. Januar zogen Stadt und Intendantin die Konsequenzen, vereinbarten eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

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Ein Interimstrio, bestehend aus Chefdirigent Gabriel Venzago, Organisationsleiter Rouven Schöll und Musikschulchef Dieter Dörrenbächer, vermochte zwar in kürzester Zeit, den Trend am Abonnentenmarkt umzukehren. Doch die eigentliche Herausforderung wird sein, trotz struktureller Nachteile den langfristigen Erfolg zu sichern: Auf ein Konzerthaus etwa, das den Ansprüchen eines Orchesters dieser Größenordnung gerecht wird, wird man wohl weiter vergebens warten.