Liebe geht durch den Magen, aber wenn diese Liebe eine politische ist, wird die Sache verdächtig. 45.000 Menschen sollen sich im vergangenen Sommer auf Markus Söders Einladung zum gemeinsamen Döner-Verzehr gemeldet haben.
Er wisse gar nicht, sagte der bayerische Ministerpräsident, ob es in seinem Bundesland überhaupt so viele Exemplare dieses deutsch-türkischen Fast-Food-Gerichts auf einen Schlag gebe! Am Ende durften nur 40 seiner Instagram-Follower mit ihm speisen, alle anderen erhielten ein T-Shirt mit eigens entworfenem Logo. Motto: „Söder Kebab“.
Nur wenige Wochen zuvor hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich für seinen Türkei-Besuch ein ganz besonderes Gastgeschenk ausgedacht. Der 60 Kilogramm schwere, tiefgefrorene Dönerspieß kam gleich beim Empfang zum Einsatz: Das Staatsoberhaupt höchstpersönlich band sich erst eine Schürze um und ließ sich dann das Messer reichen.
Derweil brachte die Linkspartei eine Dönerpreisbremse ins Spiel. 4,90 Euro pro Bestellung seien noch akzeptabel. Alles, was darüber hinausgeht, erfordere dringenden Handlungsbedarf des Staates: Subventionen in Höhe von vier Milliarden Euro sollte uns das Recht auf Döner wert sein.
Wo sind die Klassiker hin?
So viel Politik, so viel Liebe zu ein bisschen Fleisch mit Salat und Fladenbrot! Wie konnte es nur dazu kommen? Und wo sind bloß unsere Klassiker hin, die gute alte Bratwurst, das Jägerschnitzel, die Schweinshaxe?
Es ist fast ein bisschen viel der Aufmerksamkeit, derer sich das „drehende Grillfleisch“ – so die wörtliche Übersetzung für „Döner Kebab“ – erfreut. „Anscheinend hat sich der Döner besser integriert als der Türke“, ätzt die SPD-Politikerin Lale Akgün gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. „Der Türke muss dem Döner nachlaufen, um ein Stück der Anerkennung abzubekommen, die der Döner wohl genießt.“

Tatsächlich lässt sich an der politischen Aufladung des Gerichts der mentale Zustand einer ganzen Gesellschaft ablesen. Sein Siegeszug steht für ein gewandeltes Selbstverständnis der Deutschen. Und vielleicht ist es gar nicht Liebe, was hier durch den Magen geht, sondern vor allen Dingen Wahrheit.
Denn auf dem Teller landen neben einem Bekenntnis zu Weltoffenheit und Völkerverbindung auch eher unschöne Eigenschaften wie Geiz, Völlerei und Gleichgültigkeit. Ja, es hat mitunter den Anschein, als sei das Licht nur die Rechtfertigung des Schattens, als diene der Kult um ein multikulturelles Produkt dazu, fragwürdigen Verhaltensweisen ohne lästige Kritik frönen zu können.
Was hat Paniermehl im Döner verloren?
In kaum einer anderen Gastrobranche wird so viel Paniermehl verbraucht wie in der Döner-Industrie. Im Internet werben Hersteller sogar ganz offen um Imbissbudenbesitzer: Veredeln Sie Ihren Döner mit unserem exquisiten Paniermehl! Erfahrenen Kunden dürfte das eher spanisch statt türkisch vorkommen. Denn was um alles in der Welt hat Paniermehl mit unserem beliebten Fast-Food vom Drehspieß zu tun?
Was sich „Döner“ oder „Döner Kebab“ nennt, besteht neben dem Fleisch (von Rind, Kalb, Schaf oder Lamm) aus Salz, Gewürzen, gegebenenfalls auch Eiern, Zwiebeln, Öl, Milch und Joghurt. So steht es in den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse des deutschen Lebensmittelbuchs. Hackfleisch ist erlaubt, aber nur bis zu einem Anteil von 60 Prozent.
Bereits beim Einsatz von Geflügelfleisch weicht das Produkt von diesen Leitsätzen ab und muss auf gesonderte Weise beworben werden. Entsprechend ist auch ein Döner mit Paniermehl eben keineswegs mehr ein Döner. Sondern zum Beispiel: ein „Döner mit Paniermehl“. So jedenfalls heißt es unmissverständlich vonseiten des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

Dass sich Paniermehl auch in angeblichen „Döner Kebabs“ finden lässt und darüber hinaus auch oftmals deutlich mehr als 60 Prozent Hackfleisch verarbeitet sind, hat fürs ZDF der Koch und Produktentwickler Sebastian Lege recherchiert. Sage und schreibe sechs von zehn seiner untersuchten Döner waren gar keine Döner. Sondern allenfalls deren Karikaturen.
So enthielt eine Portion „Kalbsdöner“ zwar tatsächlich Kalbfleisch – aber in homöopathischer Dosis: 0,4 Prozent. „Hackfleisch-Brotspieß mit orientalischer Gewürzmischung“ nennt Lege ironisch solche Pseudodöner. Paniermehl veredelt nur einen Aspekt beim Dönerverkauf: den Kassenstand.
Man könnte sich deshalb eine politische Bewegung für wirksame Qualitätsprüfung vorstellen. Schützt die ehrlichen Dönerverkäufer und unsere Gesundheit! Schluss mit dem täglichen Betrug an viel zu vielen Imbissständen! Für mehr gastronomische Vielfalt in den Innenstädten!
Doch mit solchen Forderungen lässt sich kaum Politik machen. Zu egal ist im Land der Discounter und Schnäppchenjäger die kulinarische Qualität. In der Theorie stehen Bioprodukte und nachhaltige Landwirtschaft zwar hoch im Kurs. Die Praxis allerdings zeigt: Kommt es an der Fleischtheke tatsächlich zum Schwur, denkt der Verbraucher am Ende doch lieber an seinen Geldbeutel.
Dass uns Deutschen beim Autokauf zwar nichts zu hochwertig sein kann, sobald es jedoch ans Essen geht, die Pfennigfuchserei beginnt, ist keine neue Erkenntnis. Der vor dem Discounter parkende Porsche gilt europaweit als Sinnbild deutscher Prioritätensetzung. Neu aber ist eine Imbisskultur, die es uns erlaubt, den Geiz zu verschleiern.
Der Big Mac eignete sich nie für Wahlkampf
Als Fast-Food noch McDonald‘s hieß, sämtliche Filialen nach der immer selben Rezeptur produzierten und stets der gleiche Clown vom Werbebanner grüßte: Da war jeder Gang zur Kasse mit Scham verbunden.
Weil doch erstens allgemein bekannt war, dass es ohnehin überall gleichermaßen dürftig schmeckt. Weil zweitens auch ein Ausweichmanöver zu Burger King oder Pizza Hut die prinzipielle Gleichgültigkeit kulinarischen Standards gegenüber kaum vertuschen konnte. Und weil man drittens die paar Mark fünfzig für den substanzlosen Cheeseburger auch noch umstandslos einem amerikanischen Großkonzern in den Rachen warf.
Nein, der einstige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hätte ganz bestimmt nicht eine Fritteuse aus solchem Hause als Gastgeschenk nach Washington gebracht. Und auch ein bayerischer Ministerpräsident wie Franz Josef Strauß wäre wohl kaum in die Verlegenheit gekommen, seinen Landtagswahlkampf mit dem öffentlichkeitswirksamen Verzehr von Big Mac und Doppelwhopper zu bestreiten.
In Zeiten des Döners dagegen kann sich auch der porschefahrende Aldi-Kunde noch als feinsinniger Gourmet inszenieren. „Bei Döner-Star an der großen Kreuzung? Oh nein, da stimmt die Gewürzmischung nicht! Ich gehe nur zu Kebab-Ahmet in der Hauptstraße!“
Mit dem Kundengespräch an der Theke ist zudem das täglich erforderliche Pensum an interkulturellem Dialog erfüllt: Wer zwischen Begriffen wie Dürüm, Lahmacun und Yufka unterscheiden kann, demonstriert seine vermeintliche Aufgeschlossenheit und tolerante Lebenseinstellung.
Gesundheitsbewusst scheint man außerdem zu sein, schließlich steckt in so einem Döner ja weit mehr Gemüse als in jedem Hamburger. Und nicht zuletzt fördert der Kunde die regionale Gastronomie, das Geld bleibt hier, statt im Rachen eines amerikanischen Franchise-Unternehmens zu landen.
Für uns deutsche Moralweltmeister ist der Kult um den Döner also ein wahres Hochfest politischer Selbstbeweihräucherung. Gestrecktes Fleisch, Preisdumping, Innenstadtverödung? Bei so viel schönem Schein sieht man über dieses bisschen hässliches Sein doch gerne hinweg.