Die ersten Bienen summen um die Kaffeetassen, der Hausherr lässt sich in einem der knarrenden Rohrsessel nieder. Hinter dem zierlichen Tisch wirkt Peter Lenk noch größer. Obwohl ihn die Jahre und die Arbeit etwas gebeugt haben, ist der Mensch in Cordhose und den unvermeidlichen Hosenträgern noch immer eine lange Gestalt. Ein Typ ohne Etikett.

Er hat ein paar Falten mehr, der Bart und Haupthaar schimmern mehr grau als blond. Doch wenn er mit markanten Sätzen die Kunstszene im Lande kommentiert, ist er noch immer der Alte mit den jungen Sätzen. Am 6. Juni wird er 75 Jahre alt.

Lenk sitzt selten in seinem Garten. Jede Rentnergemütlichkeit ist ihm fremd. Der umtriebige Mensch hat wenig Zeit und noch viel vor. „Ich muss schaffen, bis ich umfalle“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Der Hund schaut besorgt zu seinem Gebieter auf.

Er hat keine Rente, sagt Lenk, also wird er arbeiten bis zum letzten Atemzug. Dabei ist Bildhauerei auch Knochenarbeit. Ein Blick in die Werkstatt zeigt: Die Lenkwerke sind erst einmal solides Handwerk. Die Figuren formt er erst, dann nimmt er einen Abguss ab und baut die Form für den Guss. Viele Zentner an Material geraten in Bewegung.

In Familiensachen ist er konservativ

Zum Feiern ist ihm nicht zu Mute. Am runden Geburtstag wird er seine Frau Bettina einpacken und mit ihr in die Wirtschaft gehen. Auch sie ist vom Fach, hat ihm bei vielen seiner Werke beim Formen und Kneten geholfen. Dass sie bald ihre Goldene Hochzeit begießen werden, sagt er nebenbei und mit der ihm eigenen Ironie.

Einige Künstlerkollegen fänden diese Treue merkwürdig, sie seien zum wiederholten Male verheiratet. In dieser Hinsicht ist Lenk konservativ. Seine Figuren jagen einer beliebigen Sexualität nach – er selbst ist da solide.

Bettina gleicht aus, wo ihr Mann poltert. Sie unterstützt, sie hält ihm den Rücken frei. Und sie ist Mutter der Töchter Miriam und Annie. Auch diese sind künstlerisch tätig. Die Wiese um das alte Wohnhaus ist vollgestellt mit Figuren aus dem Lenk‘schen Welt – eine große Spielweise, auf der man lieber hämmern und zeichnen will als ins Laptop gucken.

Peter Lenk im Garten seines Hauses. Nach seinem Tod sollen Haus und zwei Gärten ein großes Museum bilden.
Peter Lenk im Garten seines Hauses. Nach seinem Tod sollen Haus und zwei Gärten ein großes Museum bilden. | Bild: Fricker, Ulrich

Das schönste Geburtstagsgeschenk machte ihm der Gemeinderat von Bad Urach: Er bestellte ein neues Werk bei Lenk, das im Sommer 2023 eingeweiht wird. Thema wird der Schäferlauf sein, den das Städtchen auf der Schwäbischen Alb traditionell veranstaltet.

Lenk hat sich bereits in die einschlägigen Chroniken vertieft, um ins Thema zu kommen. Prompt hat er ein pikantes Detail ausgegraben: Die jungen Schäfer mussten in aller Zeit ihre Kleidung ablegen, bevor sie über die Stoppeln liefen. Nur ein Oberhemd durften die jungen Burschen tragen, wenn sie um die Wette rannten, um den zukünftigen Bräuten zu imponieren.

Ein leichtes Mädchen begründete seinen Ruhm

Peter Lenk wurde am 6. Juni 1947 in Nürnberg geboren. Den fränkischen Unterton hört man bis heute heraus. Als junger Kunstlehrer unterrichtete er in Stockach und fiel schnell auf: Er weigerte sich, den Schülern Noten zu geben; Kunst könne man eben nicht bewerten wie einen Vokabeltest, sagt er. Er sattelte um und entschied sich für die Arbeit als freier Künstler.

Es folgten die ersten Großplastiken. Berühmt und auch berüchtigt machte ihn die Imperia an der Einfahrt des Konstanzer Hafens. Hier kam alles zusammen, was Lenks Werke stets ausmacht: Die Aufstellung bei Nacht und Nebel, der Streit mit der Stadt, die Diskussion um käufliche Liebe – an einem der schönsten Punkte der Stadt.

Der zukünftige Skulpturengarten.
Der zukünftige Skulpturengarten. | Bild: Fricker, Ulrich

Nach diesem Muster liefen später viele seiner Vorstellungen. Der Meinungsstreit über seine Skulpturen ist so wichtig wie diese selbst. Seine Figuren sind stets drall und greifbar gestaltet. Bald jeder bleibt stehen und entwickelt einen Standpunkt.

Das klassische Feuilleton fremdelte von Anfang an mit den vulgär virtuosen Szenen und ignorierte ihn, als ob er Gartenzwerge baute. Dieselben Kritiker, die einem abstrakten Gemälde ein Quäntchen Sinn abpressen, verzweifelten an der erotischen Bilderwelt des Schwarzen Peter. Er sagt: „Mancher Kritiker hat keinen Zugang zur Kunst.“ Die enttäuschende Erfahrung, die er in Stuttgart machte, mag ihm recht geben.

Er fing als Rebell an. Inzwischen ist der 75-Jährige breit anerkannt. Der Universitätslehrer Helmut Weidhase zählte zu den ersten, die ihm akademische Schützenhilfe gaben. Inzwischen stehen seine Werke in vielen Gemeinden in Südbaden, einige in Württemberg, und je eine in Berlin und Schwerin.

Lenks umstrittenste Werke

Kopien seiner Arbeiten blinzeln in Vorgärten und in den Wohnlandschaften des gehobenen Mittelstandes – exakt der Menschen also, die der Künstler satirisch aufs Korn nimmt. In Stuttgart standen im Herbst 2020 die Unterstützer Schlange, um sich in die Spenderliste einzutragen.

Sein Haus wird später zum Museum

Seine Wohngemeinde Bodman-Ludwigshafen ist stolz auf ihn. Der bekannteste Bürger dort – Wilderich Graf Bodman – gilt als ausgewiesener Fan des Feuerkopfs. Vor einigen Wochen erhielt Lenk den Ehrenbrief der Gemeinde.

Kommune und Künstler denken in die Zukunft, sie fragen sich: Was wird aus der Sammlung nach dem Tod ihres Schöpfers? Lenk ist nüchtern, er hat alles geregelt. Haus und Garten werden nach seinem Ableben zum Museum umgewidmet, berichtet er. Seine jüngere Tochter Annie wird das Ensemble dann betreuen und die Führungen verantworten.

Das Gespräch im Grünen nimmt schnell eine unerwartete Wendung. „Ich bin dem Glauben nahe…“, sagt der Mann mit dem Schnauzbart, und ergänzt: „… der Kirche aber nicht.“ Mehrfach habe er einen Schutzengel um sich gehabt. Einmal stand er auf dem Gerüst und geriet in Rücklage. Da erinnerte er sich an den Rat eines alten Handwerkers und ging in die Knie. Das rettete ihn – die Knie und der Schutzengel.

Auch die vielen Jahre im Sattel der geliebten Harley Davidson überstand er heil. Sechs Maschinen fuhr er von diesem Typ, oft mit Familie und Töchtern im Beiwagen.

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Von den guten Geistern wandert das Gespräch schnell zum Tod. Über sein Begräbnis macht er sich bereits Gedanken. Er wird das Grabmal selbst gestalten und einen Stein mit Einhorn vorbereiten. Einhorn also, Sinnbild aller Fantasie. Das sagt er ohne zu Zucken und krault Hund Anawak das weiße Fell.

Dann steht der Mann auf, seine Augen blitzen schon wieder verdächtig blau. Das Kaffeestündchen im Paradiesgarten ist beendet. „Jetzt muss ich arbeiten“, sagt er, reicht die Pranke zum Gruß und verschwindet in der Werkstatt.