Er war eine Klasse für sich, singulär in der deutschsprachigen Bühnenwelt. Überraschend ist René Pollesch im Februar 2024 gestorben. Reflexiv und herrlich durchgeknallt, theoriegemästet und boulevardtheatralisch schwebend zugleich waren die Arbeiten des Autors und Theaterregisseurs, der sich auch in der Rolle des Intendanten der Berliner Volksbühne versucht hat.

Am Schauspielhaus Zürich war für diesen September ein Stück von Pollesch geplant. Auf der Pfauenbühne lebt der Virtuose des postdramatischen Theaters jetzt immerhin weiter, indem der von ihm geschriebene und inszenierte Anderthalbstünder „Liebe, einfach außerirdisch“ in einer Aufführungsserie gezeigt wird. In der Originalbesetzung bewährt sich der 2022 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführte Abend als amüsante Komödie.

René Pollesch, Theaterregisseur und Autor, wurde 2021 Intendant der Berliner Volksbühne. Im Februar 2024 starb er mit 61 Jahren.
René Pollesch, Theaterregisseur und Autor, wurde 2021 Intendant der Berliner Volksbühne. Im Februar 2024 starb er mit 61 Jahren. | Bild: Britta Pedersen/dpa

Erzählt wird von einem Kultur-Clash zwischen Aliens und einem irdischen Wissenschaftler und im Rahmen dieser Setzung von den Schwierigkeiten, als paarungswillige Wesen überhaupt „zur Sache zu kommen“. Immer wieder verkeilt sich etwas im Vorfeld der Balzrituale. Und wenn es mal geklappt zu haben scheint, macht sich eine der beiden Parteien wieder vom Acker und schwirrt ab zum nächsten Planeten.

Das Thema Sexualität ist natürlich kniffliger, wenn wie hier auch außerirdisches Personal mitmischt. Im Stück landet Alien Nina als Sondergesandte im Auftrag eines gewissen Großkopfträgers zusammen mit der Assistentin Frau Knoop, die eigentlich ein intergalaktischer Informationsoffizier ist, auf der Erde. In ihrer Mission auf dem „drittklassigen Planeten“ wenden sich die beiden in menschlicher Frauengestalt an einen gewissen Dr. Steve Albright.

Gelungenes Bühnenbild: Die Rakete ist ein Turm aus Holz mit Fenstern und Wendeltreppe.
Gelungenes Bühnenbild: Die Rakete ist ein Turm aus Holz mit Fenstern und Wendeltreppe. | Bild: Luna Zscharnt

Der Physiker hat unbekömmliche radarastronomische Strahlen in die Galaxie gebeamt. Für eine Reparatur ist es notwendig, die Zusammensetzung des Radarstrahls zu erfahren und die Übertragung zu duplizieren – was auch gelingt. Ninas Hauptinteresse verschiebt sich indes schnell auf das Paarungsverhalten des Menschen. Dieser hat ja keine besondere Brunftzeit, sondern macht „es“ im Rahmen seiner Möglichkeiten „dauernd“. Nur: Weiß hier jemand, was Sex überhaupt ist? Und wie ließe sich dieser Dr. Albright nur ins Bett kriegen?

Mit einer wunderbar spielfreudig-ruppigen Komik zeigt Sophie Rois, wie Nina sich an dem für Aliens fremden Thema abarbeitet, und Kotbong Yang spielt geschmeidig Frau Knoop, die darauf bedacht ist, das Ziel der Mission nicht zu verfehlen. Wobei: Wenn der Theaterabend beginnt, könnte der Beischlaf zwischen dem Alien und dem von Trystan Pütter pointensicher gespielten Wissenschaftler schon vollzogen worden sein.

Von der postkoital anmutenden Small-Talk-Szene samt Zigarette auf der Brüstung eines Turms, der laut Pollesch „phallisch konnotiert“ ist, geht es schnell in eine Rückblende. Diese zeigt, was kurz davor geschehen ist, und mündet, gekrönt von einem Macho-Klischees lustvoll durch den Fleischwolf drehenden Video (Roman Kuskowski), wieder in die Handlungsgegenwart. Nina lässt ihren Lover die Affäre vergessen, bevor sie als Wesen mit Hörnern und Muskeln entschwindet.

Es gelingt Pollesch, Unterhaltung mit Tiefsinn zu mischen, den Intellekt mit ironisch unterfütterten Gedankengängen und Theorieschnipseln anzusprechen, auf Science-Fiction-Filme anzuspielen und uns für den geistigen Aufwand mit Schabernack und Edel-Trash zu trösten. Das Trio spielt superb und ist spürbar mit Spaß bei der Sache. Es herrscht viel Bewegung – sodass dann plötzlich eine Zeitlupe-Sequenz umso mehr Wirkung entfaltet.

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Schräg-schön der Einfall, Frau Knoop in der Larve einer Putzfrau und Dr. Albright plattdeutsch dialogisieren zu lassen. Für eine Lockerung der geistigen Muskeln sorgt in Abständen zudem heiter gestimmte Popmusik im Stil der 60er- bis 80er-Jahre. Gelungen ist auch das Bühnenbild von Barbara Steiner mit einer Rakete in Gestalt eines Turms aus Holz samt Fenstern und einer Wendeltreppe im Innern. Und einfallsreich geraten sind die bunten Kostüme von Tabea Braun – vom paillettenbesetzten Kleid für Nina bis zum ultimativen Spießer-Outfit für Steve. Der stehende Applaus galt an diesem Abend gewiss auch dessen Schöpfer René Pollesch.

Weitere Vorstellungen am 23. September, 1., 4., 5., 13. Oktober, 1. und 2. November. Informationen und Tickets gibt es hier.