Über neue Schlafanzüge, Schlüpfer und Unterhemden redet man beim Wäschehersteller Schiesser gerne. Mit „einzigartigen Storytelling-Elementen und visuellen Inhalten“ würden die Produkte vermarktet, heißt es vom Unternehmen. Auch per „Influencer“ und „Social Media“.
Hin und wieder lassen sich die Radolfzeller werbetechnisch sogar etwas Besonderes einfallen. Vor zwei Jahren engagierten sie in „reinweiße ikonische Rippe“ gehüllte Tänzer des Biarritzer Balletts, um die „Naturverbundenheit und Individualität“ der Wäsche vom Bodensee einem gehobenen Publikum zu präsentieren.
Schiesser – verschlossen und „unnahbar“
Wenn es nicht um Produktwerbung geht, gibt sich das zum israelischen Konsumgüterkonzern Delta Galil gehörende Unternehmen dagegen weniger freizügig. Presseanfragen zur Lage des Unternehmens beantwortet man knapp oder gar nicht. Zahlen zu Umsatz, Gewinn oder Mitarbeiterentwicklung veröffentlicht die 1875 gegründete Firma seit Jahren nicht mehr.
Selbst vor Ort, am Radolfzeller Stammsitz, ist man mittlerweile ratlos. „Von den großen in Radolfzell ansässigen Unternehmen ist Schiesser sicher eines der unnahbarsten“, sagt etwa Emanuel Flierl, Wirtschaftsförderer in Radolfzell. Selbst im Jahr des 150-jährigen Bestehens der Wäschefirma sei der Austausch leider überschaubar.

Mehrere Wechsel im Management
Und das, obwohl sich bei Schiesser gerade einiges tut. Mitte Januar kündigte Firmenchef Andreas Lindemann überraschend seinen Rücktritt von der Unternehmensspitze an. Ende Mai 2025 ist für den 62-jährigen Schweizer Schluss. Nach sechseinhalb Jahren in der Top-Position. Die Gründe lägen „im Persönlichen“.
Details gibt es keine. Immerhin teilte Lindemann mit, dass es ihm trotz schwacher Konsumnachfrage, Lieferkettenproblemen, Kostensteigerungen und vielen Insolvenzen im Einzelhandel gelungen sei, „Schiesser organisatorisch neu auszurichten, Wachstum zu generieren und die Profitabilität markant zu erhöhen“.
Der Chef der Schiesser-Mutter Delta Galil, Isaac Dabah, dankte dem Schweizer per Mitteilung für „sein Engagement“ und wünschte ihm „für seine zukünftigen Unternehmungen alles Gute“. Nachfragen der Presse waren damals unerwünscht. Auch Interviewanfragen wurden abgelehnt. Alles Übrige werde „nicht weiter vertieft“, sagte ein Schiesser-Sprecher auf SÜDKURIER-Nachfrage.
Betriebsratschef: Schiesser geht es „verdammt gut“
Die Sprachlosigkeit des Unternehmens gibt Rätsel auf. Denn nach allem, was zu erfahren ist, steht Schiesser gut da. Man schreibe seit Jahren schwarze Zahlen, sagt etwa Schiesser-Betriebsratschef Luigi Radice. Im Vergleich zu so manchem Konkurrenten gehe es dem Unternehmen „verdammt gut“. Konkret will er nicht werden.

Die letzten öffentlich zugänglichen Daten zu Schiesser weisen für das Geschäftsjahr 2022 einen Umsatz von gut 202 Millionen Euro und ein Nachsteuerergebnis von fast 40 Millionen Euro aus. Beides sind deutliche Steigerungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der allergrößte Teil der üppig sprudelnden Erträge indes fließt aufgrund eines Gewinnabführungsvertrags direkt zur Schiesser-Mutter Delta Galil nach Israel. Lindemann liefert also ab.
Die Beschäftigung beim Traditionsunternehmen sinkt indes. Von rund tausend Stellen bei Schiesser zum Amtsantritt des Schweizers Mitte 2018 waren Ende 2022 deutschlandweit noch 800 Arbeitsplätze übrig. Kreisen zufolge sollen es aktuell am Radolfzeller Stammsitz noch „rund 350 Jobs“ sein. Dazu arbeiten einige Hundert Beschäftigte über Deutschland verteilt in den Schiesser-Outlets.

Zu größeren Entlassungen kam es zuletzt Ende 2021. Damals wurden Schiesser-Pläne öffentlich, sich von rund einem Zehntel der Belegschaft zu trennen. Die Art und Weise, wie der Arbeitsplatzabbau durchgezogen wurde, ließ damals sogar die Landespolitik aufhorchen.
Der Ex-FDP-Landtagsabgeordnete Jürgen Keck (FDP) sagte 2021, er sei fassungslos, wie das Unternehmen versuche, altgediente Mitarbeiter „mit Tricksereien heraus zu bugsieren“. Offene und ehrliche Personalpolitik sehe anders aus.
Mit der IG Metall, an deren Tarifverträge sich die Arbeitsbedingungen bei Schiesser anlehnen, steht man auf Kriegsfuß. Die Gewerkschaft beklagt Eingriffe ins Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und einen „ruppigen Umgang mit den Beschäftigtenvertretern“.
In der Vergangenheit habe man sich mit Schiesser zudem über die Übernahme von tariflichen Lohnerhöhungen gestritten, sagt Frederic Striegler, Geschäftsführer bei der IG Metall Bodensee-Oberschwaben.

Klar ist, dass es bei dem Wäschehersteller in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von hochrangigen Personalwechseln gegeben hat, insbesondere auf der Ebene der sogenannten Vice-Presidents, die direkt an den Noch-Schiesser-Chef Lindemann berichten.
Mitunter stehen die Zeichen sogar auf Neuanfang. So wurden etwa die Stellen der Verantwortlichen für Produktion, IT und Marketing im Verlauf des Jahres 2024 neu besetzt, teils weil sich die Alt-Manager in den Ruhestand verabschiedet hatten.
Nach SÜDKURIER-Informationen verließ vergangenen Herbst zudem die umstrittene Schiesser-Personalchefin das Unternehmen. Das Unternehmen äußert sich auch zu dieser Personalie nicht. Auch Betriebsratschef Radice ist nach dem Rückzug seines Vorgängers erst seit Anfang des Jahres im Amt.
Und der Schiesser-Chef selbst? Fachleute rätseln über die Gründe seines Abgangs. Rüdiger Wilhelmi, Wirtschaftsrechtler an der Universität Konstanz, sagt, das Unternehmensstatement zum Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden lasse eine „Vielzahl an Fragen offen“.
Er hält es für nicht ausgeschlossen, dass die Initiative zur Vertragsbeendigung von der Muttergesellschaft ausging und mit der Amtsniederlegung Lindemanns nur „ein gesichtswahrender Weg gewählt“ wurde. Auch der Dank des Chefs der Schiesser-Mutter Delta Galil an den Schweizer wirke „von außen doch sehr unterkühlt“, sagt der Jurist.
Warum gibt es noch keinen Nachfolger an der Spitze des Unternehmens?
Für eine nicht planmäßige Amtsniederlegung spricht zudem, dass das Unternehmen noch keinen Nachfolger präsentieren kann – ein Umstand, den Firmen normalerweise zu vermeiden suchen, um die Kontinuität im Übergang zu betonen und Gerüchten vorzubeugen. Bei Schiesser heißt es derzeit lediglich, die Suche nach einem Lindemann-Nachfolger sei kurz vor Ausscheiden des Chefs „eingeleitet“.
Auf den Fluren der alten Radolfzeller Schiesser-Zentrale ist indes von einem Zerwürfnis nichts zu spüren. Zuletzt habe „Andi“, wie viele Beschäftigte im dritten Stock des Firmensitzes Lindemann nennen, einen „eher gelösten Eindruck gemacht“, sagt eine Quelle aus dem Unternehmen.
Der 62-Jährige freue sich darauf, künftig mehr Zeit für die Familie zu haben, heißt es. Für Schiesser wolle er auch nach seinem Ausscheiden tätig bleiben – als selbstständiger Berater.