Am 8. November 1939 um 21.20 Uhr explodiert im Saal des Münchener Lokals „Bürgerbräukeller“ eine Zeitzünderbombe. Sechs „alte Kämpfer“ der NSDAP und eine dort arbeitende Kellnerin kommen ums Leben. Reichskanzler Adolf Hitler, dem der Anschlag gilt, hat die Gedenk-Veranstaltung seiner Partei entgegen sonstiger Übung wegen schlechten Heimreisewetters zehn Minuten früher verlassen.

Adolf Hitler hielt jedes Jahr am 8. November im Bürgerbräukeller in München eine Propagandarede. Von dort war er mit seinen ...
Adolf Hitler hielt jedes Jahr am 8. November im Bürgerbräukeller in München eine Propagandarede. Von dort war er mit seinen Unterstützern am 8. November 1923 aufgebrochen, um einen Putsch in Bayern zu starten. Der Plan scheiterte an der Feldherrnhalle im Kugelhagel der Polizei. | Bild: dpa

Knapp zwei Stunden vor der Explosion greifen in Konstanz zwei Grenzbeamte einen 36-jährigen Mann auf, der sich in der Dunkelheit auf den schulterhohen Grenzzaun zur Schweiz zubewegt. Als die Uniformierten nach ihm rufen, zögert er einen Moment zu lange: Statt beherzt über den Zaun zu springen, wartet er, bis die Beamten ihn festnehmen.

Hülsen in der Jackentasche

In seinen Jackentaschen finden sie später verdächtige Hülsen und eine Postkarte des Münchener Bürgerbräukellers. Doch erst am Tag darauf dämmert dem Postenführer, dass der festgenommene Schreiner etwas mit dem inzwischen bekannt gewordenen Attentat auf Adolf Hitler zu tun haben könnte. Nach München gebracht, gesteht Johann Georg Elser unter der Gestapo-Folter am 13. November die Tat. „Ich habe den Krieg verhindern wollen“, gibt er als Motiv an.

Georg Elser stammte aus Königsbronn bei Heidenheim. Er war mit seinem Plan, Hitler zu töten, völlig allein. Das glaubte ihm die Gestapo ...
Georg Elser stammte aus Königsbronn bei Heidenheim. Er war mit seinem Plan, Hitler zu töten, völlig allein. Das glaubte ihm die Gestapo bei seiner Festnahme nicht. Im April 1945 wurde Elser im KZ Dachau ermordet. | Bild: dpa

Als der schwäbische Schreiner versucht, den Regierungschef und „Führer“ der nationalsozialistischen Diktatur zu beseitigen, dauert der Zweite Weltkrieg gerade etwas mehr als zwei Monate. Das alte Europa ist noch nicht im Bombenkrieg untergegangen, noch sind nicht Millionen gefallene Soldaten und Bombenopfer zu beklagen. Noch ist der Völkermord an Millionen europäischer Jüdinnen und Juden und an Hundertausenden Roma, Sinti und behinderten Menschen nicht angelaufen.

Ein einsamer Entschluss

Der katholisch geprägte, mit sozialistischen Ideen sympathisierende Elser glaubt früh, dass Hitler den Krieg wolle. Schon im Sommer 1938 beschließt er, selbst etwas zu unternehmen: Er ist zu der für ihn einzig schlüssigen Überzeugung gelangt, dass die Führung beseitigt werden müsse, um Millionen Menschen vor Leid zu bewahren.

Das jährliche Ritual im Bürgerbräukeller, wo Hitler den „Marsch auf die Feldherrenhalle“ von 1923 als Gründungsmythos seines politischen Aufstiegs feiert, scheint ihm eine günstige Gelegenheit, Hitler und einige der Spitzen des Regimes zu töten. Elser fährt nach München und höhlt in heimlicher wochenlanger Kleinarbeit nachts eine der Saalsäulen des Bürgerbräukellers aus. Dort installiert er eine Zeitzünderbombe, die er selbst konstruiert, gebaut und erprobt hat.

Er war der Erste mit einem Attentatsplan

Elsers Verhalten ist einzigartig: Millionen Deutsche folgen dem Diktator und stellen weder die unübersehbaren Verbrechen an politischen Gegnern und Minderheiten infrage, noch den aggressiven außenpolitischen Kurs, der im September 1939 in den Angriffskrieg gegen Polen mündet. Auch jene Eliten, deren Widerstand sich im Attentat vom 20. Juli 1944 manifestiert, sind 1939 noch weit von einer entscheidenden Widerstandstat entfernt. Ein eigenbrötlerischer, politisch schlicht denkender Schreiner aber wagt Planung, riskante Vorbereitung und Ausführung eines Anschlags, der das Land vom Diktator befreien soll.

Ende einer Flucht: Der Gedenkstein für Georg Elser an der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen.
Ende einer Flucht: Der Gedenkstein für Georg Elser an der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen. | Bild: Rosgartenmuseum

Am frühen Morgen des 8. November, nach einer letzten Kontrolle der Bombe, löst Elser eine Fahrkarte nach Friedrichshafen. Mit dem Schiff kommt er an diesem nebligen Novemberabend in Konstanz an. Dort will er, der von 1925 an sieben Jahre lang in Konstanz gelebt hatte, über den Grenzzaun springen.

Die Schweiz hätte ihn vermutlich ausgeliefert

Er hat vor, sich den Schweizer Behörden als Attentäter zu stellen und um Schutz zu bitten. Dass die neutrale Schweiz einen geständigen Attentäter, der das deutsche Staatsoberhaupt ermorden wollte, aufgenommen hätte, ist unwahrscheinlich. Angesichts der Schweizer Anpassungspolitik gegenüber dem Deutschen Reich wäre Elser mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeliefert worden.

Die jüngere Forschung zum Deutschen Widerstand räumt Johann Georg Elser, nachdem er jahrzehntelang verschwiegen worden war, den Rang als „eigentlicher Widerpart Hitlers“ ein. Nach seiner Festnahme war er als „Sonderhäftling des Führers“ inhaftiert und wurde am 9. April 1945 im KZ Dachau durch Genickschuss ermordet.

Debatte um das Attentat

„Heute gilt Georg Elser als einer der konsequentesten Gegner der NS-Diktatur“, urteilt der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Wiederstand, Johannes Tuchel. Der konservative Historiker Lothar Fritze wirft Elser dagegen vor, sein Bombenattentat sei von „exorbitanter Brutalität“ gewesen, denn Elser habe ein Massaker im „Bürgerbräukeller“ bedenkenlos in Kauf genommen. Auch habe er sich davon gemacht und konnte deshalb nicht mehr eingreifen, als Hitler überraschend den Saal verließ. Trotz der guten Absicht der Tat sei es falsch, Elser heute als Vorbild zu feiern.

Auch in Elsers Geburtsort Hermaringen erinnert ein neues Denkmal an den Attentäter. Es zeigt einen Rahmen aus Beton, vor dem eine ...
Auch in Elsers Geburtsort Hermaringen erinnert ein neues Denkmal an den Attentäter. Es zeigt einen Rahmen aus Beton, vor dem eine passgenaue Holzwand steht. Man kann es als Idee für den Einbau der Bombe deuten. | Bild: dpa

Rechtlich betrachtet, nahm Elser das in rechtsstaatlichen Systemen unbestrittene „äußerste Notrecht“ zum Tyrannenmord wahr. In der Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen dem zu schützenden höheren Rechtsgut – also dem Frieden, und dem Schaden für unbeteiligte Dritte – wird das Ziel, den Tod von Millionen von Menschen zu verhindern, von Elsers Verteidigern heute vorrangiger beurteilt, als der Tod der acht Opfer des Attentats.

Selbst das deutsche Grundgesetz kennt in Artikel 20 ein äußerstes Widerstandsrecht für den Fall, dass die demokratische Ordnung unrechtmäßig und gewaltsam beseitigt werden soll: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn Abhilfe nicht möglich ist.“

Als Elser 1939 zur Tat schritt, standen ihm jedoch andere, rechtsstaatliche Mittel zur „Abhilfe“ gegen Hitlers Terrorregime nicht mehr zur Verfügung: Verwaltung, Polizei und Justiz hatten ihre rechtsstaatlichen Grundlagen längst verraten und boten niemandem mehr Rechtsschutz gegen das Unrechtssystem.

Wenn also heute, zum 85. Jahrestag seines Attentats, an Elser erinnert wird, dann erhebt niemand das Bombenlegen gegen unliebsame Staatschefs zum Vorbild für kommende Generationen. Die Erinnerung gilt vielmehr einem der ganz wenigen Mutigen jener Zeit, der handelte, als Millionen seiner Landsleute zu Verfolgung, Staatsraub und politischem Mord schwiegen oder als Mittäter am Unrecht beteiligt waren.

Buchtipp: Helmut Ortner: Georg Elser. Der einsame Attentäter. Der Mann, der Hitler töten wollte, Nomen-Verlag, 2010, 246 Seiten, 18 Euro.