Herr Tophoven, wie aussichtsreich ist der Prozess gegen Sarah O.?
Ich kann einem Richterspruch nicht vorgreifen. Aber ich sehe es positiv, dass potenzielle Unterstützer des IS, aus welcher Ebene sie auch kommen, vor Gericht gestellt werden.
Inwiefern ist der Fall von Sarah O. anders?
Es gibt dutzende ehemalige IS-Kämpfer, Männer wie Frauen. Die Frauen, die den IS unterstützten, waren meist in Einrichtungen wie Kinderhorten oder ähnlichem engagiert, weniger als Kämpferinnen. Das scheint im Fall von Sarah O. anders zu sein, da sie Wach- und Polizeidienste übernommen und Jesidinnen als Sklaven gehalten haben soll.
Wie schwierig ist es, in solchen Fällen Beweise für die Straftaten zu finden?
Das ist sicherlich schwierig, aber ich unterstelle, dass die Bundesanwaltschaft ausreichende Beweise hat, wenn sie angeklagt hat. Dann kommt es möglicherweise auch zu einem Schuldspruch, aber das wird die Verhandlung zeigen. Die Anklage beweist, dass Taten, die in Syrien und Irak begangen wurden, in Deutschland zum Prozess führen können. Die Unterstützung des IS ist eine Sache, aber die Anklagepunkte zum Menschenhandel sind ja schon schwerste Kaliber.
Wie viel steht bei diesem Prozess auf dem Spiel?
Es ist einer der ersten Prozesse gegen eine IS-Kämpferin und schon deshalb von besonderem Interesse und Brisanz. Denn die Frage ist ja immer, wenn ehemalige Kämpfer vor Gericht gebracht werden, wie wasserdicht die Beweisführung ist.
Wird sie nach Jugendstrafrecht verurteilt werden? Welches Strafmaß kann Sarah O. erwarten?
Das kann ich nicht sagen, ich bin kein Jurist. Zum derzeitigen Zeitpunkt des Prozesses kann man nur spekulieren.
Wie viel bringt eine voraussichtlich kurze Haftstrafe in solchen Fällen?
Die Frage muss sich der Rechtsstaat stellen. Im Alter von 15 oder 16 weiß ich, was ich tue. Dann muss man auch die Konsequenzen tragen. Das Negieren solcher Entwicklungen, der Radikalisierung von Jugendlichen, kann sich der Rechtsstaat nicht leisten. Wie immer das Schicksal der Frau nach dem Prozess aussehen mag – eine begleitende Behandlung ist sicher erforderlich, damit sie nicht rückfällig wird.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Radikalisierung im Gefängnis noch stärker wird?
Das ist die Frage, wie die Haftzusammenlegung vonstattengeht. In einem Frauengefängnis ist die Gefahr, sich weiter zu radikalisieren sicherlich geringer als in reinen Männerhaftanstalten. Bei Männern ist das ein sehr großes Problem, dass sich inhaftierte Islamisten radikalisieren. Bei Frauen haben wir das so bislang nicht so erlebt, allein schon, weil der Großteil der deutschen IS-Kämpfer Männer sind.
Wäre es denkbar, dass Sarah O. freigesprochen wird?
Wie der Richterspruch aussehen wird, ist Sache des Gerichts.
Sarah O.‘s Kinder sind nicht zu ihren Eltern gebracht, sondern in eine Pflegefamilie gegeben worden. Deutet das darauf hin, dass die Eltern einen islamistischen Hintergrund haben könnten?
Das ist von Fall zu Fall zu prüfen, aber die Frage ist schwer zu beantworten. Kinder gehören wie auch immer zu den Eltern, aber das Jugendamt greift auch nicht ohne Grund ein. Grundsätzlich hat der Schutz des Kinders immer Vorrang.
Hat Sarah O. Aussicht darauf, ihre Kinder nach einer möglichen Haft zurückzubekommen?
Man muss eine positive Sozialprognose stellen können. Das dürfte im Fall von Sarah O. schwierig werden.
Wie groß ist das Stigma für Eltern solcher IS-Kämpfer?
Das ist sicherlich für jede Familie tragisch, zu erkennen, dass Töchter oder Söhne zum IS ausgereist sind und dort Schlimmes getan haben. Wir kennen ja auch Fälle, in denen Eltern versucht haben, ihre Kinder abzuhalten oder sogar in die Türkei gereist sind, um sie zurückzuholen. Das ist schon eine massive Last, wenn die Kinder über Nacht verschwinden und sich per SMS aus dem Kampfgebiet melden.
Droht die Radikalisierung von Sarah O.‘s Kindern?
Sicherheitsbehörden warnen häufig davor, dass Kinder tickende Zeitbomben sein könnten, weil sie schon radikalisiert worden sind. Aber das hängt vom Einzelfall ab. Von außen ist das schwer zu beantworten.
Zur Person
Rolf Tophoven (82) ist Leiter des Essener Instituts für Krisenprävention (Iftus). Der Journalist und Autor ist seit den 70er Jahren als Terrorexperte bekannt und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter "Fedayhin: Guerilla ohne Grenzen" (1974). In „Das Jahrzehnt des Terrorismus“ befasste er sich mit dem Terrorismus der 2000er Jahre. Von 1986 bis 1993 führte er stellvertretend das Institut für Terrorismusforschung in Bonn. Tophoven lebt in der Nähe von Krefeld. (mim)