Für die Familien und Paare, die durch die geschlossenen Grenzen zur Schweiz voneinander getrennt sind, ist es keine gute Nachricht: Gerade erst haben sich Bund und Länder auf eine Verlängerung der Kontaktsperre bis Anfang Mai geeinigt. Auch die Grenzen lässt der Bund vorerst geschlossen. Bislang gibt es keine Ausnahmegenehmigung für Paare und Familien, die dies- und jenseits der Grenze wohnen. Dabei wäre die Einreise aus „triftigen Gründen“ erlaubt. Doch wer definiert sie?
Harte Regeln
Tatsächlich fehlt es bislang an einer klaren Definition eines solchen triftigen Grundes, wonach eine Einreise erlaubt sein kann. Auf der Webseite der Bundespolizei heißt es, das selbst bei geteiltem Sorgerecht die Einreise nur dann gestattet ist, damit „die andere sorgeberechtigte Person berufstätig sein kann“. Dafür müssen allerdings „geeignete Nachweise“ vorgelegt werden. Welche das sind, beantwortet die Webseite nicht. Das sorgeberechtigte Kind besuchen ist „nicht gestattet“: „Eine Einreise ist in diesem Fall grundsätzlich nicht möglich.“
Wildunfall beseitigen Ja, Kind besuchen Nein
Dagegen darf der Pächter eines Jagdgebiets in die Bundesrepublik einreisen, wenn es dort einen Wildschaden gegeben hat. Die Betreuung eines hilfebedürftigen Menschen ist jedoch nicht ohne weiteres möglich: „Sofern der Familienangehörige in ärztlicher Betreuung ist, ist eine Einreise grundsätzlich nicht erforderlich.“ Nur, wenn die Betreuung ausschließlich durch ein Familienmitglied möglich und „zwingend erforderlich ist“, ist der Grenzübertritt erlaubt. Auch hier bleibt offen, wie der nötige Nachweis aussehen soll.
Die Webseite informiert auch nicht darüber, auf welche Gesetzgebung sich das Regelwerk beruft: Die einzelnen Artikel des Infektionsschutzgesetzes sind nicht genannt. Teils scheint unklar, woher diese Interpretation stammt. Aus dem Umfeld des Innenministeriums wird Kritik laut. Bestenfalls „hemdsärmlig“ sei das, wenn die Bundespolizei die Auslegung solcher sensiblen Gesetze auf ihrer Webseite in „FAQ“ (häufig gestellte Fragen) beantworte.
Baden-Württemberg kann nicht über Bundesgrenze entscheiden
Während die Bundespolizei die Regeln auslegt, hat die Landesregierung keine Handhabe, wie der Sprecher des Innenministeriums Andreas Mair am Tinkhof dem SÜDKURIER bestätigt. „Freilich sehen wir die besondere Situation und gehen deshalb diesbezüglich auf den Bund zu mit der Bitte, eine angemessene Lösung zu finden.“
Das Bundesinnenministerium reagiert auf konkrete Fragen dieser Zeitung mit vagen und allgemeinen Informationen zur Regelung der Einreise. „Ausschließliche Besuchsreisen zum Lebenspartner ohne ergänzende Gründe sind grundsätzlich nicht als triftig anzusehen“, heißt es unter anderem. Reisende ohne dringenden Grund dürften grundsätzlich nicht mehr ein- und ausreisen. Die Frage, welche Lösungsansätze es für unverheiratete Partner gibt, bleibt gänzlich unbeantwortet.
Strobl fordert Seehofer zum Handeln auf
Wie der SÜDKURIER erfährt, hat sich Innenminister Thomas Strobl an Bundesinnenminister Horst Seehofer gewandt, um eine Neuregelung für unverheiratete Paare und Familien zu erwirken. Aus einem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, geht hervor, dass Strobl bereits in eine Telefonkonferenz mit Seehofer am Mittwoch bereits bat, zu prüfen, unter welchen Umständen ein triftiger Grund für eine Einreise vorliege.
Ausnahmeregelung gefordert
Dabei hätte das Land mit der verabschiedeten Neuregelung für Quarantäne für Einreisende eine passende Vorlage. Demnach müssen Menschen, die aus einem anderen Land nach Baden-Württemberg einreisen, 14 Tage in Quarantäne leben. In der neuen Verordnung sind aber Ausnahmen vorgesehen: Dazu gehören nach Paragraf 3 des Landesgesetzes das geteilte Sorgerecht, der Besuch des Lebenspartners und die Pflege schutzbedürftiger Personen.
Strobl bittet den Bund, die Ausnahmeregelung, die „sachgerecht und lebensnah“ seien, zu berücksichtigen. In einem Schreiben an den Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt, das dem SÜDKURIER ebenfalls vorliegt, schreibt der Landesinnenminister: „Bislang scheint das Bestehen einer ehelichen oder partnerschaftlichen Verbindung seitens des Bundes nicht als „triftiger Grund“ angesehen zu werden.“
Abgeordnete der Region appellieren an Bundesminister
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (Wahlkreis Konstanz) hält eine Ausnahmeregelung für getrennte Paare und Familien für unabdinglich. „Es geht auch um menschliche Dimensionen“, sagt er dem SÜDKURIER.
Gemeinsam mit den CDU-Bundestagsabgeordneten Felix Schreiner (Wahlkreis Waldshut-Tiengen) und Armin Schuster (Wahlkreis Lörrach-Müllheim) hat er sich in einem Schreiben seinerseits an Bundesinnenminister Seehofer gewandt. Es liegt dem SÜDKURIER vor.
Darin fordern die Volksvertreter eine klare Definition der Ausnahmeregeln, die unter „triftige Gründe“ für die Einreise fallen: „Das ist eine politische Entscheidung, die nicht wie bislang alleine in das Ermessen des jeweiligen Beamten oder der jeweiligen Behörde gestellt werden kann.“
„FAQs der Bundespolizei können eine verbindliche Klärung durch die Bundesregierung jedenfalls nicht ersetzen“, machen die drei Abgeordneten deutlich. Alle drei sind überzeugt, dass das Besuchsrecht des eigenen Kindes, der Beistand eines hilfsbedürftigen Familienmitglieds und der Besuch des Lebensgefährten gestattet sein müssten.
„Wenn ich nachts von der Reichenau nach Ermatingen hinüber schaue, dann sind die Lichter nah wie immer. Aber plötzlich trennt uns wieder eine richtige Grenze.“Andreas Jung, CDU-Fraktionsvize
Jung sagt dem SÜDKURIER, dass sich zunächst Bund und Länder auf eine gemeinsame Definition einigen müssten. In einem zweiten Schritt könnten dann Gespräche mit Nachbarstaaten folgen, um Ausnahmen für deutsch-schweizerische Paare und Familien zu schaffen. Der Bundestagsabgeordnete geht nicht davon aus, dass die Grenzen bald wieder aufgehen: „Man wird sich darauf einstellen müssen, dass es noch eine Weile dauern wird.“ Umso wichtiger sei es, so der CDU-Abgeordnete, die Ausnahmeregelung „besser in Tagen als in Wochen“ zu klären.
Annäherung durch EU-Einigung wahrscheinlicher
Der Europaabgeordnete Andreas Schwab hofft darauf, dass eine EU-Exitstrategie entwickelt wird, an der sich auch das Nicht-EU-Mitglied Schweiz orientiert. „Aber die EU kann keine Grenzöffnung verfügen“, stellt er klar. Die Länder müssen selbst entscheiden. Doch Schwab deutet an, die Schweiz werde sich den deutschen Maßnahmen anschließen oder ähnliche Maßnahmen treffen.
Schon jetzt liegen die Infektionsschutzmaßnahmen nicht weit auseinander. Schulen, Geschäfte, Restaurants und Sportanlagen sind geschlossen, die Menschen sind gehalten, zu Hause zu bleiben, außer sie müssen arbeiten gehen und können nicht im Homeoffice arbeiten, Einkäufe erledigen oder zur Apotheke. Einziger Unterschied: In der Schweiz dürfen sich bis zu fünf Menschen im öffentlichen Raum gemeinsam aufhalten. Überprüft wird das in der Schweiz anhand anonymisierter Smartphonedaten.
Gespräche mit der Schweiz zum Wochenbeginn
Der SÜDKURIER erfährt aus sicherer Quelle, dass am kommenden Montag eine Telefonkonferenz stattfinden wird zwischen der Staatskanzler Baden-Württembergs und der Grenzwacht der Schweiz. Der Austausch zwischen dem Land und der Schweiz soll zu schnellen Lösungen führen.