In der Ostschweiz verdienen Grenzgänger mehr als einheimische Arbeitnehmer. Das zeigt eine aktuelle Studie. Sie ist Teil des regelmäßigen Berichts zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit des Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft. In diesem Jahr widmet er sich in einem Schwerpunkt der Situation von Grenzgängern.
Demnach lag im Jahr der Datenerfassung 2018 in der Region zwischen Schaffhausen, Rheintal und Untersee das Grenzgänger-Durchschnittseinkommen bei monatlich etwa 7500 Franken (6850 Euro). Arbeitskräfte mit Schweizer Wohnsitz verdienten 6,7 Prozent weniger. In der Nordschweiz, rund um Basel und im Aargau, liegt das Bruttoeinkommen von Grenzgängern mit durchschnittlich rund 8000 Franken (7300 Euro) ebenfalls, wenn auch nur leicht, über dem der einheimischen Bevölkerung.
Sonderfall Deutsch-Schweiz: Anderswo verdienen Grenzgänger weniger
Der Mehrverdienst Deutschschweizer Grenzgänger ist teils dadurch erklärbar, dass sie gegenüber Einheimischen in wichtigen Lohnfaktoren wie Ausbildung, Berufsbranche oder -erfahrung im Vorteil sind. Aber auch wenn man diese Faktoren herausrechnet, verdienen sie ungefähr auf demselben Niveau wie die Eidgenossen.
Damit bilden Grenzgänger in die Ost- und Nordschweiz eine Ausnahme. Sowohl in der französisch- und besonders in der italienischsprechenden Schweiz verdienen Berufspendler aus dem Ausland teils drastisch weniger. Zwölf Prozent sind es im Jurabogen, mehr als 17 in der Region um Genf und sogar 30 in der Südschweiz.
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Neue Grenzgänger verdienen erst einmal schlechter als Schweizer
Was außerdem auffällt: Wer sich frisch für das Leben als Grenzgänger entscheidet, verdient tendenziell erst einmal weniger als Schweizer Kollegen. Das haben die Wirtschaftsforscher Sandro Favre und Josef Zweimüller von der Universität Zürich und Reto Föllmi von der Uni St. Gallen jetzt darlegen können. Warum ist das so und warum – auch das ein Ergebnis ihrer Forschungen – holen Grenzgänger diesen Rückstand auf einheimische Arbeitnehmer nach einigen Jahren auf und überholen diese sogar?
Eines will Reto Föllmi ausschließen, erklärt er im Gespräch: „Es gibt keine Belege dafür, dass Schweizer Firmen bei Grenzgängern anfangs Lohndumping betreiben würden.“

Das heißt: Berufspendler in die Schweiz würden nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. „Das würde sich auch sehr schnell negativ aufs Betriebsklima auswirken“, schätzt Föllmi. Klar, wer verdient schon gerne weniger als der Schweizer Kollege – nur, weil man nicht im Land lebt?
Unterschiede bei Grenzgängern höher als bei Grenzgängerinnen
Doch die anfänglichen Unterschiede lassen sich nicht beiseiteschieben: In den Kantonen der Deutschschweiz liegt das Grenzgänger-Einkommen im ersten Jahr 14 Prozent unter dem von Schweizern, das Grenzgängerinnen-Einkommen bei zwölf Prozent unter dem von Schweizerinnen. Sie lassen sich auch nicht damit erklären, dass der Verdienst beim Firmeneintritt generell niedriger ist als nach einigen Jahren Betriebszugehörigkeit – nicht nur für Grenzgänger.
Ursachen: Fehlendes Netzwerk, fehlende Marktwert-Kenntnisse
Wirtschaftsforscher Reto Föllmi macht mehrere weitere Gründe aus. Erstens würden Grenzgänger den Schweizer Markt, und damit auch ihren Marktwert, anfangs noch nicht so gut kennen und ihnen fehlte zweitens das für viele Berufe wichtige Netzwerk.
Nicht zuletzt hält Föllmi es für „gut möglich“, dass ein im internen Schweiz-Vergleich niedrigerer Verdienst für deutsche Verhältnisse noch immer hoch ist. Anders gesagt: In manchen Branchen, etwa Gesundheit und Pflege oder Einzelhandel, lassen sich die deutschen Lebenshaltungskosten mit einem Franken-Lohn weit besser stemmen als mit einem hiesigen Euro-Lohn.
Geduld zahlt sich aus: Grenzgänger-Gehälter ziehen schnell nach
Grenzgänger sollten das anfängliche Minus im Vergleich zu Schweizer Kollegen in Kauf nehmen. „Nach fünf Jahren liegen die Einkommen auf fast auf demselben Niveau wie jenem der Einheimischen“, sagt Wirtschaftsexperte Reto Föllmi. Er spricht von „einer steilen Lernkurve bei Grenzgängern“, was ihr Wissen über den Schweizer Arbeitsmarkt und das Lohngefüge angeht.
Grenzgänger in der deutschsprachigen Schweiz verdienten nach dieser Zeit nur noch drei Prozent weniger als Kollegen aus der Schweiz. Grenzgängerinnen haben ihre Schweizer Kolleginnen dann sogar überholt und verdienen sieben Prozent mehr als sie. Ein simpler Grund laut der Studie von Föllmi und den beiden Mitautoren: Sie arbeiten wesentlich länger als Schweizerinnen, im Wochenschnitt knapp sieben Stunden. Bei den Männern arbeiten Grenzgänger (40 Stunden) kaum mehr als gebürtige Schweizer (38,6 Stunden).
Ein Sonderlob als besonders fleißige Bienchen haben sich deutsche Grenzgänger deshalb aber wohl nicht verdient. Zumindest ist es nicht wissenschaftlich belegbar, erklärt Reto Föllmi. Vielmehr dürfte die Mehrarbeit einer einfachen Logik von Familien folgen: Wer mehr verdient, arbeitet mehr im Beruf. Wer weniger verdient, kümmert sich mehr um Kinder und Haushalt.