Es regnet in Blumenfeld. In dem kleinen Dorf im Hegau, das nur einige hundert Einwohner zählt, ist niemand draußen unterwegs. Auf ein Klingeln an einer Tür, hinter der ein Hund bellt, macht niemand die Tür auf. Unweit von dem Haus steht das ehemalige Pflegeheim, das ein Schweizer Investor aufgekauft hat und als Unterkunft für Dienstleister wie Monteure und Bauarbeiter vermietet. Seit dem Wochenende gilt es als Corona-Hotspot.
Eine Balkontür geht auf, ein junger blonder Mann tritt heraus, um eine Zigarette zu rauchen. Er ist freundlich, spricht und versteht aber kaum Deutsch. Der Rumäne gibt zu verstehen, dass er als Bauarbeiter in Radolfzell tätig ist, zur Zeit aber nicht arbeiten darf. Aber er sei nicht krank, schüttelt heftig den Kopf.

Infizierte in Blumenfeld
Am Freitag war erstmals bekannt geworden, dass mehrere Mitarbeiter auf der Großbaustelle des künftigen Einkaufszentrums Cano in Singen mit Corona infiziert sind. Am Montag dann wurde die Zahl 87 bekannt. Dass die Zahl noch steigen wird, bestätigt sich am Dienstag. Nun sind es schon 109 bestätigte Fälle im Zusammenhang mit der Großbaustelle.
Die Bauarbeiter kommen teils aus Osteuropa, leben häufig wie hier in dem ehemaligen Pflegeheim in Blumenfeld auf engem Raum zusammen. In der Unterkunft in Blumenfeld leben 24 Mitarbeiter des Unternehmers Peter Gross, erfährt der SÜDKURIER vom Besitzer des Gebäudes.
Der Schweizer Investor möchte nicht namentlich genannt werden, aus Angst, sein Name könne künftig mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht werden und geschäftsschädigend wirken.
Vor dem Haus steht ein grauer Kombi mit rumänischem Kennzeichen. Die Briefkästen am Eingang sind weitgehend unbeschriftet. Post erwartet hier wohl niemand. Am Eingang hängen Schilder, die in verschiedenen Sprachen aufs Abstandhalten hinweisen. Eines ist schon halb abgerissen, hängt zerfleddert hinter der Scheibe der Eingangstür.
Isolation im Zweibettzimmer
Nebenan von dem jungen Bauarbeiter wohnt Valian Remus. Er kommt auf den Balkon. Der 50-Jährige, ebenfalls aus Rumänien, teilt sich das Zimmer mit einem Kollegen, wie viele hier. Er versteht ein bisschen Deutsch, sagt er, aber er spreche es kaum, dafür aber Italienisch.
Auf Italienisch erzählt er dann auch, was im Haus gerade los ist. Über ihnen seien ein paar Bewohner in ihren Zimmern isoliert. „Wir dürfen nicht mehr raus“, sagt er. Eine Woche lang vorerst – bis die Isolierten oben im Haus erneut getestet seien, ergänzt er.

Sie bekommen Essenslieferungen, es wird an der Tür geklingelt, dann müssen sie kurz warten, um dann mit Maske vor die Tür zu gehen und ihre Lieferung zu holen, erzählt Remus. „Aber das ist alles kein Problem“, betont der Bauarbeiter. So sei das nun einmal in Zeiten einer Pandemie. Er nimmt es gelassen, scheint es. Angst, dass er krank werde, habe er nicht. Die Isolierten blieben auf ihren Zimmern.
Quarantäne seit Freitag
Kein Wunder – Bauunternehmer Peter Gross hat seine Mitarbeiter schon vorsorglich angewiesen, zu Hause zu bleiben, wie Tengens Bürgermeister Marian Schreier dem SÜDKURIER bestätigt. Sowohl der Bauunternehmer als auch der Vermieter der Unterkunft seien am Freitag informiert worden, erklärt Schreier.
Schreier hatte schon am Freitag eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach sich Personen selbstständig in Quaratäne begeben müssen, wenn sie in Tengen leben und auf der Baustelle des künftigen Einkaufszenrums Cano in Singen tätig sind oder als sogenannte Kontakt- oder Verdachtspersonen gelten.

Zuwiderhandlungen können mit bis zu 25.000 Euro geahndet werden, heißt es abschließend in der Verfügung. „Ein Quarantänebruch ist keine Bagatelle“, macht Schreier klar. Der Tengener Bürgermeister gibt an, die Maßnahmen würden von einer Sicherheitsfirma kontrolliert – „von außen“.
Am Dienstag dann stellt der Bürgermeister die Unterkunft unter Quarantäne, wie er dem SÜDKURIER vorab sagte. Am Nachmittag folgt die schriftliche Bestätigung: Das Haus sei nach dem „rechtlich notwendigen Hinweis des Gesundheitsamts“, der nun im Landratsamt Konstanz vorliege, komplett unter Quarantäne gestellt.
Über einen Notfallplan will Bürgermeister Schreier nicht reden: „Die Frage stellt sich gar nicht. Wir werden sicherstellen, dass es nicht so weit kommt“, betont Schreier. Grund zur Sorge für die Bürger gebe es aber nicht. Die Bewohner der Montageunterkunft hätten seiner Kenntnis nach keinen Kontakt zur Bevölkerung gehabt.
Genaue Zahl der Infizierten noch nicht bekannt
Wie viele in der Blumenfelder Unterkunft tatsächlich mit Corona infiziert sind, sagt der Bürgermeister nicht. Die genaue Zahl der Infizierten sei noch nicht bekannt. Das Gesundheitsamt arbeite daran. Unbestätigten Zahlen zufolge sollen es sieben sein, die in der Gemeinschaftsunterkunft leben.
Der Besitzer der Unterkunft ist „stinksauer“. „Ich komme mir vor wie entmündigt“, sagt er dem SÜDKURIER am Telefon. Er trage einerseits die Verantwortung für das Gebäude, andererseits habe er keine Ahnung, wie viele der Bewohner betroffen seien. Der Schweizer sagt aber, die Infizierten seien in ihren Zimmern isoliert. Die übrigen Bewohner dürften sich frei bewegen. Dann muss er auflegen, der Bürgermeister versuche ihn zu erreichen.
Haus unter Quarantäne gestellt
Der Investor meldet sich erneut, bestätigt, dass das Haus nun unter Quarantäne gestellt sei. Trotzdem ist er aufgebracht. „Es ist doch bedenklich, wie lange das gedauert hat“, schimpft er. Der Bürgermeister habe ihn am Freitag erstmals kontaktiert, er selbst versuche seither vergeblich, den Baustellenleiter Gross zu kontaktieren. „Es sind alle überfordert“, konstatiert er. „Eine riesige Schlamperei“ nannte er die Abläufe seitens des Gesundheitsamts.
Der Unternehmer berichtet, er habe versucht, Kontakt zum Gesundheitsamt aufzunehmen, schon vergangene Woche. „Ich wurde immer wieder auf die Nummer einer Dame verwiesen, die ist aber im Urlaub“, sagt er.
Das Singener Labor ist am Wochenende geschlossen, die Ergebnisse können bis zu vier Tage auf sich warten lassen, wie auch eine Mitarbeiterin des Landratsamts Konstanz bestätigt, bei der man Termine für einen Corona-Abstrich machen kann. Für den Schweizer ist das nicht nachvollziehbar.
Ortsvorsteher besorgt um Bürger
Ortsvorsteher Thomas Wezstein macht sich unterdessen Gedanken um die Einwohner des Dorfes. Er sagt: „Die Blumenfelder sind natürlich besorgt über die Lage.“ Nun sei die Nachverfolgung der Kontakte essenziell, das habe er auch dem Besitzer der Unterkunft vermittelt.
Wezstein fürchtet auch, dass sich Bewohner, die unter Quarantäne stehen, entgegen der Auflagen nach draußen begeben könnten. Dennoch glaubt er nicht, dass der Ortsteil Tengens einen Lockdown wie im Frühjahr in Riedböhringen erleben könnte. Damals durften die Einwohner ihre Häuser nicht mehr verlassen, nachdem die Infektionszahlen massiv gestiegen waren.

Ob es wieder so kommt? Schreier hält das für unwahrscheinlich. Diesmal gehe es um ein Gebäude, das sich gut isolieren ließe. Eine alte Dame zieht einen Einkaufstrolley hinter sich her, geht gebückt die schmale Gasse entlang. Hinter einem Fenster in einem Haus unweit des Pflegeheims spielt ein Kind hinter dem Fenster. Dina Roos-Kühling öffnet die Tür.
Die Blumenfelderin versteht den Aufruhr nicht. „Ich mache mir da keinen Kopf“, sagt die Schauspielerin. Man halte ja ohnehin Abstand von anderen Menschen auf der Straße. „Theoretisch kann es ja jeder haben“, sagt sie. Ob es nun jemand sei, der zwei Häuser weiter wohne oder nicht, mache für sie keinen Unterschied. „Wir haben unsere Kontakte ohnehin eingeschränkt“, fügt sie noch hinzu.
Die Balkone des ehemaligen Wohnheims sind inzwischen leer, ein Fenster wird geschlossen. Der Regen hat zugenommen. Wer noch nicht nach drinnen geflüchtet ist, tut es jetzt.