Man könnte fast ein bisschen nostalgisch werden. Zum 1. März ist die letzte Corona-Verordnung in Baden-Württemberg ausgelaufen.
Faktisch ändert das nicht viel, die weitreichendsten Regeln sind ohnehin Geschichte. Emotional markiert das Auslaufen der Corona-Verordnungswut aber das Ende einer dreijährigen Ära, in der R-Werte, Inzidenzen, Maskenvorschriften unser Denken und Handeln bestimmten.
Inzwischen ist die Normalität mit Macht zurückgekehrt, vieles hat man bereits verdrängt. Gelegentlich fällt einem noch ein, was da in scheinbar grauer Vorzeit gang und gäbe war. Damit nicht alles in Vergessenheit gerät, wollen wir die kuriosesten Begebenheiten noch einmal in Erinnerung rufen. Dabei halten wir hiermit fest, dass keineswegs alles lustig war, was im Rückblick komisch erscheint.
1. Bücher lesen verboten

Wissen Sie noch, wie es losging? Schon im März 2020 wurden die ersten Kontaktsperren erlassen, in manchen Bundesländern auch Ausgangssperren. In München trieben die Verbote die buntesten Blüten: Hier untersagte die Polizei den Menschen sogar das Lesen eines Buchs auf der Parkbank. Allein waren die Bayern mit ihren Sitzverboten allerdings nicht: Auch am Bodensee sperrten manche Gemeinden sämtliche Sitzgelegenheiten ab, um nicht etwa zum infektionsträchtigen Verweilen einzuladen.
2. Der Zaun der Liebe
Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, wurden am 16. März 2020 die Grenzen zur Schweiz und nach Österreich geschlossen. Die meisten Übergänge an der 316 Kilometer langen Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz waren fast drei Monate abgesperrt. Die Konstanzer Kleingärtner konnten nicht mehr in ihre Gärten im Tägermoos. Familien und Liebespaare wurden voneinander getrennt – einige besuchten sich fortan am Grenzzaun.
Erst Mitte Mai wurde der wieder abgebaut und die Regeln gelockert: Die Einreise war auch wieder möglich, wenn man den Lebenspartner treffen, Verwandte besuchen oder wichtige Familienanlässe wie Hochzeiten mitfeiern wollte. Eltern minderjähriger Kinder durften wieder ihr Kind besuchen. Auch unverheiratete Paare durften sich wieder treffen.
3. Die irre Impfterminsuche

„Buchen Sie jetzt mithilfe der Vermittlungscodes Ihren Corona-Impftermin.“ Der Satz konnte im Januar 2021 Glücksgefühle auslösen. Wer die Vermittlungscodes hatte, hatte schon die erste Hürde geschafft auf dem Weg zum Impftermin. Um über die eigens vom Land eingerichtete Webseite an einen Termin zu gelangen, waren die Bürger zu vielem bereit. Ein freier Termin in Roth am See? Da schlug man einfach zu, auch wenn das 200 Kilometer vom Heimatort entfernt lag.
Halbe Wochenenden brachten Menschen damit zu, die Seite immer wieder neu aufzurufen – und dann blitzschnell zu buchen. Die ganz Cleveren freilich ließen den Computer für sich arbeiten, so wie der 17-jährige Julian Ambrozy aus Ostfildern, der eigens eine Impftermin-Suchmaschine programmierte, um für seinen Opa endlich den heiß ersehnten Termin buchen zu können. Schlauer Bursche – kürzlich hat der junge Mann übrigens mit einer Hausaufgaben-App nachgelegt.
4. Die Karbatschen-Affäre

Wenn Behörden allzu streng durchgreifen, kann das nachhaltige Verletzungen nach sich ziehen. Für sein Einschnellen am Dreikönigstag 2021 wurde der damalige Hänselevater Harry Kirchmaier in Überlingen abgestraft. Der Grund: Er hatte ohne triftigen Grund das Haus verlassen. Kirchmaier legte in der Folge sein Amt nieder, bis heute sieht er keine Basis für eine Zusammenarbeit mit der Stadt, wie er dem SÜDKURIER sagte.
5. Das Tübinger Modell

Es währte nur gut einen Monat, aber bescherte der beschaulichen Universitätsstadt am Neckar aber bundesweite Aufmerksamkeit: Vom 16. März bis zum 24. April 2021 erlaubte Baden-Württembergs Landesregierung den Modellversuch, der das Öffnen von Geschäften, Lokalen und Kultureinrichtungen durch großflächiges Testen möglich machen sollte.
Der Weg aus dem Lockdown war heiß ersehnt, weshalb sich in der Folge Tausende Menschen gen Tübingen aufmachten, einfach, um mal wieder – bei Eiseskälte – im Außenbereich einer Gaststätte zu sitzen und Latte Macchiato zu schlürfen. Das durfte nur, wer sich vorher testen und einen Tagespass aushändigen ließ. Schon am 7. April wurde das von Notärztin Lisa Federle und OB Boris Palmer entworfene Modell eingeschränkt, weil – nur logisch angesichts der Testerei – die Inzidenzen stiegen. Der Modellversuch endete dann mit Inkrafttreten der Bundesnotbremse. Wissen Sie nicht mehr? Kein Problem...
6. Freunde zählen
Corona war ohne Zweifel ein Fest für Bürokraten. Die möchten alles möglichst detailliert regeln, aber natürlich gerecht. Die Bundesnotbremse sollte dem Bundesländer-Wildwuchs Einhalt gebieten und sah deshalb vor, dass inzidenzabhängig überall die gleichen Einschränkungen gelten. Überall aber galt die Beschränkung privater Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum auf höchstens die Angehörigen eines Haushalts zuzüglich einer weiteren Person je Tag und Haushalt mit einer Höchstzahl von insgesamt fünf Personen, Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres nicht mitgezählt.
Aber was ist, wenn Paare nicht im selben Haushalt leben? Kein Ding. Schlimmer traf es Singles, die sich praktisch nur noch mit einer anderen Person treffen durften, nie aber ein befreundetes Paar zu sich einladen konnten. Wie viele Freundschaften während der Pandemie wohl zur Partnerschaft deklariert wurden (falls jemand fragt)?
7. Die Hundefrage
Mit der Bundesnotbremse kamen nächtliche Ausgangssperren von 22 Uhr bis 5 Uhr bundesweit. Die Baden-Württemberger kannten das Ganze – in strengerer Form – ja schon seit Dezember 2020, wo man in sogenannten Hotspots (mehr als 200 Corona-Infektionen pro 100 000 Einwohner in der Woche) nachts nur noch aus triftigen Gründen das Haus verlassen durfte – etwa wenn man zur Arbeit musste oder wenn der Hund raus musste.
Genauer hieß es in der damaligen Corona-Verordnung: Das Verlassen der Wohnung nach 20 Uhr sei erlaubt, wenn „unaufschiebbare Handlungen zur Versorgung von Tieren sowie Maßnahmen der Tierseuchenprävention und zur Vermeidung von Wildschäden“ anstünden. Damit war laut Sozialministerium auch Gassigehen gemeint. Selten gingen Hundebesitzer nachts lieber mit dem Hund raus.
8. Die Wissenschaft vom richtigen Händewaschen
Stimmt, das wurde nie in der Corona-Verordnung geregelt, aber weil‘s so schön ist, soll es hier trotzdem nicht fehlen: Handinnenflächen, Handrücken, die Finger und auch dazwischen – wer eine Schmierinfektion vermeiden wollte, musste Hände waschen. Das machen wir zwar schon unser ganzes Leben lang, aber wie sich herausstellte, keineswegs richtig: 30 Sekunden lang soll nämlich eingeseift werden, um den Viren den Garaus zu machen. Das kann man entweder durchzählen oder still zwei „Happy Birthday“ absingen. Macht das eigentlich noch jemand?
10. Essen, Trinken und die Hygiene
Auch wo man sich an Regeln halten will, gelingt dies nicht immer. Januar 2022, die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte achtet bei ihrer Hauptversammlung in Aulendorf penibel auf alles: 2G-Plus, weniger zugelassene Narren, FFP2-Maskenpflicht. Einen Fehler machen die Narren trotzdem: Sie tragen ihre Masken zwar brav, wenn sie im Saal unterwegs sind, aber nicht unbedingt auf ihren Plätzen. Den SÜDKURIER-Lesern fällt das natürlich beim Blick auf den Bericht auf.
Im Restaurant wäre dieses Masken-Verhalten genau richtig gewesen – bei einer Versammlung galten strengere Regeln. Wie formulierte es der Kollege damals treffend? „Man muss kein Narr sein, um sich im Dickicht der Regeln zu verlaufen.“