Peter Herrmann muss „etwas schmunzeln“ als er die Erhebung sieht. Der Schluss liegt nahe: Der Center-Manager des Lago-Einkaufszentrums in Konstanz ist erleichtert. Die Zahlen scheinen den Beleg für den anziehenden Einkaufstourismus zu liefern: Um die 18 Millionen Euro gaben Schweizer Anfang Juli pro Woche hierzulande aus. Das ist etwa so viel wie vor der Corona-Pandemie.

Nur hat die Erhebung eine Einschränkung: Sie berücksichtigt nur Zahlungen mit Karte, nicht mit Bargeld. Die Forscher erhalten die Daten von den Bezahldienstleistern Six und Worldline. Durch Corona hat Bargeld beiderseits der Grenze an Bedeutung verloren. „Fair vergleichen mit der Zeit vor der Krise lässt sich diese Statistik daher nicht“, findet Lago-Geschäftsführer Peter Herrmann.

Peter Herrmann, Center-Manager Lago Shopping-Center Konstanz.
Peter Herrmann, Center-Manager Lago Shopping-Center Konstanz. | Bild: Scherrer, Aurelia

Gerade im Geschäft vor Ort bezahle man seiner Einschätzung nach eher noch bar als mit Karte. „Natürlich kommen aber – zum Glück – wieder deutlich mehr Schweizer Kunden zu uns, seit die Beschränkungen im Grenzverkehr zurückgegangen sind,“ sagt Herrmann.

Der Einkaufstourismus – ein ewiges Streitthema

Am Eindruck vieler Einheimischen in den Ballungszentren am westlichen Bodensee und im Hochrhein ändert das wenig. Das Thema bleibt ein Dauerbrenner: Die einen sind froh über das Geld, das die Nachbarn in die Region tragen und über daraus resultierende Vielfalt auch für Einheimische. Oder sie sehen die benachbarte Schweiz ganz nüchtern als Teil des Einzugsgebiets.

Aus den Einkaufsmekkas an Bodensee und Hochrhein hört man aber auch Frust: über Schweizer Kennzeichen auf überfüllten Parkplätzen, volle Supermärkte und eine Flut an Drogeriemärkten. Wenige tatsächliche und viele gefühlte „typische Schweizer“ Entgleisungen ließ die Stimmung wachsen: Ohne Einkaufstouristen lässt es sich doch ganz gut aushalten.

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„Einkaufen wird stressiger, aber Schweizer ergreifen nur Gelegenheit“

„Das Einkaufen wird wieder stressiger. Vorher war es richtig angenehm“, sagt zum Beispiel Ulrike Tröndle aus Waldshut-Tiengen. Sie habe selbst einige Jahre in der Schweiz gelebt und kenne die Preisunterschiede deshalb. „Wir sind aber nur zum Einkaufen nach Deutschland gegangen, wenn wir meine Eltern besucht haben“, beteuert die Frau. Verständnis hat sie trotzdem: „Es ist günstig für sie, sie ergreifen nur ihre Gelegenheit.“

Händlern aus der Grenzregion fehlen 20 bis 30 Prozent Schweizer

Dass die tatsächlichen Umsätze durchaus geringer sein können als durch die Erhebung aus St. Gallen erfasst, deutet Matthias Fengler vom Projekt Monitoring Consumption Switzerland an: „Man sieht eine deutliche Verschiebung zu weniger Bargeld bereits nach dem ersten Lockdown, die zwischen 20 und 30 Prozent beträgt.“

Matthias Fengler ist Professor für Ökonometrie an der Universität St. Gallen.
Matthias Fengler ist Professor für Ökonometrie an der Universität St. Gallen. | Bild: privat

Diese Prozentzahlen nennt in anderem Zusammenhang auch Daniel Hölzle, Vorsitzender der Konstanzer Händlervereinigung Treffpunkt. Das sei der Anteil Schweizer Kunden, die im Vergleich zu vorpandemischen Zeiten fehlten. „Zumindest für Konstanz und aus Singen wissen wir das“, sagt Hölzle.

„Wir merken es vor allem an weniger angeforderten Ausfuhrscheinen und es stehen auch in den Parkhäusern weniger Autos mit Schweizer Kennzeichen.“ Die Zahlen seien zwar besser als während der ersten Lockdown-Pause im Sommer 2020. „Aber wir sind noch lange nicht bei denen vor Corona“, sagt Daniel Hölzle.

Daniel Hölzle, Vorsitzender der Händlervereinigung Treffpunkt aus Konstanz.
Daniel Hölzle, Vorsitzender der Händlervereinigung Treffpunkt aus Konstanz. | Bild: Timm Lechler

Ähnliches ist vom Hochrhein zu hören. Von einem „Strohfeuer“ im Mai nach Aufhebung der Quarantänepflicht nach der Einreise sprechen beispielsweise Händler aus Bad Säckingen. Jetzt liege man auch dort 20 bis 30 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau.

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Hat sich unsere Wahrnehmung während Corona geändert?

Der Konstanzer Händler-Sprecher Daniel Hölzle bestreitet nicht, dass die Innenstadt wieder voll ist. „Da sind aber auch viele Touristen darunter, die nicht unbedingt zum Einkaufen und auch nicht aus der Schweiz kommen müssen.“

Und wer weiß, ergänzt er, vielleicht habe Corona auch etwas an der Wahrnehmung von Menschenmassen geändert? „Wir waren viele Monate Zurückhaltung gewöhnt, da kann es sich jetzt vielleicht schnell wieder nach früheren Zeiten anfühlen“, sagt Hölzle, von Berufswegen Apotheker. Die Konstanzer Händler hätten bewusst auf Kampagnen in der Schweiz nach der zweiten Öffnung verzichtet, ergänzt er. „Wir wollten erst gar keinen Run erzeugen.“

Zahlen veranschaulichen Folgen der geschlossenen Grenze

Ungeachtet zunehmender Kartenzahlungen, liefern die Auswertungen der St. Galler Forscher Rückschlüsse über fehlende Franken im deutschen Grenzgebiet. Gut sichtbar wird das an der Zeit der Grenzschließung von März bis Juni 2020, nach der die Auslandseinkäufe umgehend auf das Niveau von 2019 zurücksprangen.

[GRAFIK HIL]

Das hatte das Team um Matthias Fengler auch nach den zweiten Erschwernissen im Grenzverkehr zwischen Anfang und Mitte Mai 2021 erwartet. „Das war jedoch falsch“, räumt der Wissenschaftler ein. Erst im Juli wurde wieder ein früheres Niveau erreicht.

Unsicherheit über Regeln in Deutschland ließen Schweizer zögern

„Wir vermuten, dass dies mit der sukzessiven Öffnungsstrategie in Deutschland zu tun hat“, sagt Fengler, „verbunden mit einer weit verbreiteten Unsicherheit auf Schweizer Seite, was zu welchem Zeitpunkt auf deutscher Seite genau erlaubt war“. Bestärkt worden sei dies durch Berichte im Nachbarland über die Pflicht zum Impfnachweis oder negativem Testergebnis fürs Einkaufen.

Auch Tourismus von Grenzschließungen getroffen

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