Es war im Jahr 2017, als der Baden-Württembergische Innenminister die Entwaffnung von Reichsbürgern und Extremisten zur Chefsache machte. „Keine Waffen in den Händen von Extremisten“, lautet das Motto von Thomas Strobl im Umgang mit der Szene, die in großen Teilen die Existenz der Bundesrepublik, ihre Organe, Behörden und Gesetze ablehnt. Der Innenminister wies alle Waffenbehörden im Ländle an, Reichsbürgern keine Erlaubnis zum Waffenbesitz zu erteilen – und bereits erteilte Erlaubnisse zurückzunehmen.
Wie ist der Stand knapp sechs Jahre später?
Der aktuelle Stand: Noch nicht auf null
Laut aktuellstem Verfassungsschutzbericht leben derzeit in Baden-Württemberg 3800 Reichsbürger, von 23.000 in ganz Deutschland. Das Ländle ist Reichsbürger-Hochburg.
Jeder zehnte gilt als gewaltbereit. Insgesamt 512 legale Waffen konnten Reichsbürgern und Extremisten seit 2017 entzogen werden, sagt das Innenministerium. Etwa drei Dutzend sollen noch im Besitz legaler Waffen sein, weil, wie Thomas Strobl erklärte, die Verfahren Zeit bräuchten.
Die Waffenbehörde: Die Ausführenden
Diejenigen, die die Entwaffnung am Ende ausführen, sind die Waffenbehörden der Landkreise oder Städte. Wie diese personell ausgestattet sind, wie oft sie zu Kontrollen unterwegs sind – das unterscheidet sich in Südbaden stark.
Gerhard Paschotta von der Waffenbehörde des Landkreises Konstanz war bisher bei drei Entwaffnungen von Reichsbürgern im Landkreis dabei. Die Waffenbehörde fand 2017 drei potenzielle Reichsbürger unter den Waffenbesitzern. „Ich schaute bei der Ausländerbehörde, wer einen Staatsangehörigkeitsausweis mit reichsbürgertypischen Angaben beantragt hatte“, sagt Paschotta. Denn: Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik und damit die deutschen Ausweisdokumente ab. Ohnehin tauschen sich die Kreis-Behörden beim Thema Reichsbürger eng aus. Alle Hinweise melden sie an Verfassungsschutz und Polizei. Sobald so viel vorliegt, dass der Verfassungsschutz zur gerichtsverwertbaren Einschätzung gelangt: ‚Das ist ein Reichsbürger‘ – geht es an die Entwaffnung.
Allerdings: Von den drei Personen, die der Landkreis Konstanz 2017 entwaffnete, haben einer heute seine Gewehre oder Pistolen wieder. Paschotta: „Er ging in Widerruf und gewann.“
Das Waffengesetz: Schlupfloch für Reichsbürger?
Das Reichsbürger ihre Entwaffnung anfechten können, liegt an einer Formulierung im deutschen Gesetz. Es unterscheidet zwischen Menschen, die „absolut unzuverlässig“ sind, eine Waffe zu erwerben, also unter gar keinen Umständen eine waffenrechtliche Erlaubnis erhalten – etwa jemand, der in den vergangenen zehn Jahren für ein Verbrechen verurteilt wurde. Und Menschen, die „in der Regel“ als nicht zuverlässig gelten. Wie Reichsbürger. Sie haben es schwerer als der Otto-Normal-Bürger, legal ein Gewehr besitzen zu können. Aber es ist nicht unmöglich.
Thomas Strobl drängt darauf, den Passus zu ändern und Reichsbürgern ebenfalls die absolute Unzuverlässigkeit zu verpassen. Tatsächlich hatte die Berliner Ampel-Regierung auf Initiative von SPD und Grünen Änderungen im Waffenrecht geplant, derzeit stockt die Debatte aber. Grund: Die FDP sieht keine Notwendigkeit.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Benjamin Strasser, aus Berg bei Ravensburg sagt: „Wir haben eines der strengsten Waffenrechte der Welt, brauchen keine Verschärfung.“ Nicht legale, sondern illegale Waffen seien das Problem.
LKA und Verfassungsschutz: Die Hinweisgeber
Andreas Taube ist Leiter der LKA-Abteilung Staatsschutz in Baden-Württemberg. Der 48-jährige Stuttgarter ist seit 28 Jahren Polizeibeamter – und beschäftigt sich mit dem Phänomen Reichsbürger seit über 20 Jahren.

Das LKA und der Verfassungsschutz sind diejenigen, die den Waffenbehörden die wichtigen Puzzlestücke liefern, um Reichsbürger und Extremisten ihre legalen Waffen abnehmen zu können. Die, die Szene beobachten oder Personen durch auffälliges Verhalten auf ihren Radar bekommen.
Wie findet man Reichsbürger? „Im Zweifel gar nicht, aber Reichsbürger haben den Drang zu opponieren“, sagt Andreas Taube. Das geht los beim Schornsteinfeger, dem der Zutritt verwehrt wird – und endet beim Personalausweis, der nicht anerkannt wird. „Wir kennen relativ viele, alle, die nach außen offen auftreten.“
Er nennt einige Beispiele: „Wenn jemand auffällt, etwa im Straßenverkehr bei einer Kontrolle ausrastet oder bei einer Durchsuchung typische Schriftstücke gefunden werden – dann würden wir von unserer Abteilung eine Überprüfung vornehmen: Hat der eine waffenrechtliche Erlaubnis? Wenn ja, bitten wir die Waffenbehörde, ihn zu checken.“
Wenn die Person keine Waffe habe, müsse man in die Zukunft hineindenken. Etwa sei es möglich, ein perspektivisches Waffenverbot auszusprechen. Manchen Personen kann man sogar das Tragen legaler Waffen verbieten, Messer und so weiter.
Justiz hat das letzte Wort
Jedoch handele sich immer um Einzelfallentscheidungen. Und auch die Gerichte mischen mit: Grundsätzlich, so der Leiter der LKA-Abteilung Staatsschutz, genüge auffälliges Verhalten. Doch was heißt das genau? Zum Thema Reichsbürger existieren verschiedene Gerichtsentscheidungen, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zum Beispiel hat geurteilt: Wenn sich jemand der Reichsbürgerbewegung zugehörig sieht oder sich deren Ideologie verbindlich zu eigen macht, besitzt sie oder er nicht die Zuverlässigkeit, die das Waffengesetz fordert. „Die Auslegung kann von Gericht zu Gericht variieren.“
Die Sportschützen: unter Generalverdacht?
Geht es um Waffen, stehen die Sportschützen immer wieder im Fokus. Sowohl Mitarbeiter von Waffenbehörden, mit denen der SÜDKURIER gesprochen hat, als auch Andreas Taube sagen: „Wir haben keine strukturellen Erkenntnisse, dass Sportschützenvereine Extremismus fördern oder sie ein Hort für Extremisten wären. Da verwehre ich mich dagegen.“
Jedoch: Jemand, der legal an eine Waffe wolle, habe kaum eine andere Möglichkeit als sich Sportschützenvereinen anzuschließen.
Einer, der schon viele Sportschützen hat Kommen und Gehen sehen, ist Karsten Dreher. Er ist Vorstand des Schützenvereins Radolfzell und seit 30 Jahren aktiver Sportschütze, schoss bei den Deutschen Meisterschaften.
„Hoffentlich keiner aus dem Schützenverein“
Jedes Mal, wenn es Vorfälle mit Waffen oder Munition in der Region gibt – zuletzt in Unterkirnach – ist sein erster Gedanke, sagt Dreher: „Oh je, hoffentlich keiner aus einem Schützenverein.“ Dann werde der Ruf nach Verschärfung des Waffenrechts wieder laut – und die Sportschützen von manchen unter Generalverdacht gestellt.
Welle an schwarzen Schafen blieb aus
Was hat sich in seinem Verein getan, seitdem die Reichsbürger beim Innenministerium zur Priorität erhoben wurden?
Das Thema, sagt Karsten Dreher, mache ihm privat auch Sorgen. Im Verein jedoch sei die befürchtete Welle an schwarzen Schafen, die versuchen, über den Sport an eine Waffe zu kommen, ausgeblieben. Selten käme das vor. Und die Typen, sagt der Sportschütze, erkenne man schnell. „Die machen ein langes Gesicht, wenn du ihnen sagst, dass erstmal nur mit Luftdruckwaffe trainiert wird.“ Oder, dass es Minimum ein Jahr dauere, bis man eine Waffenbesitzkarte bekomme. „Wir als Verein achten darauf, wer bei uns Mitglied wird. In die Leute hineinschauen aber ist unmöglich.“
Auch Andreas Taube vom LKA sagt: „Wenn jemand seine Gesinnung nicht offen zur Schau stellt, fällt es schwer, darauf Maßnahmen zu gründen. Und gerade die Reichsbürger, die legal Waffen erwerben und besitzen wollen, werden zumindest im Vereinsleben erpicht darauf sein, dass ihre Gesinnung gerade nicht zu Tage tritt.“
„Ich dachte, er macht einen Scherz“
Karsten Dreher hat bisher nur einmal mitbekommen, dass jemand die Waffe abgeben musste, weil er als Reichsbürger eingestuft wurde. Ein unglücklicher Fall, findet der Sportschütze. Details möchte er nicht nennen, weil es der Person ohnehin schon unangenehm genug war, plötzlich als Reichsbürger zu gelten. „Wir konnten das jedenfalls nicht nachvollziehen.“