Seit einiger Zeit erlebt die Konstanzer Paartherapeutin Marie-Louise Frei-Götz etwas Neues: „Es kommen vermehrt junge Paare zu mir in die Therapie, die bereits früh an ihrer Beziehung arbeiten wollen.“ Sind junge Menschen also gar nicht so bindungsscheu und beziehungsunfähig, wie häufig angenommen wird?

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Das genaue Gegenteil von Frei-Götz‚ Klienten ist der „Mingle": Er steht für Sex, Abendspaziergänge und tiefgründige Gespräche bei Kerzenschein mit einer Person, der man sich verbunden fühlt – und gleichzeitig für die Freiheit, jederzeit auszubrechen, allein zu verreisen oder sich mit Bier und Büchern in der eigenen Wohnung zu verkriechen.

Der Begriff „Mingle„ vereint die Wörter „Mixed“ und „Single“. „Mingles befinden sich in einer Beziehungsform zwischen Single-Dasein und fester Partnerschaft“, erklärt Alica Mertens. Die promovierte Psychologin forscht an der Universität Heidelberg unter anderem zu neuen Beziehungsformen. Als erste Wissenschaftlerin weltweit hat sie nach eigenen Angaben eine Studie zum Thema Mingle-Beziehungen durchgeführt.

Mingles verhalten sich im Privaten wie ein Paar, ohne dies öffentlich und damit verbindlich zu machen.
Alica Mertens, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg
Alica Mertens, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg.
Alica Mertens, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg. | Bild: privat/Oliver Fink

Durch diese Unverbindlichkeit hielten sich Mingles auch immer ein Hintertürchen offen. Deshalb wohnten Mingles in der Regel auch nicht zusammen. „Das Zusammenwohnen oder Cohabiting wäre dann bereits eine höhere Stufe des Commitments, also der Verbindlichkeit.“

Die Angst, etwas Besseres zu verpassen: Mingles als Phänomen der heutigen Zeit

„Heute sind wir mit einem Überangebot an Möglichkeiten konfrontiert, wie wir unser privates oder berufliches Leben gestalten können. Das lässt manche möglicherweise davor zurückschrecken, sich festzulegen, denn vielleicht ergibt sich ja eine noch bessere Option, die man dann verpassen könnte“, beschreibt Mertens ein Phänomen der heutigen Zeit: Die „Fear of Missing Out“, die Angst, etwas zu verpassen.

Zu diesem Zeitgeist passt der Mingle perfekt: „Wer sich auf einen Partner festlegt, läuft natürlich Gefahr, die wirklich große Liebe zu verpassen. Und auch beruflich und im Studium ist man flexibler, wenn man sich eher in einer unverbindlicheren Form der Partnerschaft befindet, da man zum Beispiel einfach den Ort wechseln kann, ohne sich mit einem Partner absprechen zu müssen.“

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Digitale Plattformen fördern das Mingle-Dasein zusätzlich

Und natürlich gebe es heute dank Dating-Apps und entsprechender Plattformen im Internet auch mehr Möglichkeiten, schnell einen neuen Partner zu finden, so Mertens: „Und das trifft nicht nur auf die Jungen zu. Auch ältere Generationen nutzen die neuen Medien, um Partner zu finden.“

Für Paartherapeutin Marie-Louise Frei-Götz spielt noch ein weiterer Aspekt eine Rolle. „Da heute viel mehr Frauen als früher finanziell unabhängig sind und Karriere machen können, ist es ihnen überhaupt erst möglich, auch unverbindliche Beziehungen einzugehen“, sagt die promovierte Psychologin.

Dazu kommt: Wenn früher jemand Bindungsängste hatte, ging er trotzdem eine klassische Beziehung oder Ehe ein, da es schlicht keine anderen Möglichkeiten gab.
Marie-Louise Frei-Götz, Psychologin und Paartherapeutin in Konstanz
Marie-Louise Frei-Götz, Psychologin und Paartherapeutin in Konstanz.
Marie-Louise Frei-Götz, Psychologin und Paartherapeutin in Konstanz. | Bild: privat

Gemeinsame Kinoabende, Reisen und Sex, ganz ohne „Beziehungsarbeit“: Die Vorteile des Mingle-Daseins

„Mingles unternehmen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin all das, was normalerweise zu einer festen Partnerschaft gehört: beispielsweise gemeinsame Kinoabende, Candle-Light-Dinner oder Reisen. Manche lernen sogar die Familie und Freunde des anderen kennen“, sagt Mertens. Und natürlich gehört auch der regelmäßige Sex dazu. All dies gibt es ohne die negativen Seiten, die eine feste Beziehung mit sich bringen kann.

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„In einer festen Partnerschaft muss man auch auf die Probleme des Partners eingehen oder es kann zu Konflikten kommen, wenn einer zum Beispiel für längere Zeit ins Ausland geht.“ All das ist in einer Mingle-Beziehung nicht vorgesehen, denn es ist ja eben nichts Festes, das man mit „Beziehungsarbeit“ bewahren will. Passt es nicht, kann die ganze Übung auch schnell abgebrochen werden.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Mingle-Beziehungen und anderen Formen der unverbindlichen Liebe?

Doch trotz aller Vorteile: Das Mingle-Dasein scheint oft nicht von Dauer zu sein

Mingles sind weniger zufrieden als Menschen in einer festen Partnerschaft. Das geht aus Alica Mertens' Studie hervor, bei der die Psychologin 764 Personen mit unterschiedlichem Beziehungsstatus befragt hat. Etwa 15 Prozent davon waren Mingles. „Das sind natürlich alles Mittelwerte. Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass Mingles zwar zufriedener sind als Singles, aber unzufriedener als Personen in einer klassischen Beziehung.“ Mingles fühlten sich außerdem emotional einsamer und erlebten in ihrer unverbindlichen Beziehung weniger häufig, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden.

Auffallend war auch, dass Frauen häufiger als Männer angaben, dass ihre Bedürfnisse durch den Partner in einer Mingle-Beziehung weniger erfüllt werden als in einer festen Partnerschaft.
Alica Mertens, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg

Was aber vor allem überrascht: Auch das Gefühl, autonom zu sein, wenn man mit dem Partner zusammen ist, sei bei Studienteilnehmern, die Mingles waren, weniger stark ausgeprägt gewesen als bei Menschen in einer festen Beziehung. „Wir vermuten, das könnte daran liegen, dass nicht alle unsere Befragten ganz freiwillig in einer Mingle-Beziehung waren.“ Wahrscheinlich, so Mertens, sehnten sich viele eben doch nach einer festen Partnerschaft.

Paartherapeutin Frei-Götz wird noch konkreter: „Oft steigt einer als Verlierer aus einer unverbindlichen Beziehung aus.“ Denn viele würden hoffen, dass sie ihren Partner verändern können und es doch noch zu einer festen Partnerschaft kommt. „Und für mich ist klar: Die Sehnsucht nach einer festen Beziehung ist bei allen da.“

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Was für diese These sprechen könnte: Als Alica Mertens ein Jahr nach ihrer Studie bei den Teilnehmern nachfragte, ob sie immer noch als Mingles lebten, war das nur noch bei sehr wenigen der Fall. „Rund ein Drittel war nach einem Jahr wieder Single und die Hälfte in einer festen Partnerschaft.“

Doch woher kommt diese Sehnsucht vieler Menschen nach einer festen Partnerschaft?

„Allem gesellschaftlichen Wandel zum Trotz scheint dieses Bedürfnis tief in uns verankert zu sein. Ich vermute, dass das auch viel mit der Sozialisation zu tun hat und mit einer Norm, die in unserer Gesellschaft immer noch sehr präsent ist“, sagt Mertens.

Für Paartherapeutin Frei-Götz steht dagegen fest: „Die Bindungstheorie besagt, dass alle Menschen nach einer Bindung und damit auch nach Sicherheit streben.“ Sie verweist zudem auf die Shell-Jugendstudie, laut der die Mehrheit der heutigen Jugendlichen eine feste Beziehung will.