Der Haussegen am Freiburger Münster hängt schief. Es begann mit der Kündigung von Domkapellmeister Boris Böhmann im vergangenen Sommer, die über die Kirchenmusik hinaus kaum Wellen schlug.

Erst im Herbst nahm die Personalie an Fahrt auf, nachdem der 60-jährige Böhmann vors Arbeitsgericht gezogen war und dort eine Niederlage erlitt. Doch nicht die juristische Auseinandersetzung ließ die Wogen hochgehen.

Vielmehr meldeten sich nun die Eltern der Domknaben und erwachsene Sänger zu Wort mit einer klaren Ansage: Sie wollten Böhmann als obersten Musikchef der Kathedrale unbedingt halten. Seine Kündigung nach 22 Jahren guter Arbeit sei ungerecht.

Aktion sorgte bundesweit für Schlagzeilen

Dazu starteten sie eine Protestaktion, die die Angelegenheit bundesweit in die Schlagzeilen brachte: Sie nutzten die Christmette im Münster – Hauptkirche des Erzbistums Freiburg – als Forum für einen ungewöhnlichen Protest. Die enttäuschten Sänger applaudierten am Ende des feierlichen Gottesdienstes den Musikstücken, die zuvor von Professor Böhmann dirigiert worden waren.

Domkapellmeister Boris Böhmann kommt zum Silvester-Gottesdienst im Freiburger Münster. Es gab stille Proteste während des Gottesdienstes ...
Domkapellmeister Boris Böhmann kommt zum Silvester-Gottesdienst im Freiburger Münster. Es gab stille Proteste während des Gottesdienstes wegen seiner Entlassung. | Bild: Jason Tschepljakow

Je länger der Beifall an Heiligabend währte, als desto störender wurde er empfunden. Die Fernsehübertragung wurde unterbrochen. Sieben Minuten lang klatschten die Anhänger des Maestros. Der Erzbischof stand zunehmend verlassen am Altar, dabei wollte er den Schlusssegen spenden.

Wenige Tage später wurde Böhmann freigestellt, er darf im Münster nicht mehr dirigieren. Das Domkapitel, dem die Münstermusik untersteht, wollte sich eine neuerliche Bloßstellung ersparen.

Die Freiburger sind stolz

Um die Tragweite des Vorgangs zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Freiburger Kulturszene. Die Stadt ist stolz auf die Münstermusik, auch Menschen ohne katholischen Bezug suchen gerne die dunkelrote Kirche auf und hören zu. Die Dommusik ist üppig aufgestellt, sie umfasst sechs Chöre.

Vier davon leitete der Domkapellmeister selbst – Domchor, Domsingknaben, Domkapelle (ebenfalls ein Chor) und Choralschola, Zwei Ensembles werden von seiner Stellvertreterin Martina van Lengerich dirigiert – Mädchenkantorei und Kantorenschola.

In der Bischofskirche mit ihrer weithallenden Akustik und dem Luxus von vier Kirchenorgeln werden viele Gottesdienste vokal begleitet – ein Genuss für Freunde der Kirchenmusik und der Liturgie. Für konzertante Aufführungen von Oratorien oder festliche Gottesdienste werden die Ensembles auch kombiniert.

Seit Jahren schon holperte es

Diese Konstruktion funktioniert, so lange sich das leitende Duo versteht. Und daran, darüber besteht Einigkeit, hat es gemangelt. Die Harmonie zwischen Chef und Stellvertreterin war schon lange dahin, seit Jahren schon holperte es.

Wie es dazu kam, ist nicht eindeutig. Bis vor wenigen Tagen wurde der schwarze Peter dem Domkustos zugeschoben. Peter Birkhofer hatte den beliebten Musikchef entlassen. Als Verantwortlicher hatte er die Reißleine gezogen in einer Situation, die er als unerträglich für alle Beteiligten bezeichnete. Darauf brach ein Shitstorm über Birkhofer und Erzbischof Burger herein.

Die Stoßrichtung war eindeutig: Es wirkte so, als ob geistliche Willkür den Kapellmeister aus dem Amt getrieben hätte. Die Sänger, bestens vernetzt in der Stadt und medial sehr aktiv, stellten die Situation so dar: Der Domkapellmeister wurde als Opfer stilisiert, der der Willkür der Kirchenoberen zum Opfer gefallen war – ein Schema, das immer verfängt. Einige Eltern halten ihre Kinder inzwischen vom Probenbesuch ab.

Plötzlich taucht das Wort Mobbing auf

Inzwischen kommt eine andere Version ins Spiel, die durch Recherchen der in Freiburg erscheinenden „Badischen Zeitung“ ans Licht kam. Darin wird deutlich, dass Böhmann seine Kollegin und Stellvertreterin Martina van Lengerich nicht respektiert habe. Dabei fällt auch das Wort Mobbing. Dafür kann Böhmann auch ein Motiv gehabt haben: Seine Kollegin hatte mit ihrer Mädchenkantorei bei internationalen Wettbewerben erste Preise geholt.

Das habe Böhmann insgeheim geärgert, da seine Domknaben keine vergleichbaren Auszeichnungen ernteten. Das Verhältnis zwischen den beiden, so heißt es, war bereits seit vielen Jahren zerrüttet. Insider überrascht es nicht, dass die katholischen Auftraggeber dem Musikdirektor kündigten. Es überrascht, dass sie es so spät taten.

Befürchtung einer „Doppelspitze“

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht dagegen den Kapellmeister als Opfer. Er sei seit Jahren „einem demütigenden, rufschädigenden und schließlich Existenz zerstörenden Mobbing ausgesetzt“. Indem der ihm unterstellten Domkantorin Weisungbefugnisse übertragen wurden, sei Böhmanns Leitungskompetenz aufgeweicht worden.

Chorvorstände hätten die Befürchtung, die Dommusik werde jetzt von einer „Doppelspitze“ geleitet. Und das würde zu „heilloser Unordnung“ und beim Personal zu Loyalitätskonflikten führen.

Für Erzbischof Stephan Burger waren die vergangenen Wochen belastend. „Ich hätte nie gedacht, dass ich bundesweit in die Medien komme“, sagt er etwas sarkastisch im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Die mutwillige Unterbrechung einer der wichtigsten Messen des Jahres hat ihn belastet, ebenso die aufbrandende Diskussion in den Sozialen Medien, die schnell aggressiv wurde.

Austausch war nicht besonders geschickt

Burger und sein Generalvikar Christoph Neubrand räumen jedoch ein, dass der Austausch mit den Chören und ihren Vertretern nicht besonders geschickt war. „Wir würden diesen Vorgang heute wohl anders im direkten Austausch mit den Chören kommunizieren“, sagt Neubrand.

Menschen nehmen beim Silvester-Gottesdienst im Freiburger Münster an einem stillen Protest wegen der Entlassung des Domkapellmeisters ...
Menschen nehmen beim Silvester-Gottesdienst im Freiburger Münster an einem stillen Protest wegen der Entlassung des Domkapellmeisters Böhmann teil. | Bild: Jason Tschepljakow

Böhmanns Anhänger waren taktisch im Vorteil: Während sie offensiv an die Öffentlichkeit gehen konnten, waren dem Bischof und seinen Mitarbeitern die Hände gebunden. Über die Gründe der Kündigung mussten sie schweigen.

Nur der Gekündigte selbst hätte diese Schweigepflicht aufheben können. Deshalb konnten auch nicht die tief sitzende Zerrüttung und eine oder mehrere Abmahnungen genannt werden, die schließlich zur Kündigung führten.

Fall kommt vor Landesarbeitsgericht

Der Konflikt ist noch lange nicht beigelegt. Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr in die Chorprobe gehen, die Vorstände der Chöre ist, zurückgetreten. Die Münstermusik agiert derzeit nur mit halber Kraft und Lautstärke. Und Professor Böhmann startet einen neuen Versuch: Er ruft das Landesarbeitsgericht an, um seine Kündigung rückgängig zu machen.