Früher ging sie leidenschaftlich gern auf die Fasnacht in ihrer Heimatstadt Villingen. Sie war Mitglied bei der Katzenmusik. Michaela spielte Flügelhorn, das in jeder Blaskapelle geschätzt wird. An diese Momente erinnert sie sich noch immer, aber ohne Wehmut.
Michaela Schwert, 30, heißt inzwischen Marie-Salomé. So lautet der Wahlname, den sie im Kloster Hegne ausgesucht hat. Nach langer und reiflicher Prüfung, wie es in Lebensläufen trefflich heißt, ist sie Schwester geworden.
Was Nonnen von Schwestern unterscheidet
Wir treffen uns im Besprechungszimmer des Klosters, das direkt an der B 33 liegt. Ein nüchterner Raum, ein Tisch, Stühle, eine Marienfigur. Marie-Salomé ist eine schlanke junge Frau, schmales Gesicht, freundlich. Sie trägt die graue Tracht der Hegner Schwestern vom Heiligen Kreuz. Eine weiße Haube verdeckt das meiste Haar. Dadurch wirkt das schmale Gesicht noch eindringlicher.
In ihrer Heimat war Michaela Ministrantin
Schon als Jugendliche spielte sie erstmals mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen. Als langjährige Ministrantin war ihr die Kirche immer nahe. Wo erfährt man mehr als in einer Sakristei? Einer ihrer Begleiter war Kurt Müller, der legendäre Stadtpfarrer am Villinger Münster und Dekan. Sie besuchte das kirchliche Gymnasium St. Ursula, das von Schwestern geleitet wurde.
„Ich habe mir das gut überlegt“, sagt die Frau aus Villingen. Als sie 14 Jahre alt war, besuchte sie mit ihrer Klasse ein geistliches Haus im Kinzigtal. Das war ein Ausflug mit Langzeitwirkung. Denn damals reifte der Gedanke, ein Kloster zum Angelpunkt des eigenen Lebens zu machen. Während ihre Mitschülerinnen den Abstecher schnell abhakten, hatte Michaela etwas anderes mitgenommen: den Wunsch, selbst in dieser kleinen Welt innerhalb der großen Welt zu leben.
Den ganzen Tag schweigen wollte sie nicht
Doch sind Kloster und Kloster zweierlei. Schon als Gymnasiastin sondierte sie die kirchliche Landschaft. Wo passt sie rein? Im Rückblick erzählt sie: „Das war gar nicht so einfach. Manche Orden schweigen den ganzen Tag, das wollte ich nicht. Die anderen stehen sehr früh auf; das kann ich mir auch nicht vorstellen.“
Schließlich stieß sie auf Hegne im Kreis Konstanz. Offener Empfang, offene Herzen. Es passte. Vor fünf Jahren trat sie ein und durchläuft seitdem die verschiedenen Stufen. Postulantin (jemand, der anklopft), Novizin mit erstmaliger Einkleidung. Und im Dezember legte sie die Erstprofess ab – das Bekenntnis zu dieser Gemeinschaft. Sie ist drin.
Die Kindergärtnerin kam aus dem Kloster
Doch haben sich die Zeiten geändert. Die Entscheidung fürs Kloster ist zur Rarität geworden, wird von manchen Zeitgenossen gar kritisch beäugt. Vor 50 Jahren noch schickten kinderreiche Familien eine der Töchter ins Kloster. Diese waren stark gefüllt. Sie betrieben Kindergärten oder Krankenstationen in entlegenen Dörfern. Gerade Frauenorden prägten das Land, sie wirkten selbstlos im sozialen Bereich und wickelten die Kleinkinder, deren Mütter auf dem Feld hackten. Die klassische Kindergärtnerin, die mancher in den 60er und 70er Jahren erlebte, war häufig eine geistliche Schwester.
Michaela Schwert hat ihre Entscheidung alleine gefällt. Ihre Eltern sprudelten nicht gerade vor Begeisterung, als sie vom Entschluss der Tochter hörten. „Das ist Berufung – etwa so, wie wenn man sich verliebt. Im Kloster finde ich die Form für mein Leben. Ich könnte nicht alleine leben“, sagt sie.
Drei markante Versprechen
‚Wie wenn man sich verliebt?‘ Diese Formulierung zielt auf den harten Kern. Eine Schwester wie auch eine Nonne legen ein dreifaches Gelübde ab. Sie verpflichten sich zu drei Idealen, die sich wie eine Kampfansage an die Party-Gesellschaft lesen: Armut, Gehorsam und Keuschheit. Diese Drei begleiten die Männer- wie Frauenorden durch die Geschichte. Jede der drei Forderungen (auch evangelische Räte genannt) hat es in sich. Sie bedeutet Verzicht und verspricht im Gegenzug auch ein Stück Freiheit.

Jedes einzelne der drei Versprechen erscheint als Zumutung – und zugleich als Absage an die Konsumgesellschaft. Zuerst der Gehorsam: „Ich bejahe die kirchliche Autorität“, sagt die junge Schwester. Mit Anweisungen habe sie kein Problem. Ihre Chefin im Haus ist Schwester Maria Paola Zinniel, Provinzoberin in Hegne.
Schwieriger wird es bei der Armut. „Wir haben kein eigenes Einkommen“, berichtet Marie-Salomé. Wer etwas verdient, zum Beispiel als Lehrerin, liefert das Gehalt bei der Klosterkasse ab. Eigentum beschränkt sich auf persönliche Gegenstände. Brille, Buch, Hausschuhe. Keine der Schwestern besitzt Haus, Konto, Aktienpaket. Wer in Hegne oder anderswo eintritt, übergibt den privaten Besitz an die Gemeinschaft. So wurden die Klöster reich, indem sie ihre Mitglieder arm machten. An den prächtigen Kirchen und ausgedehnten Feldern kann man das bis heute ablesen.
„Fürs Leben ist immer gesorgt“
Das ist die eine Seite der Armut. Die andere ist eine Befreiung vom Materiellen. Besitz belastet, Besitz bindet. Das Kloster legt das Erbe und vieler auf die Gemeinschaft um. Die Klosterkirche, Bibliothek dürften alle benutzen. Christlicher Sozialismus in Reinkultur: Es genügt, ein Ding jederzeit gebrauchen zu können. Dafür muss man es nicht besitzen mit Brief und Siegel. Die junge Schwester sagt es so: „Für unser Leben ist immer gesorgt.“ Essen, trinken, schlafen, kleiden – das Kloster stellt das zur Verfügung.
Der Verzicht auf Eigentum im Sinne des Gesetzbuchs ist das eine – ihn kann man verschmerzen. Wie sieht es mit intimsten der drei Versprechen aus – der Keuschheit oder, wie es in den Hegner Statuten heißt, der Jungfräulichkeit? Für Marie-Salomé ist das kein Problem. Auf Mann und Familie verzichtet sie leicht, sagt sie. Und einsam – einsam sei sie nie. Sie ist im Beruf und in stets von Menschen umgeben.
Hegne hat sich neu erfunden
Kloster Hegne ist gut aufgestellt. Es schloss unrentable Betriebe (wie den eigenen Klosterhof für die Landwirtschaft). Und es erweiterte das Hotel zum modernen Tagungsbetrieb. Die Schwestern betreiben eine Schule, für die lange Wartelisten aufliegen. Alles, was kluge Betriebswirtschaft kann, haben die Schwestern angeschoben. Nur eines können sie nicht justieren: den Nachwuchs.
Marie-Salomé ist die jüngste Mitglied der Gemeinschaft. Sie trat vor fünf Jahren ein und ist vorerst der letzte Neuzugang. Das heißt: Alle anderen der 189 Schwestern sind älter als sie. Der Altersdurchschnitt liegt bei über 80 Jahren. Sie geht damit gelassen um. „Ich hoffe, es kommt noch eine Generation nach mir“, sagt sie. Für sie bedeutet Hegne ein Ort der Zukunft. Sagt sie wörtlich. Diese Hoffnung hat sie, auch wenn die Zahlen derzeit eine andere Sprache sprechen. Aber was sind Zahlen?
Fest steht: Hegne hat für den Fall vorgesorgt, dass es eines Tages noch weniger oder kaum mehr Schwestern mehr geben wird. Dafür wurden alle Betriebe 2020 in eine Stiftung überführt; damit können sie auch ohne geistlichen Hintergrund agieren und Personal beschäftigen. Eine Klosterschule ohne Klosterschwestern? Dieser Weg ist längst vorbereitet.
Kloster im Fernsehen? Ein Dauerbrenner
Dennoch erstaunlich: Auch wenn die Konvente stark altern, ist das Klosterleben im Fernsehen ziemlich präsent. Die ARD-Serie „Um Himmels willen“ zeigte dies. Der Dauerbrenner mit insgesamt 20 Staffeln lief vor einigen Tagen aus, weil das Thema zu Ende erzählt war. Im Zentrum steht der durchaus von Sympathie getragen Dauerstreit zwischen klugen Nonnen und einem Dorfbürgermeister (Fritz Wepper).

Mit dem realen Leben innerhalb der dicken Kirchenmauer hat „Um Himmels willen“ so viel zu tun wie ein „Tatort“ mit echten Ermittlern. Schwester Marie-Salomé hat den ARD-Knüller noch nie gesehen und denkt auch, dass sie da nichts verpasst hat. Ihre Kollegin Schwester Josefa Harter hat einmal reingezappt. Josefa sagt: „Auf mich wirkte die Sendung doch oberflächlich und in manchen Szenen sehr einfach gestrickt. Schwarz-weiß.“
Eine Priesterin?
In Hegne geht es anders zu als im turbulenten TV-Kloster in Kaltenthal. Arbeit und Gebet bestimmen den Rhythmus im echten Leben. Mit dem Bürgermeister haben die Kreuzschwestern keinen Stress. Marie-Salomé will später einmal Pastoralreferentin in einer Pfarrgemeinde werden. Mit der klassischen Rollenverteilung in ihrer Kirche hat sie kein Problem. Zwar kann sie sich eine Priesterin am Altar gut vorstellen. Doch: „Diese Frage stellt sich nicht.“ Feministin ist sie definitiv nicht.
Einen Teil ihres Studiums hat sie in Rom verbracht. Sie saß in den dunklen Hörsälen der päpstlichen Universität Gregoriana und schlürfte nach dem Seminar manchen schwärzesten Espresso im legendären Café „Eustachio“. So etwas prägt – sowohl Gregoriana als auch der Kaffee. „Wir sind Teil der Weltkirche“, sagt sie, „das sollten wir in Deutschland nie vergessen.“