Frau Bauck, seit wann arbeiten Sie bei der Camphill Dorfgemeinschaft auf dem Lehenhof und wie ist es dazu gekommen?

Ich arbeite seit dem Jahr 2014 auf dem Lehenhof. Es war bei mir Zeit für eine berufliche Veränderung und mein Mann hatte schon seit acht Jahren die Gärtnerei auf dem Lehenhof geleitet. Und es war dann so, dass ich einfach richtig Lust bekommen habe, mich dort auch zu engagieren. Und da gerade in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum der Camphill Dorfgemeinschaft Lehenhof gefeiert wurde, wurde jemand gesucht, der sich um Öffentlichkeitsarbeit und um das kulturelle Angebot kümmert.

Der Lehenhof: Jede Menge Gebäude sind über die Jahre errichtet worden. In der Bildmitte die großzügigen Gewächshäuser für Bio-Gemüse. ...
Der Lehenhof: Jede Menge Gebäude sind über die Jahre errichtet worden. In der Bildmitte die großzügigen Gewächshäuser für Bio-Gemüse. Ganz vorne rechts ist der neue „Erstatzbau“ erkennbar, der aufgrund der Heimbauverordnung erforderlich geworden ist. | Bild: Wolf-Dieter Guip

Mich fasziniert die Idee, dass auf dem Lehenhof Menschen mit und ohne Assistenzbedarf zusammen leben und arbeiten. Ich wohne nicht auf dem Lehenhof, aber ich fahre wirklich jeden Tag gerne dorthin, weil er auch sehr schön liegt, inmitten der Natur. Und auf der Höhe mit der tollen Aussicht auf See und Berge. Und dann möchte ich natürlich gerne dazu beitragen, die Impulse, die der Lehenhof bietet, in die Gesellschaft zu tragen. Deshalb gehen wir auch gerne nach draußen in die Öffentlichkeit. Wie auch ganz aktuell mit dem neuen Bioladen in Untersiggingen, der sich als Tor zum Lehenhof versteht. Aber auch mit dem Projekt Ambulantes Wohnen in Wittenhofen im ehemaligen Rathaus.

Was ist Ihre Motivation auf dem Lehenhof tätig zu sein?

Was ich auch sehr schön finde, ist dieses ganz besondere Arbeitsklima auf dem Lehenhof. Es gibt dort ein sehr achtsames Umgehen miteinander. Auch die Menschen mit Assistenzbedarf haben eine ganz besondere und erfrischende Offenheit – die schätze ich sehr. Sie haben keine Vorurteile und können sich nicht verstellen.

Die Anfänge der Camphill Dorfgemeinschaft Lehenhof im Gründungsjahr 1965. Obgleich die ersten Kühe schon grasten, ließ sich zu jener ...
Die Anfänge der Camphill Dorfgemeinschaft Lehenhof im Gründungsjahr 1965. Obgleich die ersten Kühe schon grasten, ließ sich zu jener Zeit noch nicht absehen, wie dynamisch und erfolgreich sich das Projekt entwickeln sollte und auch künftig weiterentwickeln wird. | Bild: Lehenhof

Welche Aufgaben haben Sie auf dem Lehenhof?

Im Wesentlichen ist es die Organisation aller öffentlichen kulturellen Veranstaltungen, wie Tag der offenen Tür, Konzerte, Schauspiel am Lehenhof, Vorträge und vieles mehr. Ganz aktuell laufen die Planungen für den Tag der offenen Tür am 28. Juni 2020. Da erwarten wir viele Besucher, denen wir sehr gerne unser Dorf und unsere Arbeitsbereiche vorstellen möchten. Meine Aufgabe ist es, auch die Plakate und Flyer für die Veranstaltungen zu gestalten. Ich pflege die Homepage, die regelmäßig aktualisiert wird. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Öffentlichkeitsarbeit.

Offizielle Eröffnung der ersten Camphill Dorfgemeinschaft auf dem Lehenhof oberhalb von Deggenhausen am 25. September 1965 mit Dr. Karl ...
Offizielle Eröffnung der ersten Camphill Dorfgemeinschaft auf dem Lehenhof oberhalb von Deggenhausen am 25. September 1965 mit Dr. Karl König (Bildmitte vorne). | Bild: Lehenhof

Und was noch?

Außerdem bin ich im Organisationsteam für das Mittendrin-Festival, das alle zwei Jahre in abwechselnd in Überlingen und in Friedrichshafen stattfindet. Im kommenden Jahr ist es im Rahmen der Landesgartenschau im Uferpark in Überlingen. Ausrichter des Festivals ist der Bodenseekreis mithilfe der sozialtherapeutischen Einrichtungen der Umgebung. Das Ziel ist es, die Menschen mit Assistenzbedarf einzuladen zu einem ganz besonderen Tag der Begegnungen, mit einem kulturellen Angebot, um einfach miteinander Spaß zu haben. Das Festival ist offen für alle Menschen. Es soll sich ja durchmischen, die Menschen sollen in Berührung kommen, Hemmschwellen sollen abgebaut werden.

Es wird auch an einem weiteren Konzept gearbeitet?

Ja, wir arbeiten gerade an einem Konzept für ein Haus der Begegnung. Hier geht es darum, Menschen auf den Lehenhof einzuladen, seien es Wanderer oder Einwohner, Gäste oder sonstige Besucher. Es sollen Begegnungen im lockeren Rahmen ermöglicht werden. Seit vier Jahren beteiligen wir uns am Bodenseefestival jeweils mit einem Konzert und die Besucher kommen von sehr weit her, sogar aus Ulm. Und von den Besuchern höre ich, dass bei unseren Konzerten eine ganz besondere Atmosphäre herrscht. Die Besucher sind sehr überrascht, wie still es bei den Aufführungen ist und wie unsere Bewohner eintauchen in die Musik, in das Geschehen. Nicht nur Besucher, sondern auch Künstler sind immer wieder davon überrascht. Wir bekommen die Rückmeldung, dass sie so etwas, so eine besondere Atmosphäre noch nie erlebt hätten. Wir haben ein ganz besonders begeisterungsfähiges Publikum. Nächstes Jahr präsentieren wir mit „Vision String Quartett“ ein Artist-in-Residence-Programm. Darauf sind wir ganz stolz.

Seit wann bietet der Lehenhof ein kulturelles Angebot und was ist die Zielsetzung?

Ein gewisses kulturelles Angebot lebt von Anfang an auf dem Lehenhof, weil es Teil des Konzepts der Dorfgemeinschaft ist. Das Ziel ist die Inspiration, die von der Kunst ausgeht und das gemeinsame Kulturerlebnis verbindet.

Nach welchen Kriterien werden die verschiedenen Veranstaltungen ausgewählt und wer trifft die Auswahl?

Die Auswahl trifft ein Kulturkreis aus vier Menschen. Die Kriterien sind die Vielseitigkeit des Angebots. Sodass wir im Jahreslauf eine Abwechslung bieten können, die unterschiedliche Genres und Menschen anspricht. Und wir müssen uns natürlich in einem gewissen finanziellen Rahmen bewegen.

Seit dem Jahr 2017 ist der Zutritt zu den Veranstaltungen kostenlos – es wird jedoch jeweils um Spenden gebeten. Wie kommt´s und reichen die Spenden zur Deckung der Kosten aus?

Es ist uns ganz wichtig, dass wir jedem Interessierten den Zutritt zu unseren Veranstaltungen ermöglichen. Unabhängig der finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen. Es gibt Veranstaltungen, da trägt es sich deutlich nicht. Andere Veranstaltungen bringen dann so viel ein, dass andere Events damit unterstützt werden können. Die Erfahrung zeigt, dass es in etwa aufgeht.
Was auch dadurch gelingt, dass durch den kostenlosen Eintritt mehr Besucher kommen, die dann auch mehr spenden.

Ist es richtig, dass die Veranstaltungshäufigkeit in der jüngeren Zeit angestiegen ist?

Seit den Jubiläumsjahren, in denen besonders intensive Kulturarbeit geleistet wurde, hat die Häufigkeit tatsächlich zugenommen. Meine Intention ist einfach, für unsere Bewohner vor Ort regelmäßig Kultur anzubieten. Und wir freuen uns auch, wenn die Menschen aus der Umgebung kommen und das Gebotene mit uns teilen. Und es hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sich der Lehenhof seit Jahren mehr öffnet.

Sind die Veranstaltungen immer öffentlich?

Wir haben etwa zwölf öffentliche Veranstaltungen im Jahr.

Ist es auch ein Ziel, das kulturelle Angebot in der Gemeinde Deggenhausertal zu bereichern?

Das auf jeden Fall. Deshalb sind wir auch im Gemeindeveranstaltungskalender vertreten und die Veranstaltungen werden im Gemeindeblatt veröffentlicht.

Fragen: Wolf-Dieter Guip