Seit Wochen steht der Hänger mit dem handbeschriebenen Plakat an der B 31-neu. „Hier wurde enteignet 38.000 qm Straßen- und Ausgleichsfläche“. 3,8 Hektar vor allem in Schnetzenhausen, die Bauer Anton Schraff gegen seinen Willen hergeben musste. Die festgesetzte Entschädigung von rund 270.000 Euro will er nicht – abgesehen davon, dass diese Summe „ein Witz“ sei. Nach Abzug von Steuern blieben ihm nur rund 130.000 Euro davon übrig, rechnet er vor.

Direkt an der neuen B 31 hat Anton Schraff den Hänger mit dem Plakat platziert. Jeder Fahrer soll wissen: „Hier wurde ...
Direkt an der neuen B 31 hat Anton Schraff den Hänger mit dem Plakat platziert. Jeder Fahrer soll wissen: „Hier wurde enteignet“. | Bild: Cuko, Katy

Er möchte Tauschflächen haben, die er als Landwirt bewirtschaften kann. Denn gutes Ackerland wird immer rarer, auch am Bodensee und im Hinterland. Pro Tag schrumpft die landwirtschaftliche Nutzfläche bundesweit um 58 Hektar, sagt das Statistische Bundesamt. 1,35 Millionen Hektar verloren die Bauern in den letzten 25 Jahren. Zwei Drittel dieser Flächen sind heute bereits überbaut.

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Bisher hat sich Anton Schraff erfolglos gegen die Enteignung gewehrt. Aktuell laufen zwei Klagen. Vor dem Landgericht Stuttgart geht es um die Höhe der Entschädigung. Für Straßenflächen wurden ihm 10,15 Euro pro Quadratmeter zugesprochen. Doch das meiste Land ging für Ausgleichsflächen weg, fernab der neuen Bundesstraße. Allein dafür musste er 2,2 Hektar hergeben – zum Preis von 7 Euro pro Quadratmeter. Zu wenig, sagt der Bauer.

Landwirt Anton Schraff ist Bauer aus Überzeugung. Mit der neuen Bundesstraße quer über seine Felder muss er einiges an Umwegen fahren.
Landwirt Anton Schraff ist Bauer aus Überzeugung. Mit der neuen Bundesstraße quer über seine Felder muss er einiges an Umwegen fahren. | Bild: Cuko, Katy

Gegen den Enteignungs-Beschluss selbst läuft ein extra Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart. Darf der Staat ihm überhaupt Grund und Boden wegnehmen, um den Eingriff in die Natur für den Straßenbau zu kompensieren? Ja, beschied das Regierungspräsidium Tübingen, das im September 2019 die Enteignung verfügte. Denn auch die Ausgleichsflächen seien im Planfeststellungsbeschluss 2008 festgelegt worden. Dagegen seien damals keine Einwände erhoben worden.

Land für Straße und den Ausgleich für den Straßenbau weggenommen

Die Situation ist aus der Sicht von Anton Schraff tatsächlich grotesk: Damit naturschutzrechlich auf seinem Land eine Straße gebaut werden darf, nimmt der Staat ihm obendrein noch andere Flächen für den nötigen Ausgleich weg. „Ich bin fest entschlossen, damit bis vor das oberste Gericht zu gehen, wenn es nötig ist“, sagt der Landwirt aus Schnetzenhausen.

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Nicht nur, dass die Frage der Enteignung von Ausgleichsflächen relevant für alle Bauern ist, deren Äcker für künftige Bauprojekte gebraucht werden. Für Anton Schraff bedeutet der Bau der neuen B 31, dass er rund ein Viertel seiner vormals landwirtschaftlich genutzten Flächen hergeben musste. „Das ist existenzgefährend“, sagt er. Zumal die Straße heute quer durch seine Felder verläuft.

Die neue Bundesstraße zerschneidet die Felder von Bauer Anton Schraff. Früher konnte er das Areal bis zum Wald im Hintergrund am Stück ...
Die neue Bundesstraße zerschneidet die Felder von Bauer Anton Schraff. Früher konnte er das Areal bis zum Wald im Hintergrund am Stück bewirtschaften. | Bild: Cuko, Katy

Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Enteignungen immer nur als letztes Mittel infrage kommen, wenn das Ziel nicht auf anderem Weg erreicht werden kann. Aus der Sicht von Anton Schraff hätte es andere Ausgleichsflächen gegeben als sein Acker- und Grünland. Zum Beispiel die Wiese auf rund 1,4 Hektar auf Häfler Gemarkung, die ihm die Deges als Bauherrin der B 31-neu 2019 zum Tausch angeboten hatte – und die Schraff für 5 Euro pro Quadratmeter kaufen sollte.

Nasse Wiese im Tausch gegen Ackerland

„Die nasse Wiese ist nichts wert, außer vielleicht zum Heu machen“, erklärt Anton Schraff. Außerdem gab es dort im zweiten Weltkrieg Flakstellungen. Was da noch an Munition und Altlasten im Boden schlummere, sei unabsehbar. Anbauen könne er auf der Fläche nichts. Zumal Bauern heute Grünland nicht mehr in Acker umwandeln dürfen. Außerdem kenne er den Boden, der seinem Cousin gehört habe. Der habe die Fläche vor ein paar Jahren an die Stadt verkauft, „für 5 Euro pro Quadratmeter“. Gutes Ackerland ist 10 bis 20 Euro wert. Aber das verkauft kein Bauer mehr freiwillig.

Mit dem Kauf einer aus seiner Sicht minderwertigen Tauschfläche hätte Bauer Anton Schraff die Klagen gegen die Enteignung zurückziehen ...
Mit dem Kauf einer aus seiner Sicht minderwertigen Tauschfläche hätte Bauer Anton Schraff die Klagen gegen die Enteignung zurückziehen müssen. Er ging nicht darauf ein. | Bild: Cuko, Katy

Für dieses Tauschgeschäft zwischen Deges und Anton Schraff liegt unserer Zeitung der Entwurf des Kaufvertrags vor. Darin steht, dass die Flächen der Stadt Friedrichshafen gehören und für 5 Euro pro Quadratmeter verkauft würden. Was den Bauern allerdings richtig wurmt, ist die Eingangsklausel: Der Vertrag komme nur zustande, wenn Schraff seine Klage gegen die Enteignung bis Juli 2020 zurücknimmt. „Mit der Rücknahme der Klagen wird der Enteignungsbeschluss rechtskräftig“, steht darunter. Mit anderen Worten: 1,4 Hektar nasse Wiese sind genug im Tausch gegen 3,8 Hektar zum Teil bestes Ackerland, das enteignet wurde.

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„Bei einer adäquaten Tauschfläche hätte es die Enteignung nicht geben müssen“, sagt Anton Schraff. Diesen Vorwurf richte er an die Stadt, die ihm letztlich wertlosen Wald „unterjubeln“ wollte, da kein Wald mehr da war. Denn als der zehn Jahr zuvor ausgehandelte Vorvertrag greifen sollte, war der Großteil des Baumbestands auf den Flächen abgeholzt, die ihm versprochen waren. Damit sei der Tauschvertrag nichtig gewesen, so Schraff. Er habe extra einen Gutachter zu Rate gezogen, der berechnet hat, wieviel der Wald vor und nach dem Kahlschlag wert war. Auch das sei vor Gericht wichtig.

Stadt verweist auf „mehrere Angebote“

Nach Darstellung der Stadt hätten zwischen Dezember 2011 und 2014 „unzählige Gespräche und Verhandlungen“ stattgefunden, in denen Anton Schraff mehrere Angebote unterbreitet worden seien. Seit dem 1. März 2015 war die Deges als Bauherrin für die B 31-neu zuständig, die noch offenen Grundstücksangelegenheiten abzuwickeln. Bis dahin hatte die Stadt Friedrichshafen die Vollmacht dafür und habe „alles getan, um Enteignungen zu vermeiden“, erklärte eine Sprecherin der Stadt, als unsere Zeitung 2017 erstmals darüber berichtete.

„Ich bin kein Querulant. Der Gemeinderat weiß ja noch nicht einmal richtig, was hier gelaufen ist.“
Anton Schraff, Landwirt

Anton Schraff ärgert sich, dass er so als Querulant bezeichnet wird. Für die zunächst zweispurig geplante B 31 hatte er der Stadt lange vor dem ganzen Ärger die nötigen Grundstücke auf 1,6 Hektar bereits verkauft, obwohl die neue Straße seine Felder durchschneiden würde. Die Leute sollen erkennen, dass ihm danach übel mitgespielt wurde. „Der Gemeinderat weiß ja noch nicht einmal richtig, was hier gelaufen ist“, behauptet der Landwirt verbittert.