Ein schönes Abendessen zu zweit, eine Hochzeitsfeier, das Jubelfest zum 80er: Noch bis vor wenigen Wochen hat der Lockdown nahezu jedwede Feierlichkeit untergraben. Jubiläen, Hochzeiten, Geburtstage fielen ins Wasser und der Urlaub gleich mit. Ersatzlos gestrichen. Für die Jubilare oder Geburtstagskinder brachte das Corona-Virus einen oft harten Verzicht. Für die Gastronomen ebenfalls. Nicht wenige Restaurants, Gasthöfe und sogar Gourmettempel mussten wegen des Lockdowns ihre Tore für immer schließen.
„Das wäre verheerend. Ein weiterer Lockdown darf nicht kommen“, konstatiert Hans-Peter Kleemann vom Berggasthof Höchsten im Deggenhausertal die aktuelle Lage. Denn dann müsste auch er damit rechnen, dass sich manche aus seinem Team aus wirtschaftlichen Gründen etwas anderes suchen, so seine wirklich einzige Angst. Bis jetzt konnte der erfahrene Gastwirt seinen gesamten Stab von über 60 Mitarbeitenden allerdings halten. Alle sind ihm treu geblieben, auch während der Kurzarbeit. Der Eigentümer des Naturerlebnis-Hotels am höchsten Punkt um den nördlichen Bodensee zeigt sich darüber sichtlich berührt.
Am Höchsten und in der Linde konnten die Teams gehalten werden
In seinem Berggasthof profitiert Kleemann von einem Team, in dem viele schon über Jahre dabei sind und es einen intensiven Bezug zu den einzelnen Angestellten gebe. „Wir nennen uns Höchstenfamilie“, lächelt der Gastwirt-Vater leicht stolz. Er weiß, dass es auch an den geregelten Arbeitszeiten liegt, durch die seine Leute ihr privates Umfeld pflegen und die sozialen Kontakte halten können.

Eine ähnliche Erfahrung hat auch Julia Boßhart, die Geschäftsführerin der Linde in Markdorf-Hepbach, gemacht. Auch bei ihr sind alle geblieben. „Für die Festangestellten war das schön, ihren normalen Lohn zu haben“, sagt sie. Nur vorübergehend war die Linde im ersten Lockdown mit zwei Mitarbeitenden in Kurzarbeit. „Danach war das zum Glück nicht mehr nötig.“ Von vielen aus der Branche weiß Boßhart: „Wenn Fachleute abwandern, dann wird es schwierig, sie wieder zurückzuholen.“ Als Dankeschön gab‘s in der Linde in Hepbach vor kurzem deshalb auch ein kleines Eröffnungsfest für das ganze Team.
Es war an Pfingsten, als sowohl Hans-Peter Kleemann seinen Berggasthof Höchsten und Julia Boßhart ihre Linde in Hepbach wieder öffnen konnten. Das Hotel auf dem Höchsten ist seither so gut wie ausgebucht und das Geschäft läuft besser denn je. So gut, dass der Gastwirt die Gartenterrasse mit dem atemberaubenden Ausblick auf Bodensee und Alpen mit nun über 150 Sitzplätzen auf das Doppelte vergrößert hat. „Eigentlich wollten wir das erst nächstes Jahr machen, doch so haben wir die Zeit auch zum Umbau genutzt.“ Pünktlich nach dem Start der Sommerferien sollen jetzt auch die neuen Terrassenmöbel kommen, die eigentlich schon auf Ende Mai bestellt waren. Doch auch da gab es einen Lieferengpass. „Im Improvisieren sind wir aber recht gut“, lacht Kleemann.
Gäste gönnen sich heute mehr als vor dem Lockdown
Und zum Lachen hat der Gastwirt allen Grund. Denn seit die Leute wieder spontan und ohne Testnachweis kommen können, verzeichnet er geradezu bombastische Zahlen: „1000 Gäste pro Woche reichen nicht“, freut er sich. Tatsache ist: Es ist im Gasthof auf dem Höchsten sogar noch mehr los, als vor der Coronazeit. Deshalb muss Kleemann in Kürze sein Personal auch noch aufstocken. Küche, Zimmerreinigung und vermutlich auch die Rezeption bekommen in absehbarer Zeit Verstärkung.

Auch für Julia Boßhart in der Linde in Hepach war der Einstieg an Pfingsten gut und das damals noch trotz Testpflicht. „Dadurch, dass wir nie ganz runter gefahren waren, blieb der Betrieb immer am Laufen und wir hatten schnell und rechtzeitig ein Angebot zum Mitnehmen auf die Beine gestellt.“ Außerdem konnten in der Linde auch während des Lockdowns Geschäftsreisende beherbergt werden, sodass der Familienbetrieb glimpflich über die Runden gekommen sei. Boßhart weiß aber auch von anderen, die zum Teil bis heute zu knapsen hätten, dass es etwa auch besonders schwierig sei, das nötige Personal wieder zu bekommen.

Seit der Wiedereröffnung ihrer Häuser zählt für beide Gastronomiebesitzer eines ganz besonders: Die Freude ihrer Gäste, nicht mehr länger verzichten zu müssen: „Man sieht den Leuten die Freude jetzt buchstäblich an. Schon wenn sie zur Tür reinkommen und so ein Lachen auf dem Gesicht haben“, beobachtet die Linde-Geschäftsführerin. „Die Resonanz ist einfach super. Die Leute genießen ihre wieder gewonnene Freiheit und Lebensqualität sichtlich und gönnen sich mehr denn je“, freut sich Boßhart.
Auf dem Berggasthof Höchsten gehen sogar die teureren Gerichte wie das Trio vom Wildschwein oder ein Kalbsrückensteak an Pfifferlingrahm deutlich besser, als zuvor. „Mit der einfachen Küche mussten viele viel zu lange leben. Jetzt wollen sich die Leute endlich mal wieder was gönnen“, ist auch Kleemann überzeugt.
Verluste der Corona-Zeit können trotzdem nicht aufgefangen werden
Glücklicherweise konnten beide Gastronomen die Kosten der vergangenen Monate, in denen sie die Tore schließen mussten, betriebswirtschaftlich auffangen. „Gottseidank war ich noch nicht in der Klemme“, sagt Kleemann. Nur weil sein Hotel derzeit voll belegt ist, kann er diese zusätzlichen Kosten auffangen. Innerhalb von einem Jahr hatte auch der Berggasthof neun Monate geschlossen. „Das darf nicht mehr sein“, sagt Kleemann.
Mit Grauen blickt er auf die harte Phase der Corona-Zeit mit Testpflicht, die jetzt nicht mehr nötig ist. Dennoch hat er durch die anhaltende Nachweispflicht mit seinem Team bisher rund 70 000 Daten von seinen Gästen festhalten müssen. „Und das, ohne dass sich auch nur ein einziger Gast bei uns infiziert hat“, fügt er durchaus stolz hinzu. Zusätzlich aber ein enormer Posten. Der Berggasthof-Betreiber ist sich deshalb sicher: „Die Einbußen der gesamten Zeit werden wir nie und nimmer aufholen. Das wird uns noch eine Weile belasten.“ Deshalb habe er auch seine Leute in Kurzarbeit schicken und die Überbrückungshilfen beantragen müssen, die er – außer der Unterstützung für die Auszubildenden – auch bekommen habe.


Natürlich sei man auf vielen Kosten sitzen geblieben, bedauert auch Linde-Geschäftsführerin Julia Boßhart: „Wir selber haben Pech gehabt.“ Denn sie hat mit ihrem Team trotz der harten Lockdown-Phase so gut gewirtschaftet, dass eine staatliche Hilfe für sie nicht möglich war. Doch auch die Linde musste ihr Tafelsilber nicht verscherbeln. „Wir mussten privat umbuchen und Projekte, die geschäftlich geplant waren, wie den Umbau vom Lager- und Kühlhaus oder die Renovierung der Außenfassade, bis auf Weiteres vertagen“, erklärt Boßhart.

„Früher war mein Slogan, geht nicht, gibt‘s nicht. Den habe ich verabschiedet“, fügt Hans-Peter Kleemann mit ernster Miene hinzu. Wem es derzeit nicht so gut gehe, der müsse dem Gast vermitteln, dass nicht mehr alles möglich sei und standardisieren. Kleemann rät deshalb zu einem guten Konzept und dem Mut, auch mal etwas zu ändern: „Lieber eine kleinere, pfiffigere Karte als ein Nullachtfünfzehn-Angebot.“
Ein Erfolgstipp: Am Ball bleiben und auch mal etwas Neues wagen
Auch Julia Boßhart macht denen Mut, die nicht so gut über die Runden gekommen sind: „Einfach am Ball bleiben, alles geben und um den Betrieb kämpfen“, rät sie, weiß aber wohl, dass das nicht auf alle übertragbar ist. „Wir haben die Gerichte umgestellt, dass die Leute sie mitnehmen konnten, jeden Mittag und jeden Abend außer am Ruhetag.“ Diese Mühe zahlte sich aus: „Es waren unglaublich viele Gäste da, die gesagt haben, wir unterstützen euch.“ Manche hätten jeden Sonntag ein komplettes Menü geholt, obwohl sie sonst ganz sicher nicht jeden Sonntag essen gegangen wären.

Beide Gastwirte sind froh, dass die magere Zeit der Schließungen jetzt überstanden ist und hoffen sehr, dass das so bleibt. Käme im Herbst eine vierte Welle und eine neue Schließung, würde die Hepbacher Linde wieder auf Gerichte zum Mitnehmen setzen, um über die Runden zu kommen. Für Kleemann steht fest: „Wer mich kennt, weiß, dass ich ein Visionär bin. Aufgeben und den Kopf in den Sand stecken, geht bei mir nicht. Ich hab‘ eigentlich immer nach vorne geschaut. Wenn mir das Wasser bis zum Hals steht, dann wird der Hals einfach noch mehr gestreckt.“