Nach dem Beschluss eines Runden Tischs wird es auch 2023 fast keine Veränderungen bei der Schwedenprozession geben. Die evangelische Kirche darf keinen eigenen Altar mehr aufbauen, was 2017 noch der Fall war. Die Bewahrer setzten sich vorläufig durch.

Stefan Hilser findet, dass die Protestanten stärker beteiligt werden müssten

Das Gelübde ist fast 400 Jahre alt. Das heißt aber nicht, dass es 400 Jahre lang keine Veränderung gab. So ist etwa die Teilnahme der Trachtenträgerinnen und das Gedenken an den Flugzeugabsturz keine Erfindung aus dem 17. Jahrhundert, sondern eine Erneuerung, die die Bürger dieser Stadt so wollten. Öschprozessionen mit Monstranz und Blaskapelle und Blumenteppich gibt es viele.

Das Besondere an der Schwedenprozession ist die Tradition als solche, die schönen Trachtenträgerinnen, der Stolz der Schwertletänzer, das Donnern der Kanonen. Sie geben der Veranstaltung ein Überlinger Gepräge. Wenn sich ein Klangteppich bildet aus Blaskapelle, Osannaglocke und Münsterorgel, dann kann das durchaus ergreifend sein.

Aber um Himmels Willen, das ginge doch alles nicht kaputt, wenn von protestantischer Seite das eine oder andere Gebet eingestreut würde, wenn die Dekanin den Segen sprechen dürfte und an der einen oder anderen Station die Monstranz nicht zum Himmel erhoben würde, sondern die Lutherischen das Sagen haben. Das Ergebnis des Runden Tisches gibt solche Zugeständnisse aber nicht her. Einen Fortschritt im Vergleich zu 1634 gibt es: Man geht nicht mehr mit Kanonen aufeinander los. Aber geht so der Friede? Der Überlieferung nach rief Maria damals die Katholiken zum Durchhalten auf. Das würde sie heute bestimmt auch tun, sie würde aber die Protestanten zum Durchhalten ermuntern.

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Martin Baur warnt davor, die Schwedenprozession zu einer sinnfreien Show verkommen zu lassen

Wie bedeutend Überlingen als freie Reichsstadt einst war, mögen heute nur noch Historiker erfassen. Fasziniert von ihren Traditionen und Bräuchen, von ihrem Erbe, sind viele. Gerade die Schwedenprozession mit ihrer ganzen katholischen Prachtentfaltung begeistert verständlicherweise auch Nichtkatholiken und Atheisten.

Der Hintergrund des katholisch-protestantischen 30-jährigen Glaubenskrieges, der 450.000 Soldaten das Leben kostete und bis zu 6.500.000 zivile Opfer forderte, mag vielen unbekannt sein. Und dass die Protestanten schon seit einigen Jahren Teil einer Marienverehrung sein wollen und hinter der silbernen Mondsichelmadonna, hinter dem Heiligen Sebastian und der Heiligen Anna herlaufen, mag Luther, Zwingli und Calvin in ihren Gräbern rotieren lassen. Die Idee einer universell gespannten Ökumene erodiert jetzt die Tradition weiter.

Allen, die für die Modernisierung der Schwedenprozession werben, sei gesagt: Die Schwedenprozession ist ein immaterielles Kulturerbe, das seine Hüter dazu verpflichtet, es in seinen geschichtlichen wie theologischen Bezügen zu erhalten. Wer den Glaubensmarsch seiner strengen Form beraubt, nimmt ihm den letzten Rest der Mystik, den er noch besitzt. Am Ende steht eine sinnbefreite Veranstaltung, ein nettes Fest, das leere Hülle ist ohne tiefgründigen Inhalt. Eine Show, oberflächlich, beliebig.

Wie warnte uns Goethe doch vor der geschichtvergessenen Aufweichung von Brauch und Tradition? „Wer nicht von dreitausend Jahren / sich weiß Rechenschaft zu geben, / bleib im Dunkel unerfahren, / mag von Tag zu Tage leben.“ Nachsatz: Nichts in unserer Zeit wäre wichtiger als ein gemeinsames Friedensfest. Aber bitte getrennt von der Schwedenprozession.