Sind mobile Raumluftfilter in Schulklassen ein geeignetes Mittel, den steigenden Inzidenzzahlen bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken? Darüber entbrannte im Überlinger Gemeinderat eine heftige Diskussion. Der Tagesordnungspunkt wurde inhaltlich bereits in der Bürgerfragestunde eröffnet. Zwei Väter, deren Kinder die Grundschule in Nußdorf besuchen, meldeten sich zu Wort. Gabriel Kiefer schilderte die Sorgen der Eltern und fragte „Warum haben wir keine Luftfilter? Andere Städte kommen zu anderen Entscheidungen“. Sascha Gut berichtete, dass seine herzkranke Tochter wegen des Infektionsgeschehens in der Schule zurzeit keinen Facharzt besuchen könne, da sie als mögliche Kontaktperson nicht in die Praxis dürfe.

Stadtverwaltung bezieht sich auf Stuttgarter Studie

Der nach diesen Wortmeldungen vorgezogene Tagesordnungspunkt beinhaltete den Vorschlag der Verwaltung, mobile Luftreinigungsfilter nur für schlecht zu lüftende Räume anzuschaffen. Fachbereichsleiter Raphael Wiedemer-Steidinger berichtete, dass dies bereits in zwei Räumen, die nachweislich kaum zu lüften waren, geschehen sei. Die Entscheidung, bei dieser Vorgehensweise zu bleiben, begründete er mit einer Studie, die die Landeshauptstadt zusammen mit der Stuttgarter Universität Anfang 2021 umgesetzt hatte. Das Umweltbundesamt zitierte er mit der Empfehlung, dass die Geräte zwar die Luft von Aerosolen reinigen, aber das Lüften nicht ersetzen und damit nur als Ergänzung für schlecht belüftbare Räume sinnvoll seien. In Fällen, wie dem am Anfang der Sitzung vorgetragenen Beispiel in Nußdorf, will er Maßnahmen ergreifen. „Wir müssen Kinder mit hohem Risiko schützen!“, so Wiedemer-Steidinger.

Antrag von SPD und FDP nicht zeitnah umsetzbar

Zu dem Vorschlag der Verwaltung ging es noch um einen vor der Sitzung gestellten gemeinsamen Antrag der SPD- und FDP-Fraktionen. Darin wird die Ausstattung aller Grundschulklassen und Kitaräume mit Filteranlagen gefordert. Wiedemer-Steidinger kalkulierte dafür einen Gesamtbetrag von rund 800 000 Euro inklusive Betriebskosten für drei Jahre. Zudem würde der Lieferumfang eine europaweite Ausschreibung erfordern. Mit dem Eintreffen der Anlagen sei somit nicht vor Februar zu rechnen.

Gemeinderäte kritisieren Argumente der Kommune

Die anschließende Diskussion eröffnete Manuel Wilkendorf (SPD) mit einem Paukenschlag: „Ich habe den Eindruck, die Stadt will nichts für den Schutz unserer Kinder unternehmen!“ Er sprach von 25 Prozent der Infektionen, die sich an den Schulen ereigneten, wies auf Lücken in der Argumentation bezüglich der Schutzwirkung von Filtergeräten hin und fand die Kosten „hochgerechnet“. „Friedrichshafen macht das auch, warum sollte das Kultusministerium das fördern, wenn es keinen Schutz bringt?“ Wilkendorf forderte eine geänderte Beschlussfassung, die besagt, dass für alle Klassen von 1 bis 6 sowie die Kitas schnellstmöglich Filteranlagen beschafft werden. Auf den für solche Anträge nötigen Finanzierungsvorschlag könne man verzichten, weil die Kosten erst im kommenden Jahr anfielen und damit im nächsten Haushalt aufgenommen werden könnten. Der Vorgehensweise widersprach später Stadtkämmerer Stefan Krause.

Manuel Wilkendorf, SPD: „Ich habe den Eindruck, die Stadt will nichts für den Schutz unserer Kinder unternehmen!“
Manuel Wilkendorf, SPD: „Ich habe den Eindruck, die Stadt will nichts für den Schutz unserer Kinder unternehmen!“ | Bild: Archiv
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Wilhelmi will Spendengelder für Grundschule sammeln

Sitzungsleiter OB Jan Zeitler reklamierte einen sachlichen Ton und verbat sich die Unterstellung, die Manuel Wilkendorf später wieder zurücknahm. Doch vorerst legte er mit dem Vorwurf des Framings, also einer tendenziellen Aufbereitung der Fakten, in der Sitzungsvorlage nach. Danach ging es in einer aufgeladenen Stimmung weiter. Raimund Wilhelmi (FDP) verwies darauf, dass es unterschiedliche Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen gebe. „Die Kinder sind die Hauptleidtragenden der Pandemie“, so Wilhelmi. Er bat um die Unterstützung des Antrags und bot an, für die baldige Ausstattung der Grundschule in Nußdorf Spendengelder zu akquirieren.

Andrej Michalsen (LBU/Grüne) meldete sich als „Vater und Arzt“ zu Wort. Nicht alle Studien entsprächen wissenschaftlichen Kriterien und wären daher nicht vergleichbar. „Das einzige was hilft, ist dem Virus den Boden zu entziehen und zu Impfen!“, so Michalsen. „Die Situation in den Schulen ist unzumutbar!“, erklärte Jugendgemeinderätin Julia Sonntag. Sie schilderte, dass die vorgeschlagenen Lüftungsintervalle nicht ausreichten, um die CO2-Ampel auf grün zu bringen. „Es ist längeres Lüften nötig und damit immer kalt. Lüfter für alle!“

Julia Sonntag, Jugendgemeinderätin: „Die Situation in den Schulen ist unzumutbar. Es ist längeres Lüften nötig und damit immer ...
Julia Sonntag, Jugendgemeinderätin: „Die Situation in den Schulen ist unzumutbar. Es ist längeres Lüften nötig und damit immer kalt. Lüfter für alle!“ | Bild: Alva Studios
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Nach einer Beratungspause ging es mit einem neuen Vorschlag von Raimund Wilhelmi weiter. „Wir beantragen, die Grundschule in Nußdorf mit fünf Reinigungsgeräten auszustatten.“ Die Kosten würden sie selber übernehmen und bräuchten die Genehmigung für den Betrieb. Dem entgegnete Raphael Wiedemer-Steidinger: „Wir haben nicht nur das Ziel, sondern auch die Pflicht alle Schulen gleich zu behandeln. Das geht nicht so einfach.“ Dem Vorschlag von Ulf Janicke (LBU/Grüne), den Antrag von SPD und FDP mit der Verwaltung zu besprechen und ein Konzept für die kommende Sitzung vorzubereiten, stimmte OB Zeitler zu.

Hilfe für Kinder mit hohem Krankheitsrisiko vorgesehen

Schließlich wurde noch die Beschlussvorlage geändert und fand mehrheitliche Zustimmung. Danach werden an Grundschulen, Förderschulen und weiterführenden Schulen Raumluftfiltergeräte in Klassenzimmern eingesetzt, die schlecht zu lüften sind. „Bei Kindern in Schulen und Kindertageseinrichtungen, welche ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, werden nach ärztlicher Risikoabschätzung weitere Maßnahmen ergriffen.“