Julia Rieß

Vor 13 Jahren wurde das erste iPhone vorgestellt – das löste einen bis heute anhaltenden Trend aus. Smartphone, Tablet und Computer sind für viele Menschen mittlerweile Alltagsgegenstände. Deren Benutzung sorgt bei manchen jedoch für Verunsicherung. Wie viel davon ist gut? Vor allem Eltern sorgen sich um den Einfluss der smarten Technik auf den Nachwuchs. Das Netzwerk „Sozial Netzwirksam Uhldingen-Mühlhofen„ veranstaltet regelmäßig thematische Vortragsabende für Eltern, Lehrer und Erzieher. Zu den Schwerpunkten können Wünsche geäußert werden.

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„Auf allen 25 abgegebenen Wunschzetteln stand: ‚digitale Medien‘“, berichtet Dominik Mattes, der nicht nur das Kinderhaus Sonnenschein, sondern auch das Netzwerk leitet. Und vor Ort möchte ein Vater wissen, was man als Eltern tun kann, damit das Kind es später nicht mit der Mediennutzung übertreibt. Mit dieser Sorge spricht er wohl vielen Eltern aus der Seele. Denn die Haltungen zu diesem Thema könnten unterschiedlicher nicht sein. Von dem Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer ist zu hören, dass Medien dick, dumm und traurig machen. Er fordert, Kinder und Jugendliche so lange es geht von diesen Geräten fernzuhalten.

Professor Stefan Aufenanger von der Universität Mainz (rechts) informierte über altersgemäße Mediennutzung auch schon im ...
Professor Stefan Aufenanger von der Universität Mainz (rechts) informierte über altersgemäße Mediennutzung auch schon im Kindergartenalter. Das polarisierte unter den Zuhörern. Dominik Mattes, Leiter des Kinderhauses Sonnenschein, wird im Rahmen eines Projektes den Erziehern und Kindern Tablets bereitstellen. | Bild: Julia Rieß

In der Realität sind die Eltern jedoch selbst zu großen Teilen angewiesen auf die Nutzung digitaler Medien, sei es beruflich oder privat. Und auch die Kinder sind den digitalen Medien ausgesetzt, ob sie es wollen oder nicht.

Digitale Medien gehören heute zur Lebenswelt der Kinder

„Spitzers Forderungen sind realitätsfern“, sagt Stefan Aufenanger von der Universität Mainz beim Vortragsabend des Netzwerks. Zum einen hätten sich die Lebenswelten verändert, die digitalen Medien seien Teil der Gesellschaft geworden. Wer sich ihnen verweigere, könne durchaus ins soziale Abseits geraten. „Das war schon immer so, dass man bestimmte Dinge haben musste, um in der Gruppe akzeptiert zu werden. Eine Carrera-Bahn oder ein Quartettspiel. Heute ist es eben das Smartphone und die Teilnahme an der WhatsApp-Gruppe.“

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Wer die digitalen Medien verteufele, sei voreilig: „Alles, was neu ist, macht zunächst einmal Angst. Auch das gedruckte Buch wurde zu Gutenbergs Zeiten verteufelt, weil man die Folgen nicht abschätzen konnte.“ Man müsse bedenken, dass die Gesellschaft in der Anfangsphase stecke und Alt wie Jung mit dem Umgang mit Medien experimentieren und den richtigen Weg finden müsse. Mit einer Abschaffung der digitalen Medien sei wohl kaum zu rechnen. Die Kinder von heute seien „Digital Natives“, Bildschirme und Apps Teil ihrer Lebenswelt. Da seien keine Verbote sinnvoll, so Aufenanger, sondern der Erwerb von Medienkompetenz.

Verhalten der Eltern als Vorbild

Und das gelte für die Eltern wie für die Kinder. Egal, was in der Außenwelt passiere: Geprägt würden die Kinder von ihren Eltern, ihren Vorbildern. Und wenn die ständig am Smartphone hängen, seien Verbote für die Kinder nur noch wenig wert. Bedenke man die Vorbildfunktion und halte ein paar Regeln ein, könne laut Aufenanger die Nutzung der digitalen Medien auch schon für die Kleinsten in Ordnung bis positiv sein.

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Der Forschungsprofessor begleitete in Studien die Einführung von Tablets sowohl an Schulen als auch an Kindergärten. Und zog daraus das Fazit, dass sie – pädagogisch sinnvoll begleitet – eine wertvolle Bereicherung für diese Einrichtungen und Kinder sind.

Medien als Erweiterung der bestehenden Möglichkeiten

Der Wissenschaftler hebt hervor: „Die Medien sollen nicht mehr als eine Erweiterung der Möglichkeiten sein.“ Er nennt als Beispiel ein Blattherbarium. Dabei soll nicht das Abfotografieren von Blättern das Sammeln im Wald ersetzen. Doch man könnte die Pflanzen, die nicht gesammelt werden dürfen, fotografieren und ins Herbarium integrieren. Ebenfalls bei der Studie im Kindergarten bewährt habe sich das gemeinsame Nutzen von Lern-Apps oder digitalen Büchern.

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Dominik Mattes, Leiter des Kinderhauses Sonnenschein in Uhldingen-Mühlhofen, wird wohl einer der ersten in der Region sein, der vom Einsatz von Tablets im Kindergarten berichten kann. Er studiert berufsbegleitend an der Hochschule Koblenz Kindheits- und Sozialwissenschaften. Für seine Masterarbeit wird er im Rahmen eines Projektes im Kinderhaus Sonnenschein mit Tablets arbeiten, die in den Erziehungsalltag eingebunden werden sollen. Mattes hält es für erforderlich, den Einsatz in Kinderhäusern zu erforschen, denn auch er sagt: „Das gehört heute zur Lebenswelt der Kinder.“

Tablet und Smartphone sind kein Babysitter-Ersatz

Was in Kindergarten und Schule gilt, ist zu Hause nicht anders, sagt Stefan Aufenanger: Wer seinem Kind beibringen wolle, mit Medien umzugehen, dürfe es damit nicht alleine lassen. Ein Tablet sei kein Babysitter. Der Medienkonsum sollte je nach Alter mehr oder weniger durch die Eltern begleitet werden. Man solle auf spezielle Portale zurückgreifen, die Kindern einen kontrollierten Zugang ins Internet ermöglichen, weil sie unangemessene Seiten sperren. Das gemeinsame Lesen digitaler Bücher, Spiele- oder Lern-Apps und solche, die das kreative Gestalten unterstützen, könnten neue Möglichkeiten eröffnen.

Umgang mit Konflikten im Netz muss vermittelt werden

Stefan Aufenanger weist darauf hin, dass bei der Nutzung sozialer Netzwerke und Spiele nicht nur vermittelt werden müsse, wie die Sicherheitseinstellungen geändert werden können. Es müsse vor allem gezeigt werden, wie man mit Konflikten im Netz umgeht. Dafür sollten Eltern ihre Kinder speziell sensibilisieren.

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Kaum neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Thema

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema steckt noch in den Kinderschuhen: „Es gibt kaum neurowissenschaftliche Studien zum Thema, nur Verallgemeinerungen von anderen Studien“, erklärt Aufenanger. Es gibt aber Empfehlungen, in welchem Alter wie viel Medienkonsum akzeptabel ist.

Amerikanische Studie: Unter-Zweijährige sollten keine Bildschirmmedien nutzen

Die Generalisierung „Für Kinder unter sechs Jahren nicht sinnvoll“ findet Aufenanger unrealistisch. Die AAP-Studie (Empfehlungen der amerikanischen Kinderärzte) aus dem Jahr 2016 komme zu dem Ergebnis: Kinder unter zwei Jahren sollten keine Bildschirmmedien nutzen, außer für den Videochat mit der Familie.

Absolutes Bildschirmverbot während des Essens und vor dem Schlafengehen

Zwei- bis Fünfjährige sollten digitale Medien maximal eine Stunde täglich nutzen, dabei sollten nur kreativ und sozial wertvolle Qualitätsangebote wahrgenommen werden, und zwar gemeinsam mit den Eltern. Schlaf, Bewegung, Spiel, Vorlesen und soziale Interaktionen sollten dadurch nicht vernachlässigt werden. Und absolutes Bildschirmverbot besteht während des Essens (auch für die Eltern) sowie eine Stunde vor dem Zubettgehen.

Digitale Medien in Kindergärten und Schulen: So sind die Regeln in der Region

Während der Einsatz digitaler Medien in Kindergärten noch eher selten ist, setzen sich die Schulen schon länger mit diesem Thema auseinander. Die Vermittlung von Medienkompetenz steht auf dem Lehrplan, Computerräume und der Einsatz von Tablets sind keine Seltenheit mehr. Die private Nutzung von Smartphones und Co. ist hingegen tabu: Das Gymnasium Überlingen verbietet die Nutzung auf dem Schulgelände, die Realschule gibt die klare Anweisung, dass die Geräte ausgeschaltet in der Schultasche verbleiben müssen.

Im Internat Schule Schloss Salem gelten die Regeln rund um die Uhr

Im Internat der Schloss Schule Salem gelten die Schulregeln rund um die Uhr und das heißt: Fünft- und Sechstklässler dürfen das Handy nur in Ausnahmefällen benutzen, in den Jahrgangsstufen sieben und acht ist die Nutzung an Werktagen auf eine Stunde pro Woche beschränkt. Es gibt feste Zeiten. Grundsätzlich müssen alle internetfähigen digitalen Endgeräte am Ende der Nutzungszeit abgegeben werden.

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