Er ist unhandlich, passt ohne Knick in keinen Geldbeutel und mit den Jahren verwittert er zusehends: Der Führerschein aus Papier. Bis zum 19. Januar müssen die Jahrgänge 1953 bis 1958 ihren alten „Lappen“ gegen eine Karte im Scheckformat tauschen. Die BZ hat vier Rheinfelderinnen und Rheinfelder getroffen, die das betrifft – und die das teils ganz schön betroffen macht.

Inge Thoma: Der Schock kam bei der Prüfung

Inge Thoma hat ihren Führerschein am im Mai 1983 gemacht. „Meine Hand hat so gezittert, dass ich ihn nicht unterschreiben konnte“, erinnert sie sich lachend. Der Grund für die Aufregung: Am Tag der praktischen Prüfung kam der Fahrlehrer auf sie zu und sagte: Erschreckt nicht, aber ihr müsst über die Autobahn fahren. „Die war damals gerade eröffnet worden.“ Für Thoma ein Schock. Die Prüfstrecke führte nach Lörrach „zum Einparken“ und zurück ging‘s über Degerfelden. „Da standen noch Tempo-30-Schilder von einer Baustelle, die aber schon abgeräumt war.“

Inge Thoma
Inge Thoma | Bild: Verena Pichler

Trotzdem hielt sich Thoma an das Tempo, bis der Prüfer raunte, sie könne ruhig etwas Gas geben. Thoma war bereits 25 Jahre alt, als sie ihren Führerschein machte. „Ich habe mir die 2200 Mark richtig zusammensparen müssen.“ Stolz sei sie am Tag der Prüfung nach Hause zu Mann und Familie gekommen. „Ich stand vorm Haus und habe mit dem Lappen gewedelt. Das konnte man mit dem ja noch.“ Die richtige Fahrpraxis kam erst mit dem Beruf als Altenpflegerin.

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Aber: Die Autos der Caritas waren alle Automatik. „Der Chef hat immer gesagt, wir Frauen würden sonst das Getriebe ruinieren.“ 1998 kaufte sich Thoma ihren ersten eigenen Wagen, einen Ford Fiesta. „Ich habe damals noch eine Ausbildung zur Krankenschwester im Kreiskrankenhaus begonnen. Und da hab‘ ich gesagt: Hoch zum Vogelsang fahr ich nicht jeden Tag mit dem Velo“, sagt Thoma schmunzelnd, die bis zum Ruhestand die Tagespflege der Caritas leitete.

Der Führerscheintausch

Ihren alten grauen Führerschein hat sie in den knapp 40 Jahren nur drei Mal bei einer Verkehrskontrolle zeigen müssen. Die übrige Zeit steckte er gefaltet und mit einem zusätzlichen Knick im Geldbeutel. „Dass ich ihn jetzt tauschen soll, finde ich schade.“ Die Rechnung dafür hat sie schon bekommen: 25,33 Euro.

Christian Reuter: Fozzie Bär und Steppenwolf-Autogramme zierten den Lappen

Christian Reuter hat eigentlich nicht vor, diesen Betrag zu bezahlen. „Wenn die Innenministerin sagt, wir sollen tauschen, dann zahl‘ ich doch nichts.“ Ein Tauschgeschäft heiße schließlich, man gebe etwas und bekomme etwas dafür. Dem 56er-Jahrgang ist es zuzutrauen, dass er es zumindest versuchen wird – denn mit seinem Führerschein hat er schon in der Vergangenheit den Staat geärgert (und der dann ihn). 1975 machte er in Munster in der Lüneburger Heide seinen Lappen, fürs Auto und fürs Motorrad.

Christian Reuter
Christian Reuter | Bild: Verena Pichler

„500 Mark habe ich bezahlt, viele Fahrstunden brauchte ich nicht.“ Denn Reuters Vater ging mit ihm schon als Kind auf den Truppenübungsplatz, um ihm das Autofahren beizubringen. „Das war völlig normal damals.“ Für Reuter und seine Freunde bedeutete der Führerschein Freiheit und die Möglichkeit, die Welt zu sehen. „Wir sind kreuz und quer durch Europa gefahren.“ Und sie teilten den gleichen Humor: Jeder von ihnen tackerte das Bild einer Figur aus der Muppet Show über sein Foto im Führerschein. „Ich hatte Fozzie Bär“, sagt Reuter lachend.

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Auf dem grauen Lappen fanden sich außerdem Autogramme der Band Steppenwolf. „Ich hatte den Bassisten, den Schlagzeuger und den Sänger.“ Im Jahr 1989 aber war Schluss mit lustig: Reuter fuhr nach einer Party einen Freund nach Hause und geriet in eine Verkehrskontrolle. „Alkohol am Steuer“, sagt er. Der Lappen war weg und weil er noch dazu „verschönert“ war, gab‘s auch noch eine Ordnungswidrigkeit oben drauf. Seither hat sich Reuter bis auf ein paar Strafzettel fürs Falschparken nichts mehr zuschulden kommen lassen. Statt des grauen hat er einen rosa Lappen – noch.

Cornelia Rösner: Der Führerschein ist schon nicht mehr gültig

Cornelia Rösner bewahrt ihren alten Lappen nicht im Geldbeutel auf, sondern in ihrer Dokumentenmappe – denn gültig ist er nicht mehr. Bereits 2019 hat sie sich freiwillig von ihrem Führerschein getrennt, der Grund war eine Verkehrskontrolle. „Da wurde mir mal wieder bewusst, wie alt das Foto ist“, sagt sie lachend. Auf besagtem Bild schaut eine 20-jährige Rösner unter typischen 70er-Jahre-Ponyfransen in die Kamera, über einer weißen Bluse mit spitzem Kragen trägt sie einen Pullunder. „Das war halt die Mode.“

Cornelia Rösner
Cornelia Rösner | Bild: Verena Pichler

Ein bisschen ist auch die Mode beziehungsweise die Eitelkeit schuld, dass Rösner 1975 durch die Fahrprüfung fiel. „Ich hatte meine Brille nicht auf und bin viel zu nah an anderen Autos vorbeigefahren.“ Das war besonders ärgerlich, weil Rösner ihren Führerschein in Freiburg gemacht hatte. „Ich besuchte damals die badische Gemeindeverwaltungsschule in Au.“ Diese drei Monate wollte sie unbedingt nutzen, um ihre Fahrerlaubnis zu erhalten. „Wegen weniger Fahrstunden und der zweiten Prüfung musste ich dann von Rheinfelden aus nach Freiburg fahren.“ 30 Mark kostete eine Fahrstunde, ein Studententarif. „Meine Fahrlehrerin hat mich auch bedauert.“

Das erste eigene Auto war ein VW-Käfer. „Natürlich in Weiß.“ Mit dem hatte Rösner auch einen Unfall auf der Autobahn. „Es war glatt, ich habe mich gedreht und bin im Straßengraben gelandet.“ Ihr selbst passierte nichts, aber am VW musste der Kotflügel getauscht werden. „Der war dann hellblau.“ An Autofahrten im Winter hat Rösner noch andere Erinnerungen. Einmal fuhr sie mit Freundinnen in ihrem Mini nach Villingen-Schwenningen zu ihrem Onkel. Dort verbrachte die Clique ein schönes Wochenende. „Am Tag der Rückreise hat es so heftig geschneit, dass mein Onkel uns eine Schneeschaufel aufs Dach gebunden hat.“ Und tatsächlich mussten sich die Frauen auf der Heimfahrt mehrfach den Weg freischaufeln.

Giuseppe Pepe: Nach 40 Jahren schaut der Lappen aus wie neu

Auch Giuseppe Pepe hatte bald nach seiner Führerscheinprüfung einen Unfall – allerdings nicht so glimpflich. Denn Pepe hatte den Wagen finanziert, 14 000 Mark bezahlte er für einen Scirocco GTI. „Damit bin ich nach Italien gefahren und habe ihn dort zerlegt“, sagt der gebürtige Sizilianer. Auto futsch, Geld futsch. „Ganz kurz war ich im Himmel und dann am Boden“, lacht er.

Giuseppe Pepe
Giuseppe Pepe | Bild: Verena Pichler

Die praktische Prüfung schaffte Pepe Ende der 1970er mit links, ebenso die theoretische. „Das hat mich überrascht.“ Denn beim Üben zuhause habe er ständig Fehler gemacht. „Aber in der Prüfung keinen einzigen.“ Autos bedeuteten ihm und seinen Freunden in den 70er Jahren viel, das war Freiheit. „Das wurde poliert, jede Schraube verchromt, Leichtmetallfelgen, alles“, sagt er grinsend. Auch heute müssten seine Autos noch sauber sein, aber ganz so penibel sei er nicht mehr. Gut erinnert er sich noch an die Autofahrten von Rheinfelden nach Sizilien zur Familie. „30 Stunden waren wir unterwegs.“

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Pepe hat über Bekannte erfahren, dass er 2022 den Führerschein tauschen muss. „Erst wollte ich nicht, ich dachte mir: Warum? Schließlich habe ich ja einen.“ Und zwar einen, der auch nach 40 Jahren noch wie neu aussieht. Als er aber erfuhr, dass es Pflicht sei, hat er Ende 2021 den neuen beantragt. Der steckt nun neben dem alten in einer ordentlichen, kleinen Mappe. „Mit abgeschnittener Ecke.“ Den Lappen abzugeben kam auch für Pepe nicht infrage. „Der gehört mir, den behalte ich“, sagt er lachend.

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