Die Straßen von Grimmelshofen zeugen am Freitagmorgen noch von der Überschwemmung am Vorabend: Die B 314, die zentrale Durchfahrtsstraße im Stühlinger Ortsteil und wichtige Nordsüd-Verbindung zwischen Baar und Rheintal, ist braungetönt. Sie musste für den Verkehr gesperrt werden, die Einsatzkräfte der Feuerwehr leiten am Morgen den Verkehr um.
Wer das Dorf durchquert, läuft an völlig verschlammten Gärten vorbei.

Die Aufräumarbeiten im Ort sind im vollen Gang, alle packen mit an: Überflutete Keller, Garagen und Scheunen wurden schon ausgepumpt, jetzt wird die Straße geputzt. Beim Brunnen bedienen sich die Einwohner am Wasser, spritzen die Vorplätze und Wände mit Druckreinigern ab. Wer schnell war, hat die Haustür gestern Abend noch mit Tüchern abdichten können.

Was genau am Vorabend passiert ist, verstehen die Einwohner im Dorf am Morgen noch nicht ganz. „Ich hätte nie gedacht, dass ein Dorf innerhalb von zehn Minuten komplett unter Wasser stehen kann“, sagt Arnfried Stich. Der 64-Jährige steht mit Schubkarren und Mistgabel in einer verschlammten Wiese beim südlichen Ortseingang. Sein Geräteschuppen auf der Wiese wurde überflutet, sein Haus im Ortsinnern blieb verschont.
Die Flut sei „eine totale Überraschung“ gewesen, sagt Stich. Man habe im Dorf immer damit gerechnet, dass die Wutach, der bedeutend größere Fluss in Grimmelshofen, irgendwann über die Ufer tritt. Doch es war letztlich der kleine Mühlbach, der das Dorf geflutet hat. „Die Wutach ist dieses Mal unschuldig“, sagt er, bevor er sich wieder dem Geäst widmet, das er mit der Mistgabel in den Schubkarren hievt. Für ein Foto steht er nicht zur Verfügung, er hat noch viel zu tun.

Im gesamten Dorf sind die Bewohner auf den Beinen, machen sich entweder vom Schaden ein Bild oder packen beim Aufräumen mit an. An einem Ampelpfosten vor einem besonders verschlammten Haus klebt ein herzförmiger Aufkleber mit folgender Aufschrift: „Finde Ruhe in der tiefen Gewissheit, dass dich nicht von meiner Liebe trennen kann – Gott.“
Je weiter man in Richtung östlicher Ortsausgang läuft, desto unruhiger wird es. Das letzte Wohnhaus vor dem Ortsausgang hat es am Schlimmsten erwischt. Wer durch die Garagentore blickt, glaubt, hier wäre eine Bombe eingeschlagen: Ein Anhänger hängt vor einem klaffenden Loch in der Wand.

Die Rückseite der Gebäudehälfte war wohl durch einen Erdrutsch eingebrochen. An der Fassade sind Risse sichtbar, das Gebäude gilt als einsturzgefährdet. Benjamin Schrader, Einsatzleiter der Feuerwehr, führt an einem zwischen Schlamm und aufgeplatztem Asphalt geparkten Autos in den Garten.

Elisabeth und Berty Perera zeigen gerade dem Versicherungsvertreter den Garten, der jetzt als steile Klippe aus dem Mühlbach ragt. Auf ihrem Handy zeigt Elisabeth Perera Fotos, wie der Garten zuvor aussah: Ordentlich gepflegt, mit vielen Gartendekorationen. „Das Gärtnern ist Bertys Hobby – und die Vögel“, sagt die Hausbesitzerin, als sie auf die große Voliere neben der Ruine ihrer Garage zeigt, in der Wellensittiche zwitschern.
Aufgelöst erzählt Elisabeth Perera von dem Bach, der schon seit Tagen gerauscht habe. Als er am Donnerstagabend rasant anstieg und lautstark an die Hauswand peitschte, habe sie die Feuerwehr gerufen. Das Paar wurde in Sicherheit gebracht und sei bei Familie untergekommen. Erst später sei die Garage eingestürzt, verletzt wurde dabei niemand. Schlafen konnte Elisabeth Perera in der Nacht jedoch nicht.
„Das ist ein altes Bauernhaus, das hat schon viel überlebt. Bevor wir vor 17 Jahren renoviert haben, hat meine Oma darin gewohnt“, sagt sie. In der nächsten Zeit muss das Paar vorerst im Hotel leben. Ein Baugutachten der Versicherung wird darüber entscheiden, ob gar das komplette Gebäude abgerissen werden muss.
Das könnte auch dem letzten Gebäude vor dem Ortsausgang blühen, das allerdings nicht bewohnt ist, sondern als Lager für einen Obststand dient. Das Gebäude selbst wurde über den Mühlbach gebaut, auf dem Vorplatz ist der Asphalt aufgeplatzt. Das Haus kennt vermutlich jeder, der auf der B314 schon einmal von oben oder von unten durch das Wutachtal gefahren ist.
Um nicht noch einen weiteren Erdrutsch zu riskieren, wird Zement zur Stabilisierung in die Straßenschäden gefüllt. Auf dem Boden verteilt liegen Schilder, die für Erdbeeren, Zwetschgen, Kirschen und generell „Obst vom Bodensee“ werben. Der Verkaufsstand, ein ausgebauter Anhänger, steht unbeschadet im Chaos.

„Die Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Straßenmeisterei haben die Überschwemmung gestern sehr professionell abgewickelt“, sagt der Stühlinger Bürgermeister Joachim Burger am Telefon. Er selbst war etwa zehn Minuten, nachdem die Meldung der Feuerwehr einging, vor Ort in Grimmelshofen – „da waren die Straßen schon überschwemmt“.
Seine Aufgabe als Bürgermeister in so einer Situation sei es, im Hintergrund den Einsatz zu unterstützen, für Verpflegung zu sorgen, für die Bewohner ansprechbar zu sein und zu helfen „wo man helfen kann“. Wie auch die anderen Einwohner, die mit unserer Zeitung sprachen, betont auch der Bürgermeister die Hilfsbereitschaft der Grimmelshofener am Abend und auch am Morgen danach.