Es ist Fakt: Viele Industriebetriebe und Unternehmen sind vom Erdgas abhängig. Medienberichten zu Folge verbraucht die Industrie das meiste Erdgas in Deutschland – mehr als ein Drittel. Und laut Wirtschaftsministerium kommen 35 Prozent dieses Energieträgers aus Russland.

Würde der Kreml heute den Hahn zudrehen, kämen einige industriestarke Regionen wie Südbaden nach Berechnungen des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle schon im kommenden Frühjahr in Bedrängnis:

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Fast 30 Prozent am Energieverbrauch der Industrie entfällt auf die Chemie. Zusammen mit der Glas- und Keramik-, Papierindustrie, des metallverarbeitenden Gewerbes, den Ernährungs- und Düngemittelhersteller verbraucht sie zwei Drittel des Erdgases in der deutschen Industrie.

Auch einige Unternehmen am Hochrhein sind vom Erdgas abhängig. Die einen mehr, die anderen weniger. Was ist, wenn Russland den Gashahn zudreht? Welche Auswirkungen hätte es auf die Wirtschaft, auf die Unternehmen in der Region? Der SÜDKURIER hat bei Evonik und Aluminium Rheinfelden und bei Sto in Stühlingen-Weizen nachgefragt.

Aluminium Rheinfelden: Gasanteil bei 80 bis 90 Prozent

Bei den Aluminiumwerken in Rheinfelden liegt der Gasanteil an der gesamten Energieversorgung laut Angaben des Unternehmens zwischen 80 und 90 Prozent. Gas werde hauptsächlich für das Beheizen der Öfen benötigt, mit denen das Aluminium eingeschmolzen werde.

Bei Aluminium Rheinfelden liegt der Gasanteil an der gesamten Energieversorgung laut Angaben des Unternehmens zwischen 80 und 90 Prozent.
Bei Aluminium Rheinfelden liegt der Gasanteil an der gesamten Energieversorgung laut Angaben des Unternehmens zwischen 80 und 90 Prozent. | Bild: Esteban Waid

„Unsere Produktion steht in direktem Verhältnis mit der Verfügbarkeit von Gas“, schreibt Geschäftsführer Eric Martinet. Das hieße: Wenn Gaslieferungen reduziert würden, müsse die Produktion zum gleichen Anteil zurückgefahren werden. Für ihn ist klar: „Eine Reduzierung der Gasliefermenge beziehungsweise der Gasverfügbarkeit würde eine Reduzierung der Produktion bedeuten – schlussendlich auch Kurzarbeit für unsere Mitarbeiter.“

Wenn das Gas plötzlich ausbleibt oder weniger strömt, sei es für das Unternehmen nicht möglich, eine kurzfristige Lösung zu finden. Man könne im Moment nur reagieren.

Große Sorgen bereitet auch der Preisanstieg

Große Sorgen macht sich Martinet indes um den Preisanstieg. „Wenn die Preise weiter so rasant steigen, wird es generell sehr schwierig, als deutsches Unternehmen wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Man liege jetzt schon bei einer Vervierfachung der Preise. Die monatlichen Mehrkosten würden sich aktuell auf etwa eine Million Euro belaufen.

Erhebliche Konsequenzen für deutsche Wirtschaft

Schon die jetzige Situation sei nicht haltbar. Martinet: „Wenn die Lage langfristig so bleibt wie jetzt, hat das generell erhebliche Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft.“ Sie beeinflusse das Unternehmen, die Profitabilität und die Märkte. Vom aktuellen Preis ausgehend, seien die Auswirkungen auf den Markt noch nicht zu hundert Prozent sichtbar.

Was die Energiekosten betreffe, könne Aluminium Rheinfelden das Ganze über den Sommer hinweg wahrscheinlich etwas entspannter betrachten. Falls sich die Lage aber nicht gravierend verbessere, werde dieses Thema zum Jahresende wieder ganz akut.

Evonik Rheinfelden: Konzernweit 39,5 Petajoule Gas

Auch bei Evonik in Rheinfelden, das Unternehmen für Spezialchemie, spielt Gas eine wichtige Rolle als Rohstoff für die Herstellung eines Teils seiner Produkte. Wie das Unternehmen auf Nachfrage schreibt.

Zwei Drittel des gesamten Energieeinsatzes

Konzernweit habe man im vergangenen Jahr rund 39,5 Petajoule an Energie aus Gas eingesetzt. Dies entspreche zwei Drittel des gesamten Energieeinsatzes. Je nach Produktionsmenge komme die stoffliche Verwertung dazu. In mehreren großvolumigen Produktionen, zum Beispiel Wasserstoffperoxid, sei Gas ein wichtiger Rohstoff, der derzeit nicht zu ersetzen sei.

Im schlimmsten Fall: Stopp der Produktion

Am Standort Rheinfelden diene Erdgas überdies auch als Energieträger für den Betrieb der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage. Über sie werde Dampf für die Prozesse im Betrieb erzeugt. „Einschränkungen der Erdgaslieferungen könnte der Standort bis zu einem gewissen Grad durch das Teil-Herunterfahren von Anlagen kompensieren“, schreibt das Unternehmen, „der komplette Stopp der Gaslieferung hätte eine komplette Abstellung der Produktion zur Folge.“ Was die Verfügbarkeit von Erdgas betreffe, laufe die Produktion aktuell ohne Einschränkungen.

Komplexe chemische Produktionsverbunde

Die chemischen Produktionsverbunde seien komplex. Deshalb spricht das Unternehmen von drastischen Auswirkungen, wenn weniger oder gar kein Gas mehr kommt. Evonik habe seine Standorte mit Blick auf diese Risiken überprüft und mögliche Sparpotenziale identifiziert. Im Fall eines kompletten Gaststopps könne das Unternehmen die tiefen Einschnitte in den Produktionsverbund aber allenfalls verzögern.

Laufzeit der Kohleanlage verlängern

Evonik denkt darüber nach, etwa am Standort in Marl (Nordrhein-Westfalen) die Kohlekraftwerksblöcke länger laufen zu lassen. Sie hätten im Frühsommer eigentlich durch zwei Gas- und Dampfkraftwerke ersetzt werden sollen. Im Moment liefen die genehmigungsrechtlichen Schritte für einen Weiterbetrieb der Kohleanlage über den Oktober hinaus.

Sto Stühlingen-Weizen wäre nur indirekt betroffen

Weitaus weniger betroffen wäre bei einem Gas-Embargo der Fassaden- und Dämmspezialist Sto mit Stammsitz in Stühlingen-Weizen. „Verglichen mit dem Energiebedarf vieler anderer Industriebranchen, ist die Produktion von Farben und Putzen kein energieintensiver Vorgang“, schreibt Jan Nissen, Vorstand Technik bei Sto.

Ein Energielieferant: Die schwarze Glasfassade am Sto-Firmengebäude besteht aus Photovoltaik-Panelen.
Ein Energielieferant: Die schwarze Glasfassade am Sto-Firmengebäude besteht aus Photovoltaik-Panelen. | Bild: Martin Baitinger

Die Produktion in der Firmenzentrale in Weizen werde überwiegend mit Strom betrieben, den das Unternehmen sogar teils selbst produziert. Gas werde zum Heizen der Gebäude benötigt.

Eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie

Sto sei sich seiner Verantwortung bewusst. Das Unternehmen habe das Ziel, ressourcenschonend zu produzieren, um das Klima zu schützen. Nissen: „Dieser Anspruch ist ein Bestandteil unserer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie.“ Sto Deutschland sei seit einigen Monaten klimaneutral gestellt. Das Unternehmen beziehe am Standort Weizen zu 100 Prozent Ökostrom aus Wasserkraft.

Sto produziert Teil des Stroms selbst

Einen Teil des benötigten Stroms produziere Sto selbst: mit einer Turbine im Ehrenbach, der durch das Firmenareal fließt, und mit einer hoch modernen Photovoltaik-Fassade am Empfangsgebäude. Und: Als die Bundesregierung kürzlich appelliert habe, Energie einzusparen, habe Sto den Ball aufgenommen und an allen deutschen Standorten die Raumtemperatur um einen Grad Celcius gesenkt.

Baustoff-Hersteller stärker betroffen

Deshalb habe ein Gas-Embargo auf den Produktionsprozess bei Sto keine großen Auswirkungen. Stärker betroffen als die Muttergesellschaft seien die zur Sto-Gruppe gehörenden deutschen Gesellschaften wie Ströher, Liaver, Verotec und Innolation. Sie benötigten für die Produktion von verschiedenen Baustoffen wie Akustikplatten aus Blähglasgranulat oder Dämmplatten mehr Energie.

Rohstoffe für Farben- und Putzherstellung

Nissen erklärt: Wenn die Großchemieanlagen in Deutschland nicht mehr ausreichend mit Gas versorgt würden, würde dies Sto indirekt treffen. „Sie versorgen uns mit Rohstoffen, die auf der Basis von Erdgas oder -öl produziert werden, und die wir für die Produktion unserer Farben und Putze benötigen“, schreibt er weiter.

Das Sto-Team im Einkauf beobachte das Geschehen an den internationalen Versorgungsmärkten intensiv. Dies betreffe nicht nur die Gasversorgung, sondern alle Rohstoffe und Waren. Zudem würden permanent die Berichte der Bundesnetzagentur verfolgt. Sto setze sich mit den Verbänden mit dem Thema auseinander.

Unternehmen richtet sich auf mögliche Szenarien ein

„Noch fließt das Gas, und es ist derzeit nicht absehbar, wann es tatsächlich zu einem Embargo kommen könnte. Trotzdem sind wir mit unseren Zulieferern in der Diskussion und bereiten unterschiedliche Szenarien vor, um im Ernstfall den berühmten Plan B in der Tasche zu haben“, schreibt Nissen.

Sto arbeite weiter daran, den Gasbedarf zu reduzieren. Wenn etwa eine Gebäudesanierung anstehe, würde auf dem Dach eine Photovoltaikanlage installiert. Und natürlich habe das Unternehmen seine Gebäude gedämmt.

Höganäs Laufenburg: Globale Risiken im Blick

Eher pauschal fällt die Antwort von Höganäs, des Herstellers von Metallpulver, mit Standort in Laufenburg aus: „Höganäs analysiert kontinuierlich die globalen Risiken, um mögliche Störungen innerhalb der Wertschöpfungskette zu identifizieren.“

Und weiter: „Das Unternehmen verfolgt alle Entwicklungen und erstellt Pläne zur Risikoreduzierung, um auf verschiedene Szenarien vorbereitet zu sein.“

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