Lange bevor der Begriff „tiny house“ (winziges Haus) in Mode kam, wurden in Niedergebisbach in der Gemeinde Herrischried eben solche gebaut. Zwar nicht offiziell als „tiny house“ bezeichnet, könnte jedes von ihnen heute als Blaupause für eine kleinräumige Bauweise dienen. Doch daran dachte niemand, als die Spitzdachhäuser in den 1970er Jahren am nördlichen Ortstrand von Niedergebisbach im Gewann Unter den Tannen-Rüttmatt errichtet wurden.

Heinz Gerspach, früherer Gemeinderat von Herrischried und Ortschaftsrat, war von Anfang an dabei, als Niedergebisbach einen Bauboom erlebte, der für ein Dorf von dieser Größe ungewöhnlich war. Erster Akt war die Sanierung der heutigen Seniorenresidenz Alpenblick vom Landgasthof zum Hotel, darauf folgten drei weitere Bauabschnitte, der letzte Ende 1978 mit dem Bau der ersten von insgesamt 18 Spitzdachhäusern in zwei Reihen. Die Protagonisten: Investoren aus den verschiedensten Winkeln Deutschlands, Ärzte, Fabrikanten, Baufirmen, Architekten, eine Gesellschaft.

Blick in die Straße mit der oberen Zeile der Spitzdachhäuser in Niedergebisbach in ruhiger Lage.
Blick in die Straße mit der oberen Zeile der Spitzdachhäuser in Niedergebisbach in ruhiger Lage. | Bild: Peter Schütz

Das Haus von Heinz Gerspach

Heinz Gerspach war damals selbstständiger Bodenleger und erwarb fünf Spitzdachhäuser. Vier davon verkaufte er später wieder, eines hat er behalten. Das Haus, das ihm gehört, hat das Baujahr 1981.

Heinz Gerspach vermietet es an Feriengäste. Andere Häuser werden von deren Besitzern sporadisch bewohnt, jedoch nicht dauerhaft, da die Siedlung im Bebauungsplan als Sondergebiet „Wochenendhausgebiet“ ausgewiesen ist. Dadurch ist die Aufenthaltsdauer beschränkt.

Gerspach erachtet die aus je zwei Vollgeschoßen bestehenden Häuser als „gut gemacht“. Konkret: „Sie sind gut isoliert, die Dächer sind gedämmt, somit sind die Häuser sparsam im Energieverbrauch.“ Geplant wurden sie von einem Architektenteam aus Osnabrück. Das untere Stockwerk wurde massiv mit einer Betondecke gebaut, der Aufbau erfolgte in Holzbauweise – „für zwei Partien ideal“, so Gerspach.

Die Wohnfläche beträgt pro Haus insgesamt 107 Quadratmeter, die Grundfläche im Erdgeschoss rund 42 Quadratmeter. Heinz Gerspach: „Für zwei Leute kein Problem.“ In der oberen Wohnung führt eine Wendeltreppe in eine Galerie, wodurch zwei Ebenen bewohnbar sind.

Blick in das Spitzdachhaus von Heinz Gerspach mit der Wendeltreppe. Der Raum ist hell und freundlich.
Blick in das Spitzdachhaus von Heinz Gerspach mit der Wendeltreppe. Der Raum ist hell und freundlich. | Bild: Peter Schütz

Jedes Grundstück misst circa 300 Quadratmeter. Was die Häuser optisch von der Umgebung unterscheidet, ist die ungewöhnlich steile Dachneigung. Heinz Gerspach schätzt sie auf zwischen 40 und 45 Grad. Die Dächer waren früher mit Asbestplatten belegt, wurden jedoch von Hagel zerstört und durch Ziegel ersetzt. Heinz Gerspachs Spitzdachhaus ist bei Feriengästen beliebt. Über mangelnde Buchungen kann er nicht klagen.

Es gab auch kritische Stimmen

Doch die Ferienhaussiedlung fand nicht bei allen Gefallen. Franz Schwendemann, früherer Direktor des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee, bezeichnete sie in der 1982 erschienenen ersten Ortschronik von Herrischried als „Fremdkörper“. Dieser Eindruck entsteht, so Schwendemann, „weil das Neubaugebiet architektonisch und siedlungsgeografisch in keiner Beziehung zum gewachsenen Dorf steht.“ Die beiden oberen Zeilen mit giebelständigen Einfamilienhäusern würden „völlig vom allgemeinen Siedlungsbild des Hotzenwaldes mit traufständigen Häusern zur Talachse hin abweichen“. Und: „Durch die enge, streng uniformierte Bebauung wird das Bild eines Ferienhausghettos vermittelt, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Mischung aus Wohn- und Ferienhäusern handelt.“

Ferienhausghetto? Heinz Gerspach sieht es anders. „Die Häuser sind gut gebaut und sind kein Schandfleck“, findet er.

Dieser Artikel erschien erstmals am 25. August 2021.

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