In Laufenburg feiert Martin Blümcke am Sonntag, 6. Juli, seinen 90. Geburtstag. Trotz seines hohen Alters betreut er immer noch ehrenamtlich das Stadtarchiv. Damit dürfte Martin Blümcke einer der ältesten, möglicherweise sogar der älteste Stadtarchivar Deutschlands sein.
Jeder kennt Blümcke und Blümcke kennt jeden
In Laufenburg ist Martin Blümcke eine Institution. Jeder kennt den weißhaarigen Mann, der täglich am Rheinufer Jack Russel Terrier Lilly ausführt – und auch Blümcke kennt jeden. So hält er auf seinem Gang alle paar Meter für einen kleinen Ratsch an. Es gibt kaum ein Thema, über das er dank seines enzyklopädischen Wissens nicht aus dem Stegreif Fakten und Anekdoten aus dem Ärmel ziehen könnte. Auch abends ist der bekennende Trollinger-Trinker gerne unterwegs. Gleich mehrere Stammtische dürfen sich darüber freuen, dass er ihre Runde bereichert.
Zur Welt kam Martin Blümcke 1935 am von Laufenburg aus gesehen anderen Ende des damaligen Deutschlands in Sorau in Niederschlesien. Das sei die erste seiner fünf Heimaten gewesen, sagt er. Die zweite war der kleine Ort Vielbach im Westerwald, woher der Vater stammte und wohin die Familie des Textilingenieurs Anfang 1945 flüchtete.
Um das Abitur machen zu können, muss der Junge seine Familie verlassen
Damit der gescheite Junge das Gymnasium besuchen konnte, lebte er ab Ende 1946 bei einer Tante im niederrheinischen Städtchen Rheydt. Erst nach über zwei Jahren sah er Eltern und Geschwister wieder, die inzwischen nach Reutlingen gezogen waren. Nach dem Abitur kehrte Martin 1955 zu ihnen zurück und sollte 45 Jahre in seiner vierten Heimat leben.
Trotz oder vielleicht sogar gerade wegen seiner vielen so völlig unterschiedlichen Heimaten entwickelte Martin Blümcke schon früh ein großes Interesse an Geschichte. „Ich wollte wissen, wie es früher gewesen war“, sagt er. Als Schüler mischte er sich unter die Honoratioren des Geschichtsvereins Rheydt. Nach dem Abitur stand fest: Er wollte Bibliothekar oder Archivar werden. Im Sommersemester 1955 schrieb sich der junge Blümcke an der Universität Tübingen für Deutsch, Volkskunde und Geschichte ein.
1975 kommt Martin Blümcke erstmals nach Laufenburg
Doch statt Archivar wurde Martin Blümcke 1966 Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart. 1970 bis 1998 verantwortete er dort das Ressort Land und Leute. Als Radioreporter berichtete er aus ganz Baden-Württemberg. Im November 1975 kam Martin Blümcke erstmals nach Laufenburg, wo er mit Ernst Rueb und Fridolin Jehle eine Sendung über die Fasnacht aufzeichnete.
Beim Aufenthalt für eine weitere Fasnachtsreportage 1977 kamen sich der Radiomann und Ernst Ruebs Tochter Barbara näher. „Passiert ist es am Fasnachtsdienstag beim Huschi-Ball. Wir waren nachts um halb elf am Zoll verabredet“, erinnert er sich. Die zunächst streng geheime Liaison endete nicht nur in der Ehe, die Martin Blümcke 1993 mit der Mutter seiner 1983 und 1987 geborenen Töchter schloss. Nach seiner beruflichen Zurruhesetzung zog er 2000 zu seiner Familie nach Laufenburg, das zu seiner fünften Heimat wurde.
2012 erhält er das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse
In seinem vorherigen Leben hatte Martin Blümcke als Multifunktionär in zahlreichen Vereinen und Institutionen gewirkt und genetzwerkt – genannt seien nur der Schwäbische Heimatbund und der Verein Narrenschopf Bad Dürrheim. Dazu hatte er als Autor oder Herausgeber seit 1973 zahlreiche Bücher zur Volkskunde und Geschichte Südwestdeutschlands veröffentlicht – bis heute sind es 22 Titel. Für sein Engagement erhielt der „Vorzeige-Baden-Württemberger“ 2012 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen.
Kein Wunder, dass sich Martin Blümcke auch in Laufenburg sofort einbrachte. Im grenzüberschreitenden Bewohnerverein arbeitete er bis 2012 mit, in der Evangelischen Kirchengemeinde wirkte er bis 2015 als Kirchenältester, im Museum Schiff gestaltete er bis 2020 die Jahresausstellungen mit.
Im Augenblick schreibt er an seinen Lebenserinnerungen
Seit 1986 veröffentlichte Martin Blümcke als Autor oder Herausgeber sieben Bücher und Broschüren zur Laufenburger Stadtgeschichte. Am wichtigsten sind ihm die zusammen mit Franz Schwendemann 2019 erläuterten „Heimatbriefe für die Soldaten der Stadt Laufenburg (Baden)“. Es ist die erste umfangreichere Veröffentlichung überhaupt, die sich mit Laufenburg in der Zeit des Nationalsozialismus befasst. Die dieses Jahr erschienene Festschrift für Stadenhausen ist Blümckes vorerst letztes Werk. Im Augenblick bringt er an seiner Schreibmaschine seine Lebenserinnerungen zu Papier.
Als – ehrenamtlicher – Stadtarchivar wurde Martin Blümcke 2004 durch den neu gewählten Bürgermeister Roland Wasmer verpflichtet. Das Archiv glich damals einer Rumpelkammer. In vielen Stunden sichtete und ordnete Blümcke Regalmeter um Regalmeter an Akten. Spätestens seit dem Umzug ins neue Feuerwehrhaus Süd 2016 besitzt Laufenburg ein vorbildliches Archiv, in dem Schriftstücke und Gegenstände bis zurück aus der Teilungszeit 1802 sicher und übersichtlich verwahrt sind.
Am Sonntag wird in der Altstadt gefeiert
Am Sonntag wird in jenem Altstadthaus, in dem sich der Jubilar und seine Frau vor bald 50 Jahren erstmals begegneten, Geburtstag gefeiert. Aus Friedrichshafen und Reutlingen reisen die Söhne aus zweiter Ehe mit ihren Familien an, aus Bergisch Gladbach die älteste Tochter. Weniger weit hat es die jüngere. Sie wohnt mit Mann und den vier Kindern nur eine Tür weiter. Für Freunde und Nachbarn wird im Hof ein Zelt errichtet.
Und wie lange will Martin Blümcke sich noch ums Stadtarchiv kümmern? Schelmisch lässt er wissen: „Unter nochmal einem neuen Bürgermeister würde ich nicht unbedingt weitermachen wollen.“ Die laufende Amtszeit von Wasmers Nachfolger Ulrich Krieger endet 2032. Dann wäre Martin Blümcke 97 – und wohl mit Sicherheit Deutschlands ältester Stadtarchivar.